Zum Ende der 1980er-Jahre wurde das Kino vom Zweikampf zwischen Sylvester Stallone und Arnold Schwarzenegger beherrscht: Wer galt als der größere Actionheld? Kinokomödien hießen Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft und Kuck mal, wer da spricht. Und plötzlich tauchte ein Film auf, in dem nicht viel mehr passierte, als dass ein Mann und eine Frau mit viel Witz, Charme und Ehrlichkeit über Freundschaft, Beziehung und Sex sprachen. Das seit den 1940er-Jahren längst eingeschlafene Genre der Screwball-Comedy als Geschlechterkampf – wie Leoparden küsst man nicht oder Ernst Lubitschs Rendezvous nach Ladenschluss – wurde mit dem Film, den wir in dieser Ausgabe gesucht haben, auf einen Schlag wiederbelebt.
Die richtige Lösung lautet:
A) Harry und Sally
Es gibt Filme, die man sich gern ein zweites Mal ansieht. Aber es gibt auch Filme, die man sich immer wieder anschauen kann, die mit der Zeit sogar immer besser werden. Rob Reiners witzige und bissige Romanze Harry und Sally ist so ein Film. Er beobachtet moderne Großstadtmenschen, die so sehr auf der Suche nach der Liebe sind, dass sie sie nicht erkennen, wenn sie direkt vor ihnen steht. Als Harry (Billy Crystal) und Sally (Meg Ryan) sich bei einer Autofahrt nach New York zum ersten Mal begegnen, ist sie ein spleeniges, zickiges Collegegirl und er ein testosterongesteuerter, arroganter Aufschneider. Am Ende der Fahrt, bei der sie sich nicht sonderlich sympathisch finden, geht jeder seiner Wege, und obwohl wir Zuschauer es besser wissen, spricht wenig dafür, dass aus den beiden ein Liebespaar werden könnte. Fünf Jahre später laufen sie sich zufällig, aber ohne Folgen, wieder über den Weg. Erst weitere fünf Jahre später, nachdem sie beide aus komplizierten Beziehungen geflüchtet sind, entwickelt sich zwischen ihnen eine Freundschaft.
Können Frauen den Höhepunkt vortäuschen?
Als Harry und Sally in einem Café sitzen, behauptet Harry, er könne erkennen, wenn Frauen beim Sex einen Orgasmus nur vortäuschten („Bei mir hat noch keine Frau den Orgasmus vorgetäuscht.“). Die folgende Szene, in der Sally ihm lautstark vor allen Gästen einen Höhepunkt vorspielt, hat Meg Ryan im Kino auf einen Schlag unsterblich gemacht. Die ältere Dame, die anschließend „genau das, was sie hatte“ beim Kellner bestellt, wurde gespielt von der Mutter des Regisseurs, und das Zitat (im Original: „I’ll have what she’s having“) landete auf der Liste des American Film Institutes mit den 100 besten Filmzitaten aller Zeiten auf Platz 33. Katz’s Delicatessen, das Restaurant, in dem die Szene gedreht wurde, hat über dem besagten Tisch ein Schild aufgehängt mit der Aufschrift: „Where Harry Met Sally… Hope You Had What She Had! Enjoy!“.
Besonders aufschlussreich sind die Publikumsreaktionen: Die Drehbuchautorin Nora Ephron berichtet, dass Frauen bei der Szene sehr viel lachen würden. Sie haben Verständnis und wissen genau, was dort gerade vor sich geht (laut einer Umfrage gaben über die Hälfte der befragten Frauen an, schon einmal einen Orgasmus vorgetäuscht zu haben). Dagegen findet ein Großteil des männlichen Publikums Meg Ryans Vorstellung nicht annähernd so witzig und weigert sich zu glauben, dass so etwas im echten Leben, zumindest in ihrem Leben, passieren könnte.
So wie der vorgetäuschte Orgasmus eine weibliche Strategie demonstriert, sich dem sexuellen Leistungsdruck gleichzeitig zu fügen und zu entziehen, so spürt auch der Mann eine Last, denn die „Pflicht“ zum Orgasmus bei der Frau bedeutet für den Mann, ihr diesen verschaffen zu müssen. Wird er von der Frau nur vorgetäuscht, fühlt sich der Mann als Versager, meint der Sexualwissenschaftlers Bernie Zilbergeld. Vielleicht erklärt das die verhaltenen Reaktionen des männlichen Kinopublikums.
Können Männer und Frauen Freunde sein?
Eine von Harrys Thesen zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Film: Er ist davon überzeugt, dass Männer und Frauen nie nur befreundet sein können, da ihnen der Sex immer in die Quere kommt. Dieser Konflikt, der inzwischen als Harry-und-Sally-Syndrom bezeichnet wird, sorgt bis heute für Diskussionen, besonders in Zeiten von Mingles, in denen es so viel einfacher ist, sich nicht festzulegen und seine Freiheiten nicht für eine feste Partnerschaft aufzugeben, aber dennoch eine Zweisamkeit zu pflegen, die sich kaum von der eines normalen Paares unterscheidet.
Gibt es überhaupt eine platonische Freundschaft zwischen Männern und Frauen, wie Sally behauptet?
Psychologen sind der Ansicht, dass dies nur gelingt, wenn beide Seiten klare Grenzen einhalten und den anderen nicht attraktiv finden. Hier gibt es allerdings Geschlechtsunterschiede: Die Mehrheit der Männer findet ihre platonische Freundin attraktiv oder hat sogar ein sexuelles Interesse. Die Gefahr, in Versuchung zu geraten, ist also größer als bei Frauen, die ihren platonischen Freund nur sehr selten anziehend finden. Sie scheinen eher einen Unterschied zwischen einem potenziellen Partner und platonischen Freund zu machen. Dies kommt der biologisch-evolutionären Theorie entgegen, dass Männer wahlloser nach Partnerinnen suchen, um die Chancen auf Nachkommen zu erhöhen, und Frauen gezielt nach Mr. Right Ausschau halten, da ihnen ein Mann reicht, um Nachwuchs zu zeugen. Auch unsere Sozialisation macht es uns nicht leicht, platonische Freundschaften zu entwickeln: Von der Kindheit bis zum frühen Jugendalter bleiben Jungen und Mädchen mit all ihren anerzogenen geschlechtlichen Unterschieden eher unter sich. Mit dem Eintritt in die Pubertät soll dann im anderen Geschlecht das Objekt der (sexuellen) Begierde gesehen werden. Da bleibt für Freundschaft unter Männern und Frauen nicht viel Raum.
Was in der Realität so schwierig ist, funktioniert im Film natürlich viel problemloser: Harry und Sally überwinden ihre anfänglichen Differenzen und finden am Ende als Paar zusammen. Ihre spätere Beziehung widerlegt Harrys These, nach der Männer und Frauen keine Freunde sein können. Aus ihrer Freundschaft wird Liebe. Der Film möchte sogar sagen: Freundschaft ist die Basis für Liebe.