„Se Film Teitle Deilämma“

Vor ein paar Monaten bin ich in ein Kino marschiert und mein Blick fiel auf ein Plakat, das mir sehr bekannt vorkam. Es zeigte Tom Hardy hinter dem Steuer eines Autos, etwas verschwommen mit blauen und goldgelben Lichtreflexen. Ein Plakat, das ich schon im Internet gesehen hatte. Ach!, dachte ich, „Locke“ kommt raus! Von dem Film hatte ich nur Gutes gehört und Freude kam auf, dass er nun in Deutschland zu sehen sein würde. Nur … auf dem Plakat stand nicht „Locke“ (was der Nachname des Haupthelden ist), da stand: No Turning Back. Nachdem ich kurz an meinem Verstand gezweifelt hatte, dämmerte mir schlagartig, dass hier der deutsche Verleiher mal wieder zugeschlagen haben musste. Der englische Originaltitel wurde durch einen – wie immer schlechteren – ebenfalls englischen Filmtitel ausgetauscht. Schließlich hat das Verhunzen von Filmtiteln in diesem Land lange Tradition, wie dieser Spiegel-Text auf den Punkt bringt: „[Filmfans] ärgern sich über verkorkste Filmtitelübersetzungen, die vor Fehlern strotzen, irreführen, albern klingen, mit dem Plot nichts mehr zu tun haben – oder unendlich lang sind.“ Für all das kann man unzählige Belege finden, wie etwa hier bei den Moviepiloten.

Das Beispiel „Locke“ ist etwas, was dieser Aufzählung noch hinzuzufügen ist: das schon erwähnte Ersetzen englischer Filmtitel durch andere englische Filmtitel für den deutschen Markt. Und ich habe irgendwie die sehr subjektive Empfindung, dass das in letzter Zeit zugenommen hat. Hin und wieder sind die englischen Titel sogar komplizierter und schwieriger auszusprechen als das Original. So wie bei Can a song save your life: Ein Titel, der für das englische Original verworfen wurde, zu Gunsten von Begin again und dann aus unerfindlichen Gründen für den deutschen Markt wiederbelebt wurde. Und bei dem es sich nicht vorrangig um ein Drama, sondern eher um eine leichte Musik- und Liebesgeschichte handelt. Liam-Neeson-Filmtitel eignen sich offenbar besonders gut für diese unübertroffen idiotische Strategie – legendär ist mittlerweile 96 Hours, das im Original bekanntermaßen Taken heißt und aus Unknown wurde Unknown Identity. Allerdings wird dem nächsten Neeson-Kracher die zweifelhafte Ehre zuteil, wirklich einen der jetzt schon dämlichsten Filmtitel aller Zeiten verpasst bekommen zu haben – Ruhet in Frieden – A Walk among the Tombstones. Den eleganten englischen Titel zum Untertitel zu machen  und ihm einen generischen wie völlig platten deutschen ‚Vortitel‘ zu verpassen, ist wirklich ganz großes Kino.

Auch Storm Hunters war nicht der Titel des mäßig gelungenen Katastrophenfilms mit Richard Armitage, sondern Into the Storm. Und Horrible Bosses geht als Kill the Boss sogar schon in die zweite Runde. Alles Beispiele aus diesem Jahr. Wobei man bei Fortsetzungen natürlich an den Titeln festhalten muss, auch wenn sie noch so schwachsinnig sind. Wie auch bei etwas, was im Original The Inbetweeners heißt: eine britische Serie, die unter dem gleichen Titel zwei Kinofilme nachgeschmissen bekam. Offenbar mit großem Erfolg, zumindest in Großbritannien. In Deutschland hießen die beiden Filme jedoch Sex on the Beach (1 und 2). Nur, das die Serie auch auf Deutsch bei MTV unter The Inbetweeners – Unsere jungfräulichen Jahre lief und der Filmtitel damit keinerlei Verbindung mehr zu der Serie zuließ. Außerdem zeigt das, dass auch Serien vor behämmerten Untertiteln nicht gefeit sind.

Man hat bei vielen Verunglimpfungen das Gefühl, der Film müsste dem unbedarften Kinozuschauer gleich mal im Titel erklärt werden. Ansonsten geht er vielleicht nicht rein. Weil ja niemand Kritiken liest, es die Internet Movie Database, kurz IMDB, nicht schon seit Jahren gibt und auch sonst keinerlei Webseiten, die sich mit Filmen beschäftigen. Nirgendwo lässt sich heutzutage herausfinden, was es mit einem Film auf sich hat: nirgends lässt sich eine Zusammenfassung lesen, eine Besetzungsliste abrufen oder eine Bewertung einsehen. Nirgends! Außer: überall im Netz. Auf gut Deutsch gesagt: Offenbar halten die Filmverleiher hierzulande das Publikum nicht nur generell für etwas zurückgeblieben, sondern im Speziellen auch noch für digitale Analphabeten.

Und das Ärgerliche dabei ist nicht einfach nur, dass der Zuschauer in seiner Intelligenz beleidigt wird und diese Englisch-Strategie noch zusätzlich dazu beiträgt, allen klar zu machen, dass Deutsch ja nun mal eine so richtig uncoole Sprache ist – noch nicht einmal anständige Filmtitel lassen sich daraus machen. Das Schlimmste ist, dass in der Regel diese Titelneuerfindungen – vor allem die englischen – völlig am Thema vorbeigehen. „Locke“ etwa ist ein Kammerspiel, das dennoch von Kritikern als Thriller bezeichnet wurde. Tom Hardy sitzt den gesamten Film lang in einem Auto und telefoniert und liefert dabei offenbar die schauspielerische Leistung seines Lebens ab. Daher auch der minimalistische Filmtitel. Nur, dass der „deutsche“ Titel No Turning Back den Film aussehen lässt wie irgendwas aus der Fast & Furious-Reihe. Eine Irreführung, die dem Erfolg eines Films massiv schaden kann. Der erste Mensch, der reingeht und völlig enttäuscht wieder rauskommt, wird diese Enttäuschung weitergeben. Vielleicht noch nicht mal so sehr, weil er den Film wirklich schlecht fand, sondern einfach, weil er ihn aufgrund der Erwartungshaltung gar nicht mehr so gut finden konnte, wie er tatsächlich ist.

Obwohl das ganze Dilemma mit den Erwartungshaltungen ja auch seine positive Kehrseite hat. Sobald ein Filmtitel auf „zum Küssen“, „zum Verlieben“ oder „und ich“ endet – alles 08/15-Formeln zur Übersetzung von Filmtiteln stumpfsinniger US-amerikanischer Komödien – weiß ich gleich, dass ich das Kinokartengeld für etwas anderes ausgeben kann. Und das mir vor allem ein Abend mit Schenkelklopfern allererster Güte erspart geblieben ist. Doch auch das sind Dinge, die ich leicht im Netz herausfinden könnte. Und mal davon abgesehen hat auch eine dumpfe Komödie eigentlich einen vernünftigen Titel verdient. Wie jeder Film.

Über Katja Dallmann

Katja Dallmann hat ein Übersetzer-Diplom und einen Bachelor in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft abgeschlossen. Sie ist freie Übersetzerin und Autorin, hat als Onlineredakteurin gearbeitet und verschiedentlich in Print und Online publiziert. Katja ist leidenschaftlicher Serienfan und bloggt sonst unter Serielle Schnittstelle.