Zombies

So lange Fernsehen bedeutete, bestenfalls unter einer Handvoll Sendern auswählen zu können und es pro Haushalt nicht mehr als ein Empfangsgerät gab, war das Programmangebot zwangsläufig familienorientiert. Fiktionale Genres, die nur kleine Zielgruppen ansprachen oder mehrheitlich nicht „jugendfrei“ waren, fanden im Fernsehen kaum oder gar nicht statt. Das Horrorgenre beispielsweise, das in Form von Kinofilmen oftmals FSK-Freigaben ab 16 oder 18 Jahren erhält, wurde in den ersten Jahrzehnten im seriellen fiktionalen Fernsehen fast nur als Parodie bzw. in Komödienform verwendet (Addams Family, The Munsters). Erst durch die Digitalisierung des Fernsehens, der damit ermöglichten radikalen Angebotsausweitung und als Konsequenz der Aufteilung des Marktes in immer mehr immer kleinere Segmente konnten auch Angebote in solchen Genres ökonomisch attraktiv werden – vor allem bei der gleichzeitigen Auswertung des Angebots auf mehreren medialen Plattformen (Fernsehen, Download, DVD).

Für den Jugendmedienschutz bedeutet diese Entwicklung einen deutlichen Anstieg potenziell problematischer fiktionaler Serien – wie zum Beispiel in Gestalt von The Walking Dead. Diese Zombieserie wurde in den USA für den Kabelkanal AMC entwickelt, der sich zuvor durch originelle Auftragsproduktionen wie Mad Men und Breaking Bad einen guten Ruf erworben hatte.

Der Begriff „Zombie“ ist afrikanischen Ursprungs und über Haiti und seinen Bezug zur Voodoo-Religion in die Populärkultur gelangt. Ursprünglich meint er einen „lebenden Toten“, der durch magische Rituale entweder als Lebender in den Zustand völliger Willenlosigkeit versetzt oder als Toter ohne eigenen Willen wieder erweckt wird. Die ersten Film-Zombies waren dann auch Opfer von Voodoo, und Voodoo war zentrales Filmmotiv – so in Victor Halperins White Zombie (1932) und Jacques Tourneurs I Walked with a Zombie (1943). Im Unterschied zum heute üblichen Bild des Zombies sahen diese noch aus wie normale (lebende) Menschen, wirkten jedoch wie Schlafwandler und traten einzeln auf. Anders als heute waren sie keine Kannibalen und wurden nicht nur von ihrem Fresstrieb gesteuert.

Die aktuell geläufige populärkulturelle Semantik des Begriffs haben vor allem Filme des Regisseurs George A. Romero geprägt, insbesondere Night of the Living Dead (1968) und Dawn of the Dead (1978). Anders als vielen Nachahmern im allmählich entstehenden Horrorsubgenre des Zombiefilms ging es Romero nie um das Zeigen von Metzeleien als Selbstzweck. Wie Menschen Zombies abschlachten und Zombies Menschen, das hatte immer auch symbolische Bedeutung. Zentraler Handlungsort in Dawn of the Dead ist ein Einkaufszentrum, von dem sich Menschen wie Zombies angezogen fühlen. Der Film legt den Gedanken nahe, dass dies kein Zufall ist, da die Gier nach dem Besitz von Waren uns alle ohnehin in Konsumzombies verwandelt.

Night of the living dead, Zombie, 1968
Night of the Living Dead, Zombie, 1968

Die Figur des „Zombies“ war damit als radikal ambivalente etabliert. Einerseits ist sie heute ein Vehikel, um heftigste Gewaltbilder zu legitimieren, andererseits aber auch ein subtiles Vehikel zum Kommentieren gesellschaftlicher Zustände. Mit dieser inhärenten Spannung eignet sich der „Zombie“ nicht nur hervorragend für filmische Genreparodien (wie etwa Shaun of the Dead [2004]), sondern auch als Motiv in völlig anderen populärkulturellen Kontexten, wie beispielsweise musikalischen. Im Text des 2007 veröffentlichten Stücks Junge der Band Die Ärzte kritisiert ein Elternteil seinen Sohn, in besorgtem und vorwurfsvollem Ton. Aus der Art der Kritik lässt sich ersehen, dass es sich bei den Eltern des Jungen um peinlichste Spießer handelt. Für dieses Stück wurde ein Videoclip produziert, der – als bewusste Hommage an George A. Romero – die heile Vorstadtwelt der Eltern als Zombie-Territorium zeigt. Im Clip performiert die Band das Stück auf dem Dach eines Kleinbusses, während sich immer mehr Anwohner in Zombies verwandeln und die Band angreifen. Das Video lässt keinen Zweifel: Nicht der „Junge“ ist das Monster, sondern seine Eltern und ihre vermeintlich heile Welt, die sie zwangsläufig in Zombies verwandelt. Nachdem ein FSF-Prüfausschuss das Video wegen zahlreicher Splatter-Elemente erst für das Spätabendprogramm freigegeben hatte, ließ die Band eine „zensierte“ Version herstellen, bei der heikle Bilder durch Textinserts (z.B. „Diese Szene würde ich meinen Kindern auch nicht zeigen“) und comichafte Bildcollagen verdeckt werden und die für eine frühere Sendezeit auferlegte Bearbeitung ironisiert.

Im aktuellen Fernsehprogramm beschäftigen Zombies den Jugendmedienschutz vor allem durch die Serie The Walking Dead. In einer nicht spezifizierten Nahzukunft kämpft hier in den USA eine kleine Gruppe von Menschen in einer weitgehend zombiefizierten Umwelt ums Überleben. Auch hier wird die Ambivalenz des Zombiemotivs extensiv ausgespielt – einerseits werden in drastischen Bildern Gewaltakte von Menschen gegen Zombies und Zombies gegen Menschen gezeigt, andererseits dient die bizarre Ausgangssituation als Setting für eine Art fiktionales Sozialexperiment – Wie würden sich ganz normale Menschen in einer extremen Ausnahmesituation verhalten, in der konventionelle Vorstellungen von menschlichem Verhalten und Moral keine Bedeutung mehr haben?

Für den Jugendmedienschutz ergibt sich hier ein besonderes Problem. Zwar weiß man mittlerweile einiges über den Erwerb von Genrekompetenz durch Kinder und Jugendliche, aber in diesem Fall geht es um etwas mehr. Wer mit Zombiefilmen und -serien etwas anfangen will, muss nicht nur mit verschiedenen Bedeutungen hantieren, sondern mit zwei Bedeutungsebenen, wobei es die eine nicht ohne die andere gibt. Mehr als das: Die eine setzt die andere voraus – und zwar in beiden Richtungen. Die Metaphorik des Zombiegenres ohne drastische Bilder würde der Meta-Erzählung ihre Dramatik und Dringlichkeit nehmen, die blutrünstigen Bilder ohne Metaphorik würden diese auf dumpfe Oberflächenreize reduzieren, womit sie allenfalls noch für Zombies interessant wären.

Über Gerd Hallenberger

Dr. phil. habil. Gerd Hallenberger forscht als freiberuflicher Medienwissenschaftler über Fernsehunterhaltung, allgemeine Medienentwicklung und Populärkultur. Er lehrt an verschiedenen Universitäten und ist Mitglied des Kuratoriums der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).