Elch verführt Kinder

Wettbewerbsrecht: Wann verstößt ein Werbespot gegen das Verschleierungsverbot?

Erläuterung:
§ 4 Nr. 3 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG): Unlauter handelt insbesondere, wer den Werbecharakter von geschäftlichen Handlungen verschleiert.

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Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (Kläger) verlangt von der Betreiberin der Webseite www.kindercampus.de (Beklagte) den Verzicht auf einen Werbespot, der in seinen Augen gegen das Verschleierungsverbot des Wettbewerbsrechts (§ 4 Nr. 3 UWG) verstößt. Die Internetseite enthält ein Spiel- und Quizangebot und bietet kindgerechte Nachrichten zu den Themen „Schule“, „Natur“, „Stars und Sternchen“. Zielgruppen sind Kinder und Preteens ab 7 Jahren. Der umstrittene Werbespot ist so gestaltet, dass in einer Winterlandschaft ein Elch auftaucht, der dem Nutzer einen Schneeball zuwirft. Anschließend erscheint die Aufforderung: „Klick und wirf zurück“. Sodann taucht der Elch an unterschiedlichen Stellen der Winterlandschaft auf. Per Mausklick kann der Nutzer den Elch mit einem Ball abwerfen. Unter dem Feld, auf dem der Elch zu sehen ist, befindet sich das Wort „Werbung“. Nach drei Wurfversuchen wird der Spieler auf die Seite www.ecke-des-monats.de der Firma Müller geleitet, auf der kindgerecht mit weiteren Spielen für Joghurt geworben wird.
Diese Werbung sollte per einstweiliger Verfügung aus dem Kindercampus-Onlineauftritt verbannt werden. Dagegen legte die Webseitenbetreiberin Widerspruch ein.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung trug sie vor, dass sich die ausreichende Erkennbarkeit als Werbung bereits aus dem Zusatz „Werbung“ ergebe; auch lenke die Interaktivität der Werbung nicht vom Werbecharakter ab. Zudem verfügten die angesprochenen Kinder und Jugendlichen über hinreichend Medienkompetenz, um eine in den „Content“ integrierte Werbung als solche auszumachen. Auch sei zu berücksichtigen, dass nur ein geringer Teil der Zielgruppe ohne elterliche Aufsicht im Netz surfe.
In erster Instanz entschied das Landgericht Berlin (23.03.2012, Az. 96 O 126/11) zugunsten der Verbraucherschützer. Nach Ansicht der Kammer verstößt die beanstandete Werbung gegen das (wettbewerbsrechtliche) Verschleierungsgebot. Die Kammer führte aus, dass Kinder und Jugendliche nicht in gleicher Weise wie Erwachsene befähigt seien, zwischen redaktionellen Beiträgen und Werbung zu unterscheiden. An die erforderliche Trennung seien daher besondere Anforderungen zu stellen. Jedenfalls sei die kleine Schrift „Werbung“ in Relation zum Elchspiel zu unauffällig. Die Medien- und Lesekompetenz von Kindern und Jugendlichen, wie seitens der Seitenbetreiberin vorgetragen, verkenne die Kammer nicht, jedoch müssten hierbei die Besonderheiten kindlichen Verhaltens berücksichtigt werden, insbesondere der ausgeprägte Spieltrieb. Die hier ansprechend gestaltete Aufforderung zum Spiel lasse andere Überlegungen vollständig in den Hintergrund treten – vergleichbar etwa mit der Situation im Straßenverkehr, wo Kinder dazu neigten, trotz elterlicher Belehrung im Spiel einem rollenden Ball blindlings auf die Fahrbahn zu folgen. Auch das Argument, nur ein geringer Teil der Zielgruppe sei ohne elterliche Begleitung im Netz unterwegs, greife nicht: Selbst Kindercampus beziffert ihn auf 12 % der 8- bis 9-Jährigen. Und sogar beim Surfen in Begleitung von Aufsichtspersonen sei naturgemäß davon auszugehen, dass diese nicht mit ununterbrochener Aufmerksamkeit die Internetaktivitäten der Kinder verfolgen würden.
Gegen dieses Urteil legte die Internetseitenbetreiberin Berufung ein. Doch auch die nächsthöhere Instanz, das Kammergericht Berlin,
entschied zu ihren Ungunsten.
Im Berufungsverfahren behauptete die Seitenbetreiberin, ein Verstoß gegen das Verschleierungsverbot (§ 4 Nr. 3 UWG)m liege gar nicht vor, denn Kinder würden den Joghurt regelmäßig gar nicht selbst kaufen. Insofern sei die inkriminierte Werbung ungeeignet, die angesprochene Zielgruppe zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie sonst nicht getroffen hätten (Anm. d. Red.: geschäftliche Entscheidung = jede Entscheidung eines Verbrauchers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er einen Kauf tätigen, eine Zahlung insgesamt oder teilweise leisten, ein Produkt behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit dem Produkt ausüben will,[…] [Quelle: http://www.omsels. info/die-verbote-oder-was-darf-ich-nicht/c-4- nr-1-uwg/3-beeintraechtigung- der-entscheidungsfreiheit]).
Der Senat begegnete diesem Einwand. Er sieht die geschäftliche Handlung schon darin, dass sich Kinder hier spielerisch näher mit der Werbung befassen und die Werbebotschaft später zu ihren Eltern transportieren. Das führe dann gegebenenfalls zum Kauf eines Produkts, das sie sonst nicht erworben hätten – worin eine „mittelbare geschäftliche Entscheidung“ zu sehen sei. Ansonsten folgte der Senat der ersten Instanz. Die Kennzeichnung der Werbung ist nach seiner Auffassung nicht hinreichend, um den geschäftlichen Charakter des Elchspiels auszumachen. Im vorliegenden Fall müssten es Kinder für ein Spielangebot der Seite halten und seien sich nicht darüber im Klaren, durch die Interaktion per „Klick und Wurf“ in die Kommunikation des Joghurtherstellers hineingelockt zu werden.
KG Berlin – 5. Zivilsenat, Urteil vom 15.01.2013 – 5 U 84/12

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Über Anke Soergel

Studierte Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln. Im Rahmen ihres Referendariats arbeitete sie u.a. bei der Verwertungsgesellschaft VG Bild-Kunst sowie bei der Produktionsfirma Zieglerfilm Köln GmbH. Als Volljuristin nahm sie 2008 ihre Tätigkeit als Referentin für Jugendschutzrecht bei der FSF auf. Sie betreut u.a. den Rechtsreport in der tv diskurs.