33. GMK-Forum, 18.-20. November 2016 in Cottbus
Der Titel des diesjährigen Forums der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) geht auf ein Buch von Lev Manovich aus dem Jahr 2008 zurück. Als Interface zur Welt hat die Software die Rolle der Technik übernommen. Die Algorithmen übernehmen das Kommando; oder sind sie nur der neue Mythos, gegen dessen Übermacht Pädagogik vergeblich anrennt? In älteren Science-Fiction-Filmen waren es wenigstens noch menschenähnliche KI-Roboter, die die Herrschaft antraten. Kann die Medienpädagogik der Held sein, der sie in ihre Schranken weist?
Viele Fragen, aber der Forumstitel trägt kein Fragezeichen, bemerkte die Brandenburgische Wissenschafts- und Kulturministerin Martina Münch in ihrer Begrüßung und formulierte die pädagogische Kernfrage: „Wie können Heranwachsende auf den Umgang mit eigenen und anderen sensiblen Daten vorbereitet werden?“ Diese Problematik einer kommunikativen Integrität soll im neuen Jugendschutzgesetz aufgegriffen werden.
In vier Vorträgen, zwei Podiumsdiskussionen, 12 Workshops und einigen Projekt-Präsentationen wurde die komplexe Thematik behandelt.
Isabel Zorn (TH Köln) nahm die Zuhörer mit auf ihren Gedankenweg, wie durch individuelle und kollektive Softwarenutzung kulturelle Phänomene entstehen. Konkret: wie Meinungsbildung nicht mehr durch Medien und ihre Macher, sondern durch die Algorithmen der Programme (z.B. die Facebook- und Google-Empfehlungen) gelenkt wird; wie scheinbar neutral beschreibend erfasste Daten (z.B. der Schrittzähler einer „Smart“-Watch) zu normativ bewerteten Daten werden (der Mitarbeiter, der sich zu wenig bewegt, wird zuerst entlassen). Harald Gapski (Grimme-Institut) zeichnete Entwicklungslinien nach, wie Medienbildung auf die verschiedenen Stufen der Digitalisierung reagiert. Anschaulich zugespitzt zeigt das die Frage: Was muß ein Medienführerschein umfassen, wenn das Auto selbst fährt? Thomas Knaus (FTzM Frankfurt) suchte nach konzeptionellen Potenzialen des Digitalen. Die 1:1-Ausstattung mit digitalen Medien ist durch das Smartphone heute eigentlich vorhanden, aber in der Schule ist die Verwendung meist verboten. Heidrun Allert (Uni Kiel) plädierte für mediale Praktiken, die die gestaltende Auseinandersetzung mit unbestimmten Situationen, d.h. Bildung unter den Bedingungen von Unsicherheit, befördern. Dieser abstrakte Gedankengang könnte z.B. konkret werden beim Test, was eigentlich passiert, wenn man bei Facebook alles liked.
In den Diskussionen des Forums wurde klar: Datenverzicht ist keine Lösung; kritisches Bewusstsein ist gefragt: z.B. was medienpädagogisch sinnvolle Apps im Hintergrund noch alles machen oder welche Konsequenzen die „Filterbubble“ hat, die uns nur noch die Informationen zeigt, die Algorithmen uns zuordnen.
In zwei Workshops wurde versucht, einfach und spielerisch in Aktion zu erklären, was Algorithmen sind.
Beide Male entstand ein mittleres Chaos, in dem zumindest klar wurde, um welch komplexes Phänomen es geht. Das aufgebaute digitale Kinderzimmer im Workshop der Fachgruppe Kita war da anschaulicher und provozierte nachdenkende Debatten.
Algorithmen wecken bei vielen Menschen vermutlich das Unbehagen, das sich mit dem Fach Mathematik verbindet. Wenn Medienpädagogen verstehen wollen, was da vor sich geht, brauchen sie 0-1-Kompetenzen und kritisches Wissen über die Algorithmen hinter den Apps. Und sie sollten Verbündete suchen, die das besser können und verstehen. Konstruktive Zusammenarbeit zwischen Informatik als Schulfach und Medienbildung als fächerübergreifender Kompetenz wäre da hilfreich, hat aber auch ihre Problemgeschichte; das wurde im Workshop der Fachgruppe Schule deutlich. Mehrfach wurde auf das Vorbild der „Dagstuhl-Erklärung“ verwiesen.
Auf dem Forum suchte man nach medienpädagogischen Lösungen, aber letztlich müssen es wohl gesellschaftspolitische Wege sein.
Der Sonntag des Forums widmete sich erstmals einem anderen aktuellen Thema, der Förderung und Beteiligung Geflüchteter in der Medienpädagogik. Nadia Kutscher (Uni Vechta) gab einen Überblick zur Situation Geflüchteter im Aufnahmeland BRD und zur Relevanz von Medien in dieser Situation. Einige Leuchtturm-Projekte wurden in kurzen Spots vorgestellt. Die Diskussion zeigte, dass vermutlich derzeit mehr Fragen offen als Modelle verfügbar sind und dass viele Fehler gemacht werden. Aber daraus kann man lernen; Handlungsempfehlungen und hoffentlich fortlaufend mehr zu diesem GMK-Schwerpunkt bietet die Seite www.medienpraxis-mit-gefluechteten.de
Das GMK-Forum lockte über 300 Fachleute in die BTU Cottbus; das Spektrum der Sponsoren dieses Kongresses zeigt die Anerkennung, die die GMK und ihr großes Jahresforum seit vielen Jahren genießt. Höhepunkt war wieder einmal die alljährliche Dieter-Baacke-Preisverleihung am Abend im altehrwürdigen Cottbusser Stadthaus, bei der aus 200 eingereichten Bewerbungen in fünf Kategorien 7 herausragende Medienprojekte ausgezeichnet wurden.
Die Pressemitteilung der GMK zur Tagung finden Sie hier.