Erkennen. Handeln. Vorbeugen.
Das Thema Cybermobbing ist in aller Munde. Die medialen Berichterstattungen über Suizide nach Cybermobbing-Attacken schüren Verunsicherung und Angst bei Eltern und Lehrkräften. Tatsächlich enden die Fälle in der Regel zwar nicht tödlich, jedoch immer mit erheblichen seelischen Folgen für die Opfer. Das Leben ist danach nicht mehr wie es war. Was also kann man tun gegen Cybermobbing, in der Familie und als Schule? Wie kann man das Phänomen erkennen; wie sollte man handeln, wenn es passiert ist und was können wir alle vorbeugend tun? Um diese Fragen zu klären war ich letzte Woche als medienpädagogische Referentin im Rahmen des 10-Punkte-Programms Medienkompetenz macht Schule des Landes Rheinland-Pfalz bereits zum zweiten Mal an einer Realschule Plus in Rheinland-Pfalz zu Besuch.
Die Herausforderung? Beim Elternabend keine neue Angst zu schüren
Bei einem Elternabend zum Thema Cybermobbing besteht die große Herausforderung darin, die Eltern nicht noch mehr zu verunsichern, so dass sich bewahrpädagogische Haltungen verfestigen. Es geht darum, das Thema ernst zu nehmen, aufzuklären, aber dabei den Jugendlichen nicht buchstäblich „in den Rücken“ zu fallen. Daher ist für mich der Einstieg in das Thema an der Realschule damit verbunden, den Eltern – 34 an der Zahl, sogar einige Schülerinnen haben sich eingefunden – zuerst die Faszination des Smartphones (das sich zum Leitmedium für Cybermobbing herauskristallisiert) in Erinnerung zu rufen. Zum entspannten und humorvollen Einstieg eignet sich die klassische Methode „Medienkoffer“ in der Kurzversion. Die funktioniert wie folgt: Mithilfe eines Jutebeutels präsentiere ich den Eltern zahlreiche Dinge, die „mein Smartphone“ (und damit sind meine persönlichen Nutzungsgewohnheiten gemeint) kann. Aus dem Beutel zaubere ich Landkarten, Kochbücher, eine Digitalkamera, Taschenlampe, Wecker, Taschenrechner, Kopfhörer, eine Ausgabe des Spiegel, Kalender (uvm.) und zu guter Letzt ein uraltes Klapphandy („Ja, ab und an telefoniere ich sogar mit dem Ding“ – Lachen im Publikum). Die Botschaft kommt an: Smartphones sind spannende und durchaus nützliche Geräte, mit denen Erwachsene wie Jugendliche ihr Leben bereichern können. Solange ausreichendes Wissen vorhanden ist. „Medienkompetente Kinder brauchen medienkompetente Eltern und Lehrer“, ist daher mein Credo, mit dem ich mich bei den Anwesenden für ihr Erscheinen bedanke. Mit dem Einstieg habe ich eine gute Grundstimmung geschaffen, in der die Relevanz neuer Medien für die Lebenswelt Jugendlicher deutlich wurde, so dass wir uns dem ernsten Thema Cybermobbing widmen können. Denn neben den vielen Entfaltungsmöglichkeiten für Jugendliche befeuern neue Medien auch Grenzüberschreitungen – wie beim Cybermobbing.
Cybermobbing erkennen
Zunächst wird Cybermobbing als Phänomen definiert und dem klassischen „Mobbing“ in der Schule gegenübergestellt. Dabei wird deutlich: Beim Mobbing (wie auch beim Cybermobbing) wissen in der Regel alle in der Klasse Bescheid (häufig mit Ausnahme des Opfers). Jeder der Beteiligten kann dabei seine Rolle selbst wählen, nur das Opfer nicht. Daher müssen Interventionen auf Klassenebene ansetzen – und sich nicht nur auf Täter und Opfer beschränken. Täter, Opfer, Assistenten der Täter, Mitläufer, Bystander und Lehrkräfte haben ihren Platz im System (Cyber-)Mobbing und dynamisieren den Prozess auf unterschiedlichen Wegen. Durch Anfeuern, mit lachen, wegsehen und herunterspielen. Denn nur weil jemand ein peinliches Foto postet, wird daraus nicht per se ein Cybermobbing-Fall. Erst gedankenloses Teilen oder Liken, schnelles Kommentieren und die rasante Verbreitung machen den Post zum Problem. Ausgestattet mit diesem Wissen über den Systemcharakter von Mobbing kann das inzwischen als Klassiker etablierte Video „Let´s fight it together“ herangezogen werden – und es werden die Unterschiede zwischen traditionellem Mobbing und Cybermobbing deutlich. Der preisgekrönte englischsprachige Spot von „Childnet“ zeigt auf eindringliche Weise, wie das Phänomen Cybermobbing zustandekommt. Erzählt wird die Geschichte des Jungen Joe, der seinen Leidensweg als Opfer von Cybermobbing auf einer Videokamera offenbart.
Was ist an Cybermobbing anders und warum geschieht es?
Nach einer „Murmelphase“ (Aufgabe an die Eltern: diskutieren Sie mit Ihren Sitznachbarn, was an CB anders ist?) tragen die Eltern zusammen: Cybermobbing geschieht rund um die Uhr („24/7“), die Eltern sind lange ahnungslos, das Zuhause ist kein Rückzugsort mehr, die Täter handeln (häufig) anonym, die Nachrichten verbreiten sich rasend schnell, das Netz vergisst nicht. Die Stimmung im Klassenraum hat sich spürbar verändert, der Spot geht vielen Eltern nahe. Neben dem Wie zeigt er nämlich auch sehr anschaulich warum Cybermobbing geschieht: meist ohne augenscheinlich erkennbaren Grund. Joe ist ein guter Schüler, das passt den Klassenkameraden irgendwann nicht mehr.
Langeweile, interkulturelle Konflikte, Veränderungen von Freundschaften oder in der Klassengemeinschaft (z.B. durch Wiederholer) können Auslöser von CB sein (Quelle: saferinternet.at) Nicht selten wird Cybermobbing aber auch ungewollt ausgelöst – so kann ein einzelner Post eines Fotos auch unfreiwillig tragisch enden, wenn unreflektiert geteilt wird, womit wir wieder beim Systemcharakter wären. Umso wichtiger, dass Schüler/-innen mögliche Konsequenzen (für sich und andere) kennen und nachdenken, bevor sie posten.
Das typische Opfer?!
„Gibt es denn sowas wie einen Opfertypen? Wer kann denn ein Opfer werden?“ – will eine Mutter wissen? Diese Frage ist für die Eltern wichtig, denn jeder möchte ausschließen können, dass das eigene Kind mal betroffen ist. Tatsächlich beantwortet auch dies der Spot: Es gibt keine „typischen“ Opfer, bei Cybermobbing noch weniger als bei Mobbing. Von einem auf den anderen Tag kann der coole Typ oder das beliebte Mädchen „unten durch“ sein und im Netz fertig gemacht werden. Auch Joe aus dem Spot ist zu Anfang ein beliebter Junge. Aktuelle Studien wie die JIM 2013 (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest) zeigen, dass 32% der 12- bis 19-jährigen Befragten jemanden kennen, der schon mal im Netz fertiggemacht wurde. Für die Eltern der Realschüler/-innen in Kandel außerdem interessant: Das Problem ist an Realschulen (37%) nur unwesentlich häufiger zu beobachten als an Hauptschulen (31%) oder Gymnasien (30%).
Bei Cybermobbing handeln
Wenn das eigene Kind betroffen ist, ist die wichtigste Devise, sich zunächst gemeinsam einen Überblick zu verschaffen und Unterstützung zu suchen. Neben dem Gespräch mit Lehrkräften, Schulleitung und Schulsozialarbeitern empfiehlt es sich, Schulpsychologen und die Präventionsbeamt/-innen der Polizei zu informieren.
Ob beispielsweise Straftatbestände vorliegen kann am besten die Polizei beurteilen, die ihrerseits Beweise benötigt. Wir geben Hinweise zu Ansprechpartnern, thematisieren technische Möglichkeiten wie das Melden beim Anbieter, das Blocken des „Cyberbullys“, das Anfertigen von Screenshots, sprechen aber auch darüber, wie man als Eltern emotional reagieren kann. Was tut meinem Kind in so einem Fall gut, womit schade ich ihm eher? „Sie kennen Ihr Kind am besten, das ist ein wichtiger Grundpfeiler“, mache ich den Eltern Mut. Oft wollen Jugendliche erst mal nicht mit den Eltern reden, sie schämen sich oder haben gar Angst vor Computerverbot. „Wenn Ihr Kind davon ausgeht, dass Sie ihm das Handy wegnehmen, wenn mal was schief geht, dann wird es sich Ihnen eher nicht anvertrauen. Dem Kind das Handy wegzunehmen, wäre in dem Fall sogar sehr schlimm, denn das Mobben ginge dann ja weiter und Ihr Kind wäre machtlos.“ Machen Sie also auch schon im Vorfeld klar, dass es zu Ihnen kommen kann, egal was los ist. „Und erzählen Sie Ihrem Kind heute Abend, dass Sie sich ein bisschen zum Thema informiert haben. Denn oft gehen Jugendliche davon aus, dass die Eltern sowieso keinen Plan haben.“ Die Schülerinnen im Plenum schmunzeln.
Cybermobbing vorbeugen
Langfristig kann sich jede Schule fit machen für den Kampf gegen Cybermobbing – indem bei allen Beteiligten (Schüler/-innen, Eltern, Lehrkräfte) Wissen geschaffen wird. Eltern werden zwar nicht völlig verhindern können, dass ihr Kind zum Opfer wird, können aber mit vorhandenem Wissen die Gefahren in der Familie thematisieren. „Reden Sie mit Ihrem Kind über sicheres und verantwortungsvolles Handeln im Netz und gehen Sie davon aus, dass Ihr Kind auch etwas zu sagen hat“, bestärke ich daher die anwesenden Eltern. Für die Schule als wichtiges Umfeld Jugendlicher gilt, das Thema Cybermobbing in die Schulkultur und in den Unterricht zu integrieren. „Nehmen Sie das Thema in den Unterricht auf, Sie werden überrascht sein, wie viele gute Materialien es inzwischen gibt.“, empfehle ich und weise u.a. auf das Unterrichtsmaterial Was tun bei Cybermobbing von klicksafe und das Jugendbuch Like me aus dem Cornelsen Verlag hin, für das der Verlag in Kooperation mit klicksafe Unterrichtseinheiten entwickelt hat. Die Materialien sind ansprechend gestaltet und methodisch-didaktisch auf hohem Niveau. Das Unterrichtsmaterial von klicksafe lässt sich beispielsweise – da als Einzelstunden konzipiert – sehr gut in einer Vertretungsstunde einsetzen.
Mithilfe der Medienscouts , den hauseigenen Medienexperten unter den Schülern, will man nun an der Realschule Kandel das Thema Cybermobbing noch mehr in den Mittelpunkt des Geschehens rücken. Langfristig wäre auch eine Fortbildung der Lehrkräfte wünschenswert, aber dafür fehlt der Schule leider Zeit und Geld. In Kandel endet nach einem intensiven Austausch unter den Eltern der Abend mit einem Appell an die Anwesenden: „Das hier ist eine Aufgabe, die alle etwas angeht. Nicht nur die Schule, nicht nur die Eltern. Arbeiten Sie daher zusammen, sehen Sie es als eine gemeinsame Aufgabe an, Cybermobbing keine Chance zu geben.“