Fortsetzung der Reihe Moral in Serien. In den kommenden zwei Tagen mit dem Vergleich der Serien 24 und Homeland. Beide US-Serien, die den „Krieg gegen den internationalen Terrorismus“, den die USA seit dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 verstärkt besonders gegen extremistische Islamisten führen, zum Hintergrund ihrer fiktiven Geschichten wählen. Bei aller Unterschiedlichkeit in Genre und Erzählweise spiegeln doch beide Serien wie kaum andere recht unmittelbar das politische Klima der Gesellschaft und die Veränderungen moralischer Werte unter Kriegsbedingungen in der Bush-Ära und der Obama-Zeit wider. Der Vergleich* beider Serien legt den Fokus auf die jeweiligen Hauptfiguren und das ethisch-moralische Koordinatensystem ihres Handelns.
Zeit ist Action
24 ist eine US-amerikanische Actionserie, in dessen Mittelpunkt der Spezialagent Jack Bauer (Kiefer Sutherland) in jeder Staffel in Zusammenarbeit mit der Antiterroreinheit CTU einen Terroranschlag auf die USA verhindern muss.
So sind Bauer und seine Mitstreiter in der CTU in der ersten Staffel beispielsweise mit der Verhinderung eines Anschlags auf den afroamerikanischen Präsidentschaftskandidaten David Palmer (Dennis Haysbert) beschäftigt, den eine Verbrecherorganisation und serbische Terroristen planen.Jede Staffel von 24 zeichnet sich dadurch aus, dass in ihr in 24 Folgen exakt ein Tag aus dem Agentenleben Bauers erzählt wird. Dementsprechend ist jede Folge (inklusive der Werbeunterbrechungen) 60 Minuten lang, erzählt also eine Stunde dieses Tages. Zeitangaben geben dem Zuschauer Orientierung.
Dabei wird die Handlung mit Jack Bauer im Zentrum in der Regel auf drei bis vier Erzählebenen parallel geführt, deren Momentaufnahmen immer wieder in Bildtableaus als Splitscreen präsentiert werden. Sie geben dem Zuschauer neben den Zeiteinblendungen zusätzliche Orientierungshilfe, sich in den komplex geführten Parallelplots zurechtzufinden. Durch diese permanente Parallelführung hochdramatischer Entscheidungsplots sowie durch die narrative Zeitstruktur, die Erzählzeit und erzählte Zeit als identisch suggeriert, werden die Grundprinzipien der Actionerzählung – Schnelligkeit, Rasanz, Zeitnot, Zeitdruck, Entscheidungsnotstände etc. – ins Extrem gesteigert. Die Staffeln enden nicht nur zumeist mit einem offenen Ende, das mit einem überraschenden Cliffhanger für den Zuschauer verbunden ist, auch vor jedem Werbeblock in jeder Folge gibt es Cliffhanger, wodurch der Aufbau hoher Spannung zum erzählerischen Grundprinzip von 24 gehört, sie als innovative Actionserie auszeichnet und ihren enormen Erfolg beim Fernsehpublikum begründet. Allein 13 Mio. Menschen sahen die Serie in den USA.
Durch das Prinzip „Zeit ist Action“ soll aber auch erzählt werden, dass Agenten und Politiker im geheimen Krieg gegen den Terrorismus Entscheidungen unter ständigem Zeitdruck treffen müssen. Es kommt zu stressbedingter Überforderung. Es werden Fehler gemacht. Allerdings kaum von Jack Bauer selbst. Interessanterweisebewegt sich die Hauptfigur von 24 mit einem klaren Wertekompass durch das dargestellte Zeit-Labyrinth aus Stresssituationen und Fehlentscheidungen.
Klassische Heldenfigur, gebrochene Persönlichkeit
In den parallel geführten Handlungssträngen von 24 werden sowohl Bauers Handeln, seine Alleingänge, seine Konflikte mit den Vorgesetzten der Antiterroreinheit CTU und seine privaten Verstrickungen als auch die angespannte Situation im CTU-Lagezentrum mit den Verstrickungen und Intrigen auf der politischen Ebene und mit dem Handeln der verschiedenen Antagonisten verbunden, die im Laufe der Handlung von Bauer mehr und mehr enttarnt und entlarvt werden. Dabei hat Bauer nicht nur mit „äußeren“ Gegnern, sondern stets auch mit „inneren“ Feinden zu kämpfen, mit „Maulwürfen“ und Verrätern in den eigenen Reihen, aber auch mit politischen Widersachern im US-Regierungsapparat, die den Terrorismus benutzen, um ihre Interessen bis hin zum Staatsstreich versuchen durchzusetzen.
Die dramaturgische Entwicklung des Actionplots jeder Staffel folgt hierbei der Ästhetik von Videospielen. Bauer löst im Rahmen seines 24-stündigen Auftrags eine Aufgabe nach der nächsten, wobei er quasi von einem niedrigen zu einem nächsthöheren Level gelangt und sich dabei der Schwierigkeitsgrad der Aufgabenlösung stets erhöht. Zum erhöhten Schwierigkeitsgrad zählt der wachsende Zeitdruck, weil der Zeitpunkt des Anschlags näher rückt oder in wenigen Minuten eine wichtige Begegnung der Antagonisten, die Übergabe terroristischer Waffen etc. bevorsteht. Unter diesen Bedingungen muss die Hauptfigur schnelle Entscheidungen treffen.
In der Logik der 24-Geschichten trifft Bauer erstaunlicherweise (fast) immer die richtigen Entscheidungen, während die meisten Figuren um ihn herum aus Ignoranz, Überforderung oder weil sie durch Falschinformationen geblendet sind, oft zu Fehlentscheidungen gelangen, die Bauer dann ausgleichen muss. Jack Bauer wird gegenüber den mit Gesetzen und Verwaltungsvorschriften belasteten Mitarbeitern des Antiterrorapparats und ebenso gegenüber den in Intrigen und Zwängen verstrickten Politikern von Staffel zu Staffel mehr als autonome, frei entscheidende Führerpersönlichkeit aufgebaut. Ein Superheld, wie man ihn aus dem Comic kennt, eine Art moderner „Mr. America“.
Wie diese fiktiven „American Heroes“ ist auch Bauer eine klassische Heldenfigur. Sie besitzt einen klaren Ehren- und Wertekodex, aus dem heraus sie handelt. Bauer wird als der moderne „Ritter ohne Fehl und Tadel“ dargestellt, erinnert natürlich auch an den guten Sheriff par excellence, wie ihn einst Gary Cooper in Fred Zinnemanns 12 Uhr mittags verkörperte. Er will Schaden von seinem Land, von seiner Familie und seinen Freunden abwenden. Er ist schlauer als die Gegner, durchschaut nicht immer, aber immer schneller als seine Partner, den US-Präsidenten eingeschlossen, die Finten und Hinterlistigkeiten der Gegenseite – eine durch und durch ideologisierte Kunstfigur.
Der Sender Fox, der 24 produzieren ließ, versuchte so zumindest fiktional, das überkommene Weltbild der USA als „Weltpolizist“ und Beschützer der freien Welt gegenüber einem Publikum zu erretten, das nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 tief erschüttert und verunsichert war ob der Kraft und der Möglichkeiten der Bush-Regierung, der Geheimdienste etc.
In 24 wird nun Bauers „gute“ paramilitärische Kraft mit der verunsicherten, schließlich sogar intriganten Macht der politischen Elite verbunden. Dies ist die kongeniale Volte der Serienmacher, um dem Zuschauer selbst dann noch ein Gefühl der Sicherheit zu geben, als die Führungsschwäche des US-Präsidenten George W. Bush in der Mitte des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrtausend immer offensichtlicher und der Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Führungsstärke der republikanischen US-Regierung immer größer wurde.
Doch in Gestalt von Jack Bauer konnte das idealistische Bild der USA als Weltmacht, die stets das Gute will und auch stets das Gute schafft, selbst wenn es böse Taten begeht, Woche für Woche auf den Bildschirmen erscheinen und so wenigstens fiktional überleben, während in der Realität des Irakkrieges, des Gefangenenlagers von Guantanamo und des Folterskandals von Abu Ghraib das Wertesystem unterzugehen drohte, für das die USA erklärtermaßen ihre Kriege zu führen beabsichtigen: die Freiheits- und Menschenrechte. In dieser Situation lieferte 24 nun auch die moralische Rechtfertigung der Anwendung von Folterpraktiken seitens der US-Administration gleich mit: Die Serie suggeriert dem Publikum, dass die USA im Abwehrkampf gegen den Terror klassische Helden wie Jack Bauer brauchen.
Um seine schnellen Entscheidungen treffen zu können, benötigt Bauer wiederum so schnell wie möglich die wichtigsten Informationen. Um diese zu erlangen, kann er in der Zeitnot, die 24 als konstitutiv für den Terrorkrieg behauptet, auch vor dem Mittel der Folter nicht zurückschrecken. Folter wird als notwendig für den Helden dargestellt, um seine letztlich positiven Ziele erreichen zu können. Seine Gegner handeln dagegen durchweg böse, um des Bösen willen: Sie foltern aus niederen Beweggründen, aus Sadismus, Rache und Grausamkeit. In den Folterszenen wird zwar auch Bauer als höchst aggressiver Charakter gezeigt. Doch sein Handeln wird psychologisch dadurch untermauert, dass er im Laufe seines Kampfes gegen den internationalen Terrorismus selbst Opfer massiver Folter geworden ist und zudem die gegnerischen Terroristen sein Privatleben mehr und mehr zerstört haben. Seine Familie hat er verloren, jede private Beziehung wird durch die Gewalt der Gegner bedroht; Freunde werden zum Faustpfand des Gegners im Krieg des Terrors.
So zeigt die Bauer-Figur auch die Schattenseiten eines modernen Helden. Er ist eine zunehmend gebrochene Persönlichkeit, ein einsamer Held, der glaubt, im privaten Leben verflucht zu sein, weil all seine Privatbeziehungen an seiner und durch seine Agententätigkeit scheitern. Schließlich taucht er sogar unter, doch immer wieder holt ihn seine „Bestimmung“, als Retter Amerikas auftreten zu müssen, ein2. Auch diese Kehrseite des 24-Helden ist eine stark ideologisierte Figurencharakterisierung und entspricht gleichfalls dem konservativen Bild vom „starken Amerika“, in dem alle Bürger zu (militärischen) Opfern und die aktiven Kämpfer noch zu viel mehr bereit sein müssen, um den Weltmachtstatus der Nation und den „war of ideas“ (Arin, K. Y.: Die Rolle der Think Tanks in der US-Außenpolitik. Heidelberg 2013, S. 100) weltweit aufrechterhalten zu können.
*Angesichts der Stofffülle der acht Staffeln 24 plus TV-Film sowie eingedenk der Tatsache, dass sich Homeland noch weiter in Produktion und Ausstrahlung befindet, bezieht sich der Vergleich beider Serien schwerpunktmäßig auf die jeweils erste Staffel. Das macht für den hier darzulegenden Zusammenhang auch deshalb Sinn, weil in der ersten Staffel die zentralen Figuren mit den Motiven ihres Handelns eingeführt werden.
Morgen geht es weiter! Unter dem Titel Die Moral eines geheimen Krieges. Homeland – der Blick in eine paranoide Gesellschaft folgt die Fortsetzung der tv diskurs-Artikelreihe Moral in Serien, die wir auch hier im FSF-Blog veröffentlichen.