Sterben und Erben im Internet

„Statistisch gesehen“, stellt Autor Deusch einleitend fest, „sterben in jeder Minute drei Facebook-Nutzer.“ Gegenwärtig seien allein etwa 5 % aller Facebook-Accounts verstorbenen Nutzern zuzuordnen. Tendenz steigend. Neben Social-Media Identitäten hinterlasse jeder verstorbene Internetnutzer eine Vielzahl digitaler Spuren: Webseiten, Mailboxen, Blogs, Pay-Pal-Konten, Telekommunikationsverträge und vieles andere. Dieser Datenbestand werde als „digitaler Nachlass“ bezeichnet; eine allgemeingültige Definition dafür gebe es bislang nicht. Der Autor schlägt vor, darunter „die Gesamtheit der Rechtsverhältnisse des Erblassers betreffend informationstechnische Systeme einschließlich des gesamten elektronischen Datenbestands des Erblassers“ zu verstehen. Deusch beschreibt, wie unterschiedlich die Provider gegenwärtig mit den Daten verstorbener Nutzer umgehen: Einige gewährten Erben gegen Vorlage des Erbscheins Zugang zu den Accounts, andere hingegen sehen den Providervertrag mit dem Tod beendet und versagten Hinterbliebenen den Zugang, wieder andere löschten die Daten bei einer Inaktivität von drei bis sechs Monaten. Besonders kompliziert werde das Prozedere bei ausländischen Anbietern. So verlange Google die postalische Zusendung umfangreicher Legitimationsnachweise durch einen „autorisierten Vertreter“ an den Firmensitz in Kalifornien mitsamt Sterbeurkunde des verblichenen Users und deren „von einem entsprechend beeidigten Übersetzer ausgestellten, beglaubigten Übersetzung ins Englische“. Um das zu vereinfachen, könne jeder Nutzer seit April 2013 vorsorglich selbst „über die Funktion ‚Inactive Account Manager‘ bestimmen, ob und falls ja welche Person welche Daten nach einer bestimmten Zeit der Inaktivität seines GMail-Accounts erhält“. In der deutschen Rechtswissenschaft erkennt der Autor hinsichtlich wesentlicher Umstände Uneinigkeit. Einvernehmen gebe es nur darin, dass das Eigentum an der Hardware sowie die Rechte und Pflichten aus einem Providervertrag auf den Erben übergingen. Umstritten sei jedoch der Umgang mit elektronisch im Internet gespeichertem Content: Hier werde darüber nachgedacht, zwischen vererbbaren (z. B. E-Mails mit vermögensrechtlich relevantem Inhalt) und nicht vererbbaren Positionen (etwa Grußmails) zu unterscheiden. Letztere könnten auch an nahe Angehörige übergehen, die nicht zwangsläufig mit dem Erben identisch seien. Auch fehle es bislang an einer gesetzlichen Regelung, die den Erben einen Anspruch gegen Provider auf Herausgabe von Zugangs- oder Social-Media-Daten zuschreibe: Gegenwärtig scheitere ein solcher nach überwiegender Rechtsauffassung an der Bindung der Provider an das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG).

Rechtsreport FSF, Sterben und Erben im Web 2.0 (c) FSF

Vor dem Hintergrund dieser unklaren rechtlichen Situation zeigt der Autor abschließend Handlungsoptionen für Erblasser und Erben an. Er empfiehlt jedem Internetnutzer zu Lebzeiten eine „Kombilösung“: die Regelung des digitalen Nachlasses in einem Testament sowie die Hinterlegung einer vollständigen Liste des Nachlasses samt dazugehöriger Passwörter in einem Bankschließfach. Für den Erben sei eine zeitnahe Aufarbeitung des Nachlasses unerlässlich, um Haftungsrisiken zu vermeiden; so sei er etwa dazu verpflichtet, rechtswidrige Inhalte von der Webseite des Erblassers zu entfernen.

Aufsatz: Digitales Sterben: Das Erbe im Web 2.0
Autor: Dr. Florian Deusch, Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht in einer Regensburger Kanzlei
Quelle: Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge (ZEV), 1/2014, S. 1ff.

Dieser Beitrag sowie weitere Aufsätze, Urteile und Zusammenfassungen aus der Kategorie Recht finden sich in der aktuellen tv diskurs 68, 2/2014.

Über Anke Soergel

Studierte Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln. Im Rahmen ihres Referendariats arbeitete sie u.a. bei der Verwertungsgesellschaft VG Bild-Kunst sowie bei der Produktionsfirma Zieglerfilm Köln GmbH. Als Volljuristin nahm sie 2008 ihre Tätigkeit als Referentin für Jugendschutzrecht bei der FSF auf. Sie betreut u.a. den Rechtsreport in der tv diskurs.