Laut der JIM-Studie sind im Jahr 2014 38% der deutschen Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren mit Cybermobbing in Kontakt gekommen. Im Vergleich zum Vorjahr (32%) hat sich die Zahl der Betroffenen etwas erhöht. Diese Jugendlichen fühlen sich oft hilflos und alleingelassen. Damit sie aus dieser Problemsituation wieder herausfinden, ist es wichtig ihnen eine Unterstützung anzubieten. Egal von wem diese Hilfe kommt, Hauptsache sie ist kompetent und rechtzeitig.
Vor diesem Hintergrund wurden die Streitschlichter* der Bettina-von-Arnim-Schule (Integrierte Sekundarschule mit gymnasialer Oberstufe) als Medienscouts weitergebildet. Unterstützt vom Medienkompetenzzentrum Pankow haben acht Schülerinnen und Schüler im Alter von 14 und 15 Jahren an einem zweitägigen Workshop, der im Medienkompetenzzentrum Reinickendorf stattfand, teilgenommen. Der Kurs war vor allem praxisorientiert: Rollenspiele, Erstellen von Videotutorials und Gruppenarbeit gehörten ebenso zum Programm wie das Erlernen und Anwenden bestimmter Mediationstechniken, durch die die Kursteilnehmer neue Handlungsempfehlungen gegen Cybermobbing entwickeln konnten.
Wie fühlt man sich als Außenseiter? Oder als Täter? Welche Rolle spielen die Zuschauer eines Konfliktes? Natürlich ist es schwer, diese Fragen zu beantworten, solange man selbst nicht solche Situationen erlebt. Deshalb wurde eine typische Konfliktsituation innerhalb einer simulierten Chat-Gruppe durchgespielt. Hierfür bekamen die Schüler verschiedene Rollen per Zufall zugeteilt: das Mobbingopfer, der Täter, die Freunde des Täters, sogenannte Mitläufer und die Zuschauer des Konfliktes. Zudem erhielt jeder Schüler ein Tablet und einen Link zum Chatraum.
Am Ende des Experiments waren die Schüler selbst überrascht, wie schnell Cybermobbing-Situationen entstehen und eskalieren können. Bemerkenswert war außerdem die schnelle Adaption der jeweiligen Rolle: So waren zum Beispiel viele „Täter“ und „Mitläufer“ erstaunt, wie leicht man in die Situation gerät, eine andere Person auszulachen.
Und wie haben sich die anderen Chat-Teilnehmer verhalten? Der „Außenseiter“ bzw. das sogenannte „Cybermobbing-Opfer“ wählte Ignoranz als Strategie gegen Cybermobbing. Während der „Außenseiter“ zu Beginn des Chats noch sehr aktiv war, ließ die Beteiligung nach weiteren Beleidigungen jedoch kontinuierlich nach. Leider bemerkte das „Cybermobbing-Opfer“ nicht die Unterstützung der „Zuschauer“ – ihre Zusprüche gingen einfach zwischen den Beleidigungen und anderen Nachrichten unter.
Nach Meinung der „Zuschauer“ sei es sehr schwer gewesen, die Aufmerksamkeit der „Täter“ und „Mitläufer“ zu erhalten, um den Konflikt zu entschärfen. Ihre Nachrichten wurden entweder nicht ernstgenommen oder sogar als Vorwand genutzt, um auch sie in den Fokus der „Täter“ und „Mitläufer“ zu drängen („Wenn du XY unterstützt, bist du auch raus, du kommst auch nicht mit“).
Dies zeigte eindrucksvoll, wie schnell jeder zum Gemobbten werden kann. Außerdem ist es sehr wichtig die Unterstützung nicht nur zu geben, sondern sie auch wahrzunehmen und zu nutzen, um die mögliche Cybermobbing-Situation schneller zu klären und zu lösen.
Was für den einen nur ein „harmloser“ Streit ist, kann für den anderen bereits als Cybermobbing gelten. Aber vor der Eskalationsstufe „Cybermobbing“ existieren noch sehr viele vorgelagerte Konfliktstufen, die nicht sofort mit Cybermobbing gleichzusetzen sind. Das Bewusstsein dafür zu erlangen, war das Hauptziel der Übung „Cybermobbing Skala“.
Während der Gruppenarbeit mussten die Schüler die Begriffe der drei Phasen „Harmlos“ (grün), „Konflikt“ (gelb) und „Eskalation“ (rot) erörtern, auf entsprechend farbigen Zetteln sammeln und ihre Kärtchen in eine Reihenfolge bringen. Obwohl beide Gruppen einige Gemeinsamkeiten teilten, wurden dennoch Unterschiede bei der Abschätzung und Wahrnehmung der Konfliktstufen ersichtlich. Die Erkenntnis hieraus ist, dass jede Konflikt- oder Mobbing-Situation speziell und eigen ist und somit auch individuell behandelt werden muss.
Zum Ende des Workshops dürften die nunmehr fortgebildeten Streitschlichter Videotutorials drehen. Mithilfe von Tablets, Kameras, Schnittprogrammen, Handys, Schauspieltalent und ein bisschen Improvisation gelang es jeder Gruppe, eine ausgedachte Cybermobbing-Situation durchzuspielen und zu verfilmen. Die Videos können die Schüler entweder zur Ausbildung für weitere Streitschlichter verwenden oder später in ihren Klassen zeigen, um die anderen Schüler über den Umgang mit Cybermobbing aufzuklären.
* Obwohl aus Gründen der Lesbarkeit im Text die männliche Form gewählt wurde, beziehen sich die Angaben auf Angehörige beider Geschlechter.
Hier gibt es einen weiteren Blogartikel zum Thema „Umgang mit Cybermobbing“ von Eva Borries.