Party mit Hitler?

Eine gemeinsame Prüferfortbildung von FSF, FSM und KJM zum Thema Nicht witzig!? – Die Grenzen von Humor aus Jugendschutzsicht, 30. September 2016

Humor und Satire wurden schon immer Grenzen gesetzt, durch Gesetze und Verbote aber auch durch Geschmack, Meinungs- und Deutungshoheit. Auch der Vorwurf der Grenzüberschreitung ist ein alter. In demokratischen Gesellschaften wie der Bundesrepublik gibt es dafür natürlich Regelungen und Gesetze, 2016 noch einmal deutlich geworden durch die Satiren auf den türkischen Präsidenten Erdoğan von extra 3 und die nachfolgende Ausführungen zu Satiregrenzen von Jan Böhmermann mit seinem Schmähgedicht auf selbigen im März. Neben dem Verweis auf die gesetzlichen Regelungen wurden die Kommentatoren auf gesellschaftlicher und politischer Ebene, aber auch hier nicht müde, die sogenannte Geschmacksgrenze zu bemühen. Wie schnell die konkrete politische Realität derartige Humorprobleme überrollen kann, zeigt der Putschversuch im Juli und die dramatischen Folgen für die Türkei, angesichts derer die Empörung über Böhmermann absurd erscheint.

Auch der Jugendmedienschutz baut Hürden für Humor und Satire

In Form von Altersfreigaben oder in Extremfällen auch Verboten, baut auch der Jugendmedienschutz Hürden für Humor und Satire. Geregelt sind diese durch die Bestimmungen des Jugendschutzgesetzes und des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV). Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhass, das Verbreiten von Propagandamitteln oder Verstöße gegen die Menschenwürde sind im Fernsehen verboten und dürfen auch im Internet nicht verbreitet werden. Unterhalb der Verbotstatbestände geht es um die Frage, welche Inhalte Kinder und Jugendliche sozialethisch desorientieren und deshalb für bestimmte Altersgruppen nicht freigegeben werden können. Doch wo liegen die Grenzen von schwarzem Humor oder von Satire unter Gesichtspunkten des Jugendschutzes? Wie ist mit rassistischen Äußerungen im humoristischen Kontext umzugehen? Was ist jugendschutzrelevant, was ‚nur‘ politisch inkorrekt? Wie steht es um das Humorverständnis von Kindern und Jugendlichen? Das waren einige der Fragen, die von Vertreterinnen und Vertretern und Prüferinnen und Prüfern der FSF, der FSM und KJM auf ihrer gemeinsamen Fortbildung besprochen wurden.

Der Tabuforscher Prof. Dr. Hartmut Schröder (Europa-Universität Viadrina) sensibilisierte zunächst in einem instruktiven Vortrag zum Begriff Tabu, dessen Bedeutung und Verwendung. Tabus markieren Grenzen des Denkens, Handels und Redens. Doch sie werden gesellschaftlich ausgehandelt und sind kontextsensitiv, was ihre Funktionalisierung im Diskurs für verschiedene Positionen ermöglicht. Werden nun Tabus temporär aufgehoben – beispielsweise in „karnevalesken Situationen“ –  oder durch Behauptung, Provokation oder Humor verletzt, werden sie nur umso deutlicher markiert. Die Tabuverletzung selbst wird bzw. ist Teil des Regelsystems.

Sichtung von Beispielen FSF, FSM, KJM und Diskussion

Sichtung von Prüfbeispielen FSF, FSM und KJM und Diskussion © FSF
Sichtung von Prüfbeispielen FSF, FSM und KJM und Diskussion © FSF

Ob und inwieweit sich Kinder und Jugendliche innerhalb dieses Regelsystems im humoristischen Gebrauch von Tabu und Verletzung zurechtfinden können, wurde dann in großer Runde anhand verschiedener Humorformate diskutiert.

In diesen kommt u.a. ein Soziopath durch einen Unfall grausam zu Tode (1000 Wege, ins Gras zu beißen), eine krebskranke Frau wird von drei Außerirdischen mit deren Samen geheilt (Trip Tank: Schaufeln sind zum Graben da), Donald Trump als Kanadier „zu Tode gefickt“ (South Park: Where is my Country gone?) und Josh Greenberg trifft auf einer Party den alten Adolf Hitler als Geliebten seiner Ex-Freundin (Man Seeking Woman: Lizard). Die Freigaben liegen überwiegend bei 12 und 16 Jahren, Unterschiede in den Ergebnissen beruhen vor allem auf einer anderen Einschätzung des Humor- und Ironieverständnisses von Kindern und Jugendlichen und damit ihrer Relativierungsmöglichkeiten.

Auf die Problematik der Verwendung von Sprachbildern und deren Realitätsbezug jenseits des humoristischen Angebotes, hatte bereits Hartmut Schröder aufmerksam gemacht und damit ein grundlegendes Werkzeug für den Kinder- und Jugendmedienschutz empfohlen: Mit Benennen, Bezeichnen und Beschreiben einer Sache geht die Konstruktion dieser Sache, die Konstruktion von Realität einher. In einem weiteren Schritt erzeugen Denotationen und Konnotation entsprechend Emotion, mithin also Wirkungen. Dies nicht auch zu beachten, wäre ein doppeltes Problem, es zu beachten, hätte nicht unbedingt etwas mit „Gutmenschentum“ oder „Realitätsferne“ zu tun, was als Unbehagen oder Vorwurf auch auf der Tagung zu hören war.

„Die kreative Leistung, die auch einem rassistischen Witz zugrunde liegt“

Impuls und Diskussion mit v.l.n.r.: Isabell Rausch-Jarolimek (KJM), Lisa Rockensüß (BPjM), Eleni Ampelakiotou (Regisseurin und Drehbuchautorin), Dr. Hartmut Schröder, Christian Sieh (Redakteur und Social Media CvD bei extra3), Claudia Mikat (FSF) © FSF
Impuls und Diskussion mit v.l.n.r.: Isabell Rausch-Jarolimek (KJM), Lisa Rockensüß (BPjM), Eleni Ampelakiotou (Regisseurin und Drehbuchautorin), Dr. Hartmut Schröder, Christian Sieh (Redakteur und Social Media CvD bei extra3), Claudia Mikat (FSF) © FSF

In der anschließenden Gesprächsrunde diskutierten Eleni Ampelakiotou (Regisseurin und Drehbuchautorin), Lisa Rockensüß (BPjM), Dr. Hartmut Schröder und Christian Sieh (Redakteur bei extra 3), moderiert von Claudia Mikat (FSF) und Isabel Rausch-Jarolimek (KJM), über Möglichkeiten und Grenzen von Humor, über den Unterschied von Satire und Tabuverletzung, über Jugendgefährdung und Straftatbestände (BPjM) und „die kreative Leistung, die auch einem rassistischen Witz zugrunde liegt“.

Ampelakiotou, die in der Jugendarbeit tätig ist, sieht im rassistischen Witz die Möglichkeit für eine direkte Auseinandersetzung mit demjenigen, der ihn erzählt. Für die Arbeit von Sieh und der Redaktion von extra 3 haben derartige Witze keine Relevanz. Satire sollte einen Missstand, ein Problem kommentieren und darf sich dabei nicht zu sehr von der Sache entfernen, was einer Tabuverletzung inhärent wäre. Schröder verweist auf die Motivation, mit der ein Witz gemacht wird und warnt vor der explosiven Kraft, die durch Tabuverletzung mit Humor entstehen kann.

Workshops

Eine Vertiefung anstehender Fragen und Problemstellungen erfolgte in vier Workshops anhand konkreter Medieninhalte. Clemens Adori (Anwalt für Urheber- und Medienrecht) und Gregor Schwarz (FSM) diskutierten in ihrer Gruppe am Beispiel einer rassistischen Witzplattform die Anwendung von §130 StGB (Volksverhetzung), was aufgrund seiner weitgefassten Beschreibung und der damit verbundenen Auslegungsmöglichkeiten nicht selten scheitert.

Bei Sonja Schwendner (BLM, KJM) und Dr. Thomas Voß (MA HSH, KJM) ging es um Bewertung von Gewaltdarstellungen in humoresken Medienkontexten, insbesondere für Kinder aufgrund einer immer diffuser werdenden Grenze zwischen Realität und Fiktion eine schwierige Rezeptionsleistung.

Gerd Hallenberger (Medien- und Kulturwissenschaftler) und Christina Heinen (FSF) widmeten sich der Dekonstruktion von Humor als ein universelles Prinzip und der Sozialisierung durch verschiedene Humor-Kulturen, was die Bewertung unter Jugendschutzaspekten gerade bei internationalen Formaten schwierig macht.

Der Workshop Sprache und Political Correctness (Dr. Nils Bahlo, Germanist und Linguist und Brigitte Zeitlmann, FSF) diskutierte Political Correctness (PC) als eine wortformbezogene Sprachkritik, die zum Ziel hat, durch sprachliches Handeln Diskriminierungen auszuschließen oder bewusst zu machen sowie die mediale Verarbeitung (und Parodie) von PC.

(Mit Dank an Henning Adam, Uwe Breitenborn, Ulrike Beckmann und Klaudia Kremser für die Berichte aus den Workshops.)

Über Matthias Struch

Matthias Struch studierte Kunstgeschichte und Neuere Geschichte in Braunschweig, Halle und Berlin; seit 1994 im Kinder- und Jugendmedienschutz tätig: FSK, FSF (seit 2007 als Hauptamtlicher Prüfer); seit 1998 Kurator und Kustos am Filmmuseum Potsdam; seit 2003 Mitglied in der Nominierungskommission und Jury für den Adolf-Grimme-Preis; Veröffentlichungen zur Film- und Fernsehgeschichte (NS-Film, DEFA, DFF), zur Zensurgeschichte u.a.