Warum eine neue Studie über Germany’s Next Topmodel (GNTM) eine wichtige Chance verpasst
In den letzten Wochen wurde (nicht zum ersten Mal) der Vorwurf erhoben, die Sendung Germany’s Next Topmodel mache junge Mädchen krank. GNTM wird in einer Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) als Verstärker von Essstörungen eingestuft. „Studie belegt: GNTM kann Magersucht fördern“, so titeln Zeitschriften (in diesem Fall der Stern). Wie, bei allen? Nein: es geht um Menschen, die bereits krank sind. Wer erste Züge einer Erkrankung aufweist oder bereits krank ist, der wird durch die Sendung noch kranker, so die Studie. Die Erkenntnisse basieren auf subjektiven Einschätzungen der Probanden, die gefragt wurden, welche TV-Sendung die krankmachenden Gedanken während der eigenen Essstörung verstärkten. Die Medien stürzen sich auf die Studie, als sei es eine völlig neue Erkenntnis, zitieren die Studie ausschnittsweise – und versäumen erfolgreich, sich das Ganze genau anzuschauen, kritisch zu kommentieren und etwas daraus zu lernen.
Was ist dran?
Also erlaube ich mir die Frage: Was ist dran an dem auf den ersten Blick nicht ganz abwegigen Vorwurf? Und kann oder darf man die monokausale Schlussfolgerung GNTM macht krank eigentlich so direkt ziehen? Angenommen, das stimmt, was hieße das und was müssten wir tun – als Pädagogen, Medienpädagogen, als Eltern, als Erwachsene oder Jugendschützer? Die Studie setzt eigentlich an einem wichtigen Punkt an: sie versucht zu ergründen, welche Rolle TV-Formate im Zusammenhang mit Essstörungen spielen und wie diese den Verlauf der Krankheit beeinflussen können. Die 241 Befragten sind vorwiegend weiblich und allesamt an Essstörungen erkrankt. Mehr als ein Drittel (39%) gibt an, die Sendung GNTM habe die eigene Krankheit besonders beeinflusst. Klingt erstmal ziemlich deutlich. Und nun kommt das Aber …
Wenn wir von GNTM als einem „Verstärker“ sprechen, dann will ich auch wissen, welche Gewichtung dieser Verstärker hat, und welche anderen Verstärker, auf die in dieser Studie nicht eingegangen wird, noch eine Rolle spielen. Und wenn wir schon von derart starken Wirkungszusammenhängen ausgehen, wie in der Studie dargestellt, hieße das nicht umgekehrt, dass einige der befragten Mädchen weniger stark erkrankt wären, wenn sie die Sendung nicht geguckt hätten? Dann hätte die Sendung ja eine beeindruckende Macht auf den Rezipienten.
Von der Allmacht von GNTM zum aktiven GNTM-Rezipienten
Die Macher der Studie kritisieren unter anderem den hohen Inszenierungsgrad der Sendung und dass die Realität stark verzerrt dargestellt wird – stimmt: nicht jeder kann nach Hollywood reisen, in einer Villa leben und Designerklamotten tragen. Aber ich glaube, dass ein medienkompetenter junger Mensch diese Art der Inszenierung erkennen und entschlüsseln kann. Falls nicht, so zeigt sich einmal mehr, was in der Medienkompetenzförderung nachzuholen ist: Wie können wir die Fähigkeit stärken, dass junge Menschen die Manipulationen durch die Medien erkennen und sich davon abgrenzen können. Folgt man der Studie und dem darin abgebildeten Menschenbild, dann bietet GNTM Identitätsangebote an, die die Zuschauerinnen nicht erkennen, geschweige denn sich ihnen erwehren können. Die junge GNTM-Zuschauerin wird als leeres Blatt verstanden, das man neu bemalen kann. Der Sendung GNTM wird dadurch fälschlicherweise eine Allmacht eingeräumt, die nichts mit der etablierten Vorstellung vom souveränen und kompetenten Rezipienten zu tun hat. Was versäumen wir dabei, in den Blick zu nehmen? Dazu hier mehr – in Teil 2: GNTM ist nur ein Problem von vielen! Darauf kommt es aus medienpädagogischer Sicht an!