Serien-Identitätskrise

Die Emmy-Nominierungen sind raus. Und es herrscht Kategorienchaos. Ein Problem, das der Kritiker Alan Sepinwall als Vorgang umreißt, wenn eine Serie wie Shameless von der Dramakategorie ins Komödienfach wechseln kann, nachdem sie die düsterste Staffel überhaupt abgeliefert hat. Wenn True Detective als Dramaserie angesehen wird, während American Horror Story eine Miniserie ist, obwohl beide Shows dieselbe Struktur haben. Und wenn die vierte Staffel von Treme als Miniserie gehandelt wird, weil davon nicht genug Folgen produziert wurden, um irgendwo sonst eingereicht zu werden.

Gerade das Einreichen von True Detective mit seinen acht Folgen und abgeschlossener Handlung als Dramaserie hat für einiges an Diskussionen gesorgt.

Denn es handelt sich dabei um eine sogenannte Anthologieserie. Das heißt, dass sie zwar auf mehrere Staffeln ausgelegt ist und eine thematische oder motivische rote Linie hat, aber dennoch sowohl die Figuren als auch die Geschichte in jeder Staffel wechseln, mithin auch der Cast und die Regisseure. Das Attribut der abgeschlossenen Handlung ist allerdings ein Merkmal der Miniserie. Weitere Charakteristika sind laut Television Academy, dass alle Teile unter demselben Titel gezeigt werden und heterogen in ihrer Produktion sind. Eine Miniserie hat zwei oder mehr Folgen, die zusammen mindestens vier Stunden laufen müssen, wie Denise Martin auf Vulture zusammengetragen hat. Der Grund, wieso True Detective dennoch in der Kategorie Drama läuft, hat etwas mit den zwei Wörtchen „created by“ zu tun. Weil der Macher der Serie, Nic Pizzolatto, mit diesen Worten im Vorspann eingeführt wird, landet die Serie automatisch in der hart umkämpften Kategorie Drama. Ein Umstand, der sich durchaus ändern ließe, doch einen Mehraufwand bedeuten würde. Was die Leute von American Horror Story jedoch nicht abgehalten hat, wodurch die Serie in dieser Kategorie einen Haufen Preise abräumte, während sie woanders kaum eine Chance gehabt hätte. Die Serie Fargo wiederum, die strukturell komplett identisch ist mit True Detective, hatte ihren Macher mit den Worten „created for television by“ eingeführt, erklärt Martin weiter. Und damit war der Weg frei für die frisch wieder abgespaltene Miniserien-Sparte.

Denn von 2011 bis 2014 gab es eine Doppelkategorie Miniserie/TV-Film, weil es vor 2011 immer wieder zu wenige Kandidaten für die Kategorie Miniserie gegeben hatte. Diese zusammengelegte Sparte wurde dieses Jahr wieder aufgespaltet in Miniserie und TV-Film. Denn siehe da, es gibt plötzlich genug Kandidaten sowohl für das eine als auch für das andere. Dennoch ist die Dramakategorie immer noch die begehrteste, weil sich damit das größte Prestige verbindet. Doch damit einher geht auch ein harter Wettbewerb. Darin tummeln sich Platzhirsche wie Mad Men, Breaking Bad und Game Of Thrones, gegen die True Detective nun antreten muss. Als Miniserie hätte sie es einfacher gehabt, doch auch das Ansehen der Preise wäre etwas geringer gewesen. So zumindest spekulieren die Kritiker.

Aus Sicht der Preisverleihung müsste das Kategorienchaos eigentlich besorgniserregend sein. Denn die Dekorierung der Serien basiert auf Vergleichbarkeit. Und Vergleichbarkeit ist nur gegeben, wenn Serien mit gleichen oder ähnlichen Merkmalen gruppiert werden können, um dann gegeneinander anzutreten. (Nicht gestellt soll hier die Frage nach dem generellen Sinn oder Unsinn von Preisverleihungen.) Verwischen die Kategorien, dann drohen die Preise an Glaubwürdigkeit und Relevanz einzubüßen. Der Vorsitzende der Television Academy, Bruce Rosenblum, ist jedoch wenig besorgt, wie Sepinwall berichtet. Das seien gute Neuigkeiten, sagte er auf der Emmy-Pressetour. Die Branche würde viel produzieren und dazu viel Einzigartiges und Vielfältiges, das nicht in klar definierte Schubladen passe. Und mehr Kategorien einzuführen – eine der Forderungen, die Kritiker im Laufe dieser Debatte gestellt haben –, würde nur die Verleihung in die Länge ziehen, was niemand wolle. Denn es gibt inzwischen einige Serien, die nicht in die klassischen Drama- und Comedysparten eingeordnet werden können. Eine Serie wie Orange Is the New Black konkurriert in der Comedysparte, macht aber eigentlich eine eigene auf. Sie hat sicher komödienhafte Züge, aber mit einer Folgenlänge von fast einer Stunde und einem Frauengefängnis als Handlungsort hat sie definitiv mehr von einem Drama, auch wenn diese nie so düster wird wie etwa bei Mad Men oder Breaking Bad.

In einem Punkt hat Rosenblum jedoch Recht. Die Kategorienproblematik ist Ausdruck der florierenden Branche. Das Verschwimmen der Formate ist sicherlich ein Zeichen der Evolution von TV-Serien. Ein Zeichen dafür, dass es primär um die Geschichten geht und nicht darum, wie viele Folgen eine Staffel hat. Die Tatsache, dass die Produktion von TV-Serien aus dem Korsett der Sender-Netzwerke befreit wurde, sorgt dafür, dass sich auch die Formate verändern. Über die Serie Sex and the City schreibt Amanda Lotz etwa, dass das flexible und werbefreie Programm von HBO es den Machern erlaubte, Folgen in einer Länge zu entwickeln, die von der Handlung bestimmt wurden und nicht vom strengen 22-Minuten-Format der üblichen Comedyshows. Innovation entsteht dort, wo tradierte Modelle aufgebrochen oder neu kombiniert werden. Die Einteilung in Drama- oder Miniserie erscheint aus Publikumssicht nicht wirklich relevant. Als Zuschauer bin ich einfach nur begeistert von den vielschichtigen Figuren, den ungewöhnlichen Plots und außergewöhnlichen visuellen Umsetzungen; und dankbar für die spannenden, gut erzählten und hervorragend besetzten Geschichten, von denen es im Fernsehen heutzutage nur so wimmelt. Doch auch für den Zuschauer bieten Auszeichnungen bis zu einem gewissen Grade Orientierung. Weswegen ihre Glaubwürdigkeit eine Rolle spielt. Doch für die Branche, schätzt Sepinwall, hat das Kategorienchaos Vorteile: „This is an industry award, and this dumb situation is currently beneficial to that industry.“ Zum Beispiel dadurch, dass das Kategoriendilemma für HBO mit der True Detective-Nominierung schon jetzt ein Gewinn ist. Eine Änderung dieses Zustandes, so Sepinwall, wäre also wohl nicht bald zu erwarten.

Sky strahlt True Detective ab dem 08. September 2014 noch einmal montags bis freitags um 19.00 sowie ab 6.10. ebenfalls montags bis freitags 20.00 Uhr aus. Die komplette erste Staffel steht darüber hinaus auch auf Sky Go zum Abruf zur Verfügung.

Über Katja Dallmann

Katja Dallmann hat ein Übersetzer-Diplom und einen Bachelor in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft abgeschlossen. Sie ist freie Übersetzerin und Autorin, hat als Onlineredakteurin gearbeitet und verschiedentlich in Print und Online publiziert. Katja ist leidenschaftlicher Serienfan und bloggt sonst unter Serielle Schnittstelle.