Perm, 3000 km von Berlin entfernt, ist die östlichste Millionenstadt Europas und die westlichste Großstadt Sibiriens ca. 300 Jahre alt und quasi am Ural gelegen. Man spürt hier noch Zarismus, Stalinzeit und Perestroika, aber vor allem legt sich die Markwirtschaft mit ihren erkennbaren Symbolen über alle Spuren der Zeit. Das Lenindenkmal hat keine Chance gegen die riesige Leinwand gegenüber, die mitteilt, worum es jetzt geht: TOYOTA.
Auffällig viele junge Leute bestimmen das Stadtbild und Kultur scheint so etwas wie Brot zu sein, das jeder braucht. Zig Theaterhäuser, Opern, Puppentheaterbühnen, einige Kinos und sogar eine Cinemathek, die nicht nur gute Filme zeigt, sondern auch Veranstaltungen mit Kindern organisiert.
Hier sind wir zu Gast, eingeladen, um mit Schülern über Filme zu diskutieren. Zuschauen wollen dabei Pädagogen, anschließend soll es einen Gedankenaustausch geben.
Die Filme (die von doxs kuratierte und vom Goetheinstitut verbreitete DVD-Edition zum Kinderdokumentarfilm JUNGE HELDEN) wurden untertitelt vorgeführt. Mithilfe einer Übersetzerin kamen wir mit den Schülern ins Gespräch.
Die Schüchternheit und der Respekt voreinander hatten schon bald gegenüber der Neugier aufeinander verloren. Filmtechniken wurden besprochen, inhaltliche Themen diskutiert und Chancen für den eigenen selbstbestimmten Umgang mit dem Medium aufgezeigt. Hinten saßen die Pädagogen und schrieben eifrig mit, um uns dann mit Fragen und Anmerkungen zu überschütten… :
Wie arbeitet ihr mit den Lehrern? Werden die Eltern einbezogen? Habt ihr Erfahrungen mit Vorschulkindern? Sollten Filme nicht immer nur ein Mittel dazu sein, um über die wichtigen und in den Filmen behandelten Themen zu diskutieren? Welche Ausbildung haben eure Medienpädagogen? Warum arbeitet ihr jeweils mit unterschiedlicher Methodik? Wer finanziert euch? Was müsst ihr als Ziel benennen, um Gelder zu erhalten? Wie kann man diese pädagogische Arbeit evaluieren? (Ab welchem Alter) Kann man vom medienkompetente Kind sprechen? Welche Rolle spielt bei eurer medienpädagogischen Arbeit die Seele des Kindes? Stooopp!
Die Seele des Kindes, das war so eine Frage, die ich klischeehaft in Russland erwartet hatte und die uns dennoch mitten im Gespräch kalt erwischte. Wo wir doch davon ausgehen, mit dieser Vermittlungsarbeit Sinnvolles zu tun. Aber sicher sind wir uns nicht, ob wir die Gefühle der Kinder in unserer Arbeit immer ausreichend mit einbeziehen. Ihnen Raum geben, dass sie geäußert oder gezeigt werden können, das ja, aber mit den Gefühlen der Kinder arbeiten? Was meinen die Russen: manipulieren, bearbeiten oder einfach nur noch mehr Platz für das Zuhören?
Es waren viel zu wenige Tage in Perm. Ein regelrechter Sturm an Eindrücken, aber auch eine Intensität an gedanklichem Austausch ˗ wie man sich das erträumt, wenn man an das gute alte Wort Völkerverständigung denkt.
Am Ende stand das unbedingte Bedürfnis, den Prozess fortzusetzen und sich wieder zu treffen, ob in Perm, Duisburg oder Berlin. Konkret wurde eine russische Pädagogin, die uns nach Novosibirsk einlud. Ich frage: „Wie weit ist das eigentlich von Perm entfernt?“ „Ach“, sagt sie, „das sind nur noch einmal 3000 km Richtung Osten …“