Die berühmten Sätze „Es reibt sich die Haut mit der Lotion ein. Das macht es, wann immer man es ihr sagt.“ sollte man – wenn man Ärger vermeiden möchte – besser nicht zitieren, wenn die Freundin gerade aus der Dusche kommt. Gesagt wird der Satz nämlich von einem Serienkiller, der sein weibliches Opfer ausschließlich in der dritten Person anredet, um keinerlei persönliche Beziehung zuzulassen.
„Buffalo Bill“, wie ihn die Medien und die Polizei in Anspielung auf seine perverse Neigung – junge, korpulente Frauen zu töten und zu häuten – nennen, hält sein Opfer in einem Brunnenschacht seines Hauses gefangen und verlangt, dass sie sich wäscht und mit einer Lotion eincremt, um die Haut geschmeidiger werden zu lassen. Mit Hilfe der Frauenhaut möchte er sich ein Kleid nähen, um sich selbst in ein weibliches Wesen zu verwandeln. Da kann so ein lockerer Spruch im Badezimmer durchaus schon mal falsch verstanden werden.
Ähnlich wie das Zitat „Here’s Johnny“ aus Shining ruft auch dieses hier Erinnerungen an äußerst gruselige Schockmomente hervor. Wer den gesuchten Film kennt, der wird einzelne Szenen und die Empfindungen während der Rezeption vermutlich nie wieder ganz vergessen haben. Alle anderen werden wahrscheinlich wegen der zahlreichen Grausamkeiten bisher und auch in Zukunft kein Interesse an ihm haben. Unentschlossenen und Neugierigen, denen die Szene mit der entführten und im Brunnen um ihr Leben flehenden Senatorentochter schon zu nahegeht, sei an dieser Stelle gesagt: es wird noch schlimmer!
Die richtige Lösung unseres Zitaterätsels lautet diesmal:
B Das Schweigen der Lämmer (1991)
Der Film Das Schweigen der Lämmer, in dem es vordergründig um die Jagd einer jungen FBI-Agentenanwärterin auf den besagten Frauenmörder geht, gilt als einer der schrecklichsten und zugleich nachhaltigsten der Filmgeschichte. Als Synthese aus den Genremustern Kriminalfilm, Thriller, Horror und Film Noir bietet er zahllose intensive Elemente des Grauens und des psychologischen Terrors ohne jedoch allzu viel direkte physische Gewalt und blutige Bilder zu zeigen. Vielmehr sind es die Ideen und die Folgen der Gewalt sowie die bedrückende Atmosphäre der Angst, die einen so lange danach immer noch beschäftigen.
Jonathan Demmes Film hat das Kino der 90er-Jahre und speziell das Genre des Psychothrillers sowohl in Bezug auf Inhalt als auch auf visuelle Gestaltungskonzepte entscheidend geprägt. Ohne ihn wären Filme wie Sieben oder Die üblichen Verdächtigen vermutlich nie so entstanden. Bei den Academy Awards 1992 gewann Das Schweigen der Lämmer Oscars in den fünf Hauptkategorien „Bester Film“, „Bester Hauptdarsteller“, „Beste Hauptdarstellerin“, „Beste Regie“ und „Bestes Drehbuch“, was überhaupt erst zwei Filmen und davor zuletzt 1976 Einer flog über das Kuckucksnest gelang.
Ein psychologisches Duell
Doch was sind die tieferliegenden Gründe für den Erfolg des Films? Dafür, dass es angeblich um die scheußlichen Morde von „Buffalo Bill“ (Ted Levine) geht, beschäftigt sich der Film, bis auf den spannenden Showdown im dunklen Keller seines Hauses, nur sehr halbherzig mit seinen Taten. Die Erwartungen der Zuschauer an einen klassischen Kriminalfilm werden lange Zeit nicht erfüllt.
Vielmehr geht es um eine ganz andere Konfrontation: Die angehende Agentin Clarice Starling, gespielt von Jodie Foster, soll sich auf Anraten des Chefs der psychologischen Abteilung Hilfe von Hannibal Lecter (Anthony Hopkins), einem wegen mehrfachen kannibalischen Morden inhaftierten ehemaligen Psychiaters holen. Das FBI erhofft sich durch ihn wertvolle Informationen zur Erstellung eines Täterprofils, schließlich kann er sich als Psychiater besser in die Gedanken des Täters hineinversetzen.
Starling besucht Lecter in einer Gefängnisanstalt, in der er unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen festgehalten wird. Hier beginnt das Herzstück des Films – das psychologische Duell zwischen der Agentin und dem Psychopaten. Lecter zeigt sich kooperativ, doch nur unter der Bedingung, dass Starling ihrerseits „quid pro quo“ Privates preisgibt, wodurch er ihre tiefen traumatischen Geheimnisse zu ergründen versucht. Der Film bezieht seine Spannung aus der Beziehung der beiden, aus dem Wettstreit, den sie führen, der aber immer auch von einer gegenseitigen Hochachtung füreinander geprägt ist.
Die junge Starling zeigt dabei eine Art und Größe von Entschlossenheit, die den Erfahrungsvorsprung von Lecter fast ausgleicht und sie zu einer ebenbürtigen Gegnerin macht. Trotz ihrer alptraumhaften Ängste, Unsicherheiten und Unerfahrenheit zeigt sie einen eisernen Willen, sowohl den Serienmörder zu überführen, Lecter gegenüber standhaft zu bleiben und die Alpträume ihrer Kindheit hinter sich zu lassen. Und auch Hannibal Lecters Charakter ist geprägt von Widersprüchen, die für uns als Zuschauer aber viel schwerer zu ertragen sind: auf der einen Seite seine Eloquenz, die in seiner hohen Intelligenz und Erfahrung als Psychiater begründet ist, zum anderen seine zutiefst verabscheuungswürdigen, alle Grenzen sprengenden Taten und, damit verbunden, das Fehlen von Gefühlen wie Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Empathie.
Dissoziale Persönlichkeitsstörung
Hannibal Lecters Selbstbild ist extrem narzisstisch, Formen der Moral sind ihm völlig fremd, er beurteilt andere Menschen nur danach, ob sie seine Intelligenz nicht nur anerkennen, sondern auch würdigen. Starling tut genau das und wird nur deshalb kein weiteres Opfer seines kannibalistischen Triebes. Im Gegenzug wird sie von ihm ein Stück weit akzeptiert, was allerdings noch nicht bedeutet, dass er sie als menschliches Wesen anerkennt.
Hannibal Lecter ist eine Kunstfigur, doch Hollywood arbeitet auch in der Charakterisierung seiner Figuren in Zusammenarbeit mit Psychologen überaus gründlich und so lassen sich in seinem Charakter Formen einer Persönlichkeitsstörung erkennen, die nach dem Diagnoseklassifikationssystem der Medizin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als dissoziale bzw. antisoziale Persönlichkeitsstörung bezeichnet werden kann und gekennzeichnet ist durch ein herzloses Unbeteiligtsein gegenüber Gefühlen anderer, die Missachtung sozialer Normen und Regeln, das Unvermögen längerfristige Beziehungen beizubehalten, eine geringe Frustrationstoleranz, eine niedrige Schwelle für aggressives Verhalten und der Unfähigkeit zum Lernen aus Erfahrung.
Der Film verweigert sich jedoch einer Erklärung seines Verhaltens. Diese liefert nur die Romanvorlage von Thomas Harris, wonach der behütet aufgewachsene Lecter seine Eltern im zweiten Weltkrieg verliert und mit ansehen muss, wie seine Schwester von SS-Offizieren wegen mangelnder Nahrungsvorräte getötet und verspeist wird. Dieses Trauma entfacht eine Wut gegen Nazis und willkürliche Obrigkeiten und gilt als Auslöser seines Kannibalismus.
Allerdings ist diese Herleitung nicht besonders stimmig, denn dissoziale Persönlichkeiten entstammen eher Familien, die in psychologischer und materieller Hinsicht in großen Schwierigkeiten leben. Die Kinder erfahren durch die Eltern keine emotionale Stabilität und bedingungslose Wertschätzung, sondern oft willkürliches Verhalten, wodurch sich ein großes Aggressionspotenzial entwickeln kann – aber eben nicht ausgelöst durch eine einzelne Situation, sondern durch viele kleine Verletzungen, die Selbstzweifel entstehen lassen. Zum Glück belässt der Film seiner Persönlichkeit etwas Unergründliches, in dem er auf die banale Erklärung verzichtet.
Das Perfide für uns Zuschauer ist, dass uns zwar stets bewusst bleibt, dass Hannibal Lecter ein brutaler Serienmörder ist, der seine Opfer verspeist, aber gleichzeitig präsentiert uns Anthony Hopkins diesen Mann als intelligenten Gentleman und „mörderischen Schöngeist“. Die Figur ist trotz ihrer Taten sympathisch konstruiert und gespielt. Daher ist es vermutlich eine Art voyeuristische Faszination, die uns im Kino ein schauerliches Vergnügen bereitet. Nicht ohne Genugtuung beobachten wir Hannibal Lecter am Ende des Films, nachdem er aus der Anstalt entflohen ist, wie er seinen karrierebesessenen Gefängnisdirektor verfolgt und im Telefongespräch mit Starling doppeldeutig formuliert: „I have an old friend for dinner“.