Jugendschutz im Smart-TV

Schneller Wandel, starre Regeln

Wenn man gerade den neuesten Fernseher gekauft hat, der technisch angeblich auf dem aktuellsten Stand ist, stellt man häufig schon kurze Zeit später fest, dass man noch drei Monate mit dem Kauf hätte warten sollen, denn die Geräte werden schnell besser und billiger. Ähnlich geht es auch den Medienregulierern: Kaum hat man eine Lücke geschlossen, tun sich schon wieder einige neue auf.
Der gegenwärtige Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) stammt aus dem Jahr 2003. Der Jugendschutz, den man aus dem Fernsehen kannte, sollte auf das Internet ausgedehnt werden. Allerdings ging man damals noch davon aus, im Netz nur Zugang zu Bildern, Tabellen und Texten zu erhalten. Heute hingegen bietet das Internet alles, was in den klassischen Medien getrennt wurde. Bereits zwei Jahre nach der Verabschiedung des JMStV war klar, dass diese mediale Konvergenz nicht bedacht worden und das Gesetz somit schon veraltet war.
Ein weiteres Problem des Gesetzes bestand in den zu hohen Sicherheitsanforderungen an ein Jugendschutzprogramm, das eine Alternative zu den im Fernsehen üblichen Sendezeitbeschränkungen bieten sollte: Wenn die Anbieter ihre Inhalte mit einer für das Jugendschutzprogramm auslesbaren technischen Kennzeichnung versehen, brauchen sie sich nicht mehr an Zeitbeschränkungen zu halten. Weil aber die Aufsicht mit Verweis auf die gesetzliche Grundlage hohe Sicherheitsanforderungen stellte, wurde erst 2011 ein Jugendschutzprogramm (JusProg) anerkannt. Am Ende dieses langen Prozesses haben wir nun die unbefriedigende Situation, dass ein solches Programm nur auf Windows-Rechnern funktioniert. Weder auf Geräten von Apple noch auf Tablets oder Smartphones gibt es bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein adäquates Angebot. Dennoch erfüllt der Anbieter mit der technischen Kennzeichnung seine Verantwortung und kann auf Zeitbeschränkungen verzichten.
Noch bevor diese Lücke geschlossen wird, arbeiten Techniker der Gerätehersteller und der Fernsehsender bereits an weiteren Angeboten, für die das Gesetz keine Regelung bereithält. Schon auf den aktuellen Hybridfernsehern werden Inhalte angeboten, die je nach Bezugsquelle als „Rundfunk“ oder als „Telemedien“ zu bezeichnen sind – obwohl sie aus demselben Gerät kommen. Gegenwärtig werden Geräte und Inhalte entwickelt, bei denen der Zuschauer über eine spezielle Taste – ähnlich wie die, mit der er bisher den Videotext eingeschaltet hat – unten im Bild auf verschiedene Zusatzangebote des Senders verwiesen wird. So kann er beispielsweise Krimis oder Castingshows auswählen und bekommt dann linear entsprechende Sendungen hintereinander angeboten. Das wäre wahrscheinlich unter „Rundfunk“ einzuordnen, obwohl die Inhalte aus dem Internet bezogen werden. Wird der Rezipient jedoch auf eine Mediathek weitergeleitet, über die er zeitunabhängig diverse Krimis beziehen kann, handelt es sich um „Telemedien“. Das heißt jugendschutzrechtlich: Bei einem linearen Angebot muss auf die Sendezeitbeschränkung im Rundfunk geachtet werden, während die als „Telemedien“ angebotenen Inhalte lediglich für das Jugendschutzprogramm gekennzeichnet werden müssen, das aber auf diesen Fernsehgeräten – jedenfalls bisher – gar nicht funktioniert. Auf der Grundlage des neuen Hybrid Broadcast Broadband TV (HbbTV) werden gleichzeitig spezifische programmbezogene Informationen oder Dienste durch den Sender bereitgestellt. Der Zuschauer kann so beispielsweise Zusatzinformationen zu Schauspielern oder Gebäuden im gerade laufenden Programm erhalten oder gleich das Kleid einer Darstellerin im Versandhandel bestellen. Wie will man hier noch zwischen „Rundfunk“ und „Telemedien“ unterscheiden?

Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) versuchen derzeit, Inhalteanbieter und Gerätehersteller auf das Jugendschutzthema aufmerksam zu machen und gemeinsam nach einer tragfähigen Lösung zu suchen. Da aber die Gerätehersteller sehr unterschiedliche Interessen haben und in der Regel auch nicht in Deutschland herstellen, wird ein solcher Prozess nicht leicht werden. Er wird allerdings noch dadurch erschwert, dass alle Überlegungen auf einer gesetzlichen Grundlage basieren, die für diese neue Technik eigentlich gar nicht mehr passt. Es zeigt sich wieder einmal, dass starre Gesetze für einen sich ständig wandelnden Markt nicht geeignet sind. Der Gesetzgeber täte gut daran, sich auf einen gesetzlichen Rahmen zu beschränken, der im Detail zwischen Selbstkontrolle, Aufsicht und den Anbietern ausgehandelt, gestaltet und entwickelt werden muss. Nur so kann verhindert werden, dass gesetzliche Regelungen meist schon überholt sind, wenn sie in Kraft treten.

Über Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift tv diskurs. Von 1985 bis April 1994 war er als Ständiger Vertreter der OLJB bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) tätig, von April 1994 bis 2019 führte er die FSF als Geschäftsführer. Daneben bekleidet Joachim von Gottberg seit 2006 eine Honorarprofessur für das Fach Medienethik/Medienpädagogik an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF in Potsdam und seit 2015 außerdem eine Vertretungsbefestigung für den Bereich Medien und Kommunikationswissenschaften in Halle.