Ein Festival mit Haut und Haar

Vom 26. April bis 1. Mai ist es wieder soweit: 130 Filme erleuchten die perforierte Oberfläche der Leinwände der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF.

Das internationale Studierendenfilmfestival Sehsüchte bietet für junge Filmschaffende aus aller Welt eine Plattform, ihre studentischen Filme und Debütfilme zu präsentieren. Potsdamer, Berliner, Studenten aus befreundeten Hochschulen und Film- und Medienschaffende kommen hier bei den unterschiedlichsten Veranstaltungen zusammen. Von Retrospektiven über Kurz– und Langfilme bis hin zu Parties – einem Kickerturnier – Pitches und Gewinnerzeremonien ist für die verschiedensten Stimmungen etwas im Programm zu finden. Vor allem die Dokumentationen, Spielfilme, Musikvideos und Animationen berühren und bewegen sowohl zum Lachen als auch zum Weinen.

Mit dem Fokus Surfaces geht Sehsüchte dieses Jahr auf die Oberflächenstrukturen und dessen Auslöser ein. Was bringt uns dazu, eine Gänsehaut zu bekommen, unsere Gesichter zu Grimassen zu verziehen und endlich eingefleischte Vorurteile abzulegen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich auch der Trailer des Festivals.

Rausgepickt: Sektion Future: Teens

Den Titel Future tragen die Filmblöcke für die jüngeren Besucher. Die FSK-geprüften Blöcke können sowohl von Schulklassen als auch von einzelnen Besuchern (ebenso von Erwachsenen) morgens und mittags kostenfrei besucht werden (Weitere Informationen zu den Sektionen). Aus circa 120 Einreichungen von über 1.000 insgesamt für diese Kategorie wurden 16 Filme aus sechs unterschiedlichen Ländern nominiert.

Impressionen Sehsüchte (2016) © Jonas Friedrich
Impressionen Sehsüchte (2016) © Jonas Friedrich

Am Donnerstag, 27. April, um 11.00 Uhr zeigt der Block Future: Teens (FSK 14) die Filme 14,74 oder Das Streben nach Mittelmäßigkeit, Elegía, Abseits, Rocknrollertjes und Stacey en de Alien. Die fünf Filme widmen sich unterschiedlichsten Konflikten der Jugendlichen. Sie nehmen ihre Protagonisten ernst, wenn auch manchmal auf sehr humorvolle Art und Weise. So werden  ihre Perspektiven nachvollziehbar, ihre Situationen erlebbar gemacht. Komplexen Themen wie Mobbing oder die Verarbeitung von Erfahrungen mit dem Tod, die Bedeutung von Familie oder Freundschaft wird Raum gegeben und über diese Art ein sehr persönlicher Zugang ermöglicht. Und das macht es nicht nur für ‚Jüngere’ interessant. Denn Behauptungen, dass Kinder- und Jugendfilme nichts für Erwachsene seien, sind voreilig. Junge Protagonisten können dem Publikum mehr Toleranz abfordern und eröffnen so eine differenzierte Beleuchtung eines vielschichtigen Umstands. So wirkt auch ein wechselhaftes Verhalten – nicht der Norm entsprechend –  glaubhafter, und es werden verschiedene Blickwinkel auf eine facettenreiche Person, anstatt auf mehrere stereotype, präsent. Tabuisierte Reaktionen können aufgegriffen werden, ohne dass der Zuschauer sofort verurteilen möchte. Das macht die Filme unglaublich spannend, intim und lässt sie weniger in konventionellen Darstellungen ausharren.

Impressionen Sehsüchte (2016) © Jonas Friedrich
Impressionen Sehsüchte (2016) © Jonas Friedrich

Einen Blick in den Block – Die Filme im Detail

14,74 oder Das Streben nach Mittelmäßigkeit (Deutschland, 2017, 17 Min.)

Durch seine Herzkrankheit läuft Damians Leben meist ganz anders ab als ‚normal‘. Deshalb will er wenigstens seinen ersten Zungenkuss wie der Durchschnitt – eben mit 14,74 Jahren – bekommen. Er setzt alles daran, seiner faszinierenden Nachbarin Rosalie näherzukommen. Doch ist ein erster Zungenkuss nicht immer etwas Besonderes?
Die sachte Erzählung spiegelt sich in sanften Tönen sowohl auf Bild als auch auf Tonebene wieder. Man nimmt Damians Perspektive ein und die sommerlichen Sonnenstrahlen wirken etwas raffinierter, die Schwüle des Abends etwas anmutiger als gewohnt. Es wird nichts dramatisiert nur etwas romantisiert, so wie das bei der ersten Liebe nun einmal so ist.

Elegía (Spanien, 2016, 15 Min.)

Nach einem Unglück zweier junger Schülerinnen ist die Umgebung geschockt und trauert. Die Anteilnahme ist in der ganzen Schule spürbar, doch die Präsenz der Trauer sogar im Lehrplan macht Julia wütend. Als sie der Wut in einem Brief Platz macht und keine guten Worte über die Verstorbenen verliert, kommt es zu einem Aufruhr.
Der Film fokussiert sich konsequent auf den tabuisierten Konflikt der Hauptfigur. Man verfolgt Julia wie gebannt, denn auch wenn sie wenig sagt, verrät jedes Muskelzucken, jeder Fingerzeig etwas über ihr aufgeregtes Inneres. Je tiefer man in den Film versinkt, scheinen in den lichten Fluren des Schulgebäudes die Wände spürbar näher zu rücken.

Rocknrollertjes (Niederlande, 2016, 24 Min.)

Sia, Bas und Vince sind drei coole Typen, enge Freunde und die jungen Mitglieder der Rockband Morganas Illusion. Die Band und ihre Musik bedeuten ihnen alles. Sias Depression stellt sie nicht nur als Band, sondern auch als Freunde vor neue Herausforderungen.
In warmen Farben findet die Dokumentation einen Weg, sich durch diesen spezifischen Fall den großen Themen des Erwachsenwerdens, der Freundschaft und dem Umgang mit tiefer Traurigkeit zu nähern. Die Dokumentation bleibt hierbei stets nah, zärtlich und erfrischend.

Abseits (Schweiz, 2016, 16 Min.)

Der junge Dastan hat es nicht leicht, in seiner Fußballmannschaft kameradschaftlich aufgenommen zu werden. Immer wieder muss er sich rassistische Sprüche und Abfälligkeiten gegenüber seiner kopftuchtragenden und lässigen Mutter anhören. Dabei will er eigentlich nur dazugehören. Im Hin und Her zwischen Loyalität und angepasster Coolness kommt Dastan nicht umhin, eine Position zu beziehen.
Sehr direkt und schnörkellos widmet sich der Film einem Thema mitten aus dem Alltag. Die Figuren entgehen gekonnt Stereotypen und bleiben dadurch nahbar. Auf dem quietschgrünen Rasenplatz wird so mehr ausgefochten als nur ein Spiel.

 

Stacey en de Alien (Belgien, 2016, 15 Min.)

Girlige Cheerleader, wendige Rollschuhe und knallrotes Blut. Stacey hält an ihrem quirligen Alltag fest, auch wenn alles aus den Fugen gerät und Opfer fordert. Im wilden Genremix gespickt mit Staceys Träumereien ist hierbei alles möglich, auch ein tanzender Britpop-Alien.
Der Film bricht und spielt genau wie seine Protagonistin mit Konventionen. Die daraus resultierende Freiheit ist fast sinnlich erfahrbar und gibt dem Ganzen ein Coming-of-Age-Flair. Humorvoll und gewagt präsentiert der Film Staceys Welt und steckt dabei voller Ideen.

Der Future: Teens-Block wird mit einem zweiten Teil am Freitag, 28. April zwischen 11.00 und 13.00 Uhr, ergänzt.

Ob sanft, direkt, persönlich oder abgedreht – die Filme zeigen uns, dass Jugendfilm nicht automatisch ‚Coming of Age‘ heißt, sondern vieles – und das auch zugleich – sein kann.

Wem am Ende eines Films noch Fragen auf der Zunge brennen, kann diese im anschließenden Q&A (Questions&Answers) dem Filmschaffenden selbst stellen. Viele von ihnen sind während des Festivals vor Ort. Publikum und Filmschaffende kommen sich beim Filmfest aber nicht nur nah, sondern sind auch wild gemischt und teilweise eben sogar beides in einem.

Dass selbst alle Organisatoren des Festivals Studenten der Filmuniversität sind, macht eine kuschelige runde Sache draus: Man kann sich sicher sein, dass jeder, der Ende April in der Marlene-Dietrich-Allee durch die Kinos huscht oder ein Schlückchen an der Bar zu sich nimmt, von einer Sehnsucht zum Film getrieben ist und vielleicht sogar nachts von samtenen Kinosesseln träumt.

Preise Sehsüchte (2016) © Jonas Friedrich
Preise Sehsüchte (2016) © Jonas Friedrich

Viele weitere Informationen rund um das Festival mit Interviews, Personenvorstellungen, Infos zu Panels, anderen Sektionen, Workshops und Tickets sowie das komplette Programm (zum Download) gibt es im Sehsüchte-Facebook-Kanal und auf der Website sehsuechte.de. Die FSF ist Festivalpartner von Sehsüchte. Weitere Blogartikel aus dem Vorjahr zu Sehsüchte: hier.

Über Henrike Rau

Henrike Rau studierte Architektur an der Universität Kassel und danach Digitale Medienkultur und Medienwissenschaften an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Neben Uniprojekten wie Sehsüchte, der Kinderfilmuni oder Kooperationen mit dem Filmmuseum Potsdam haben Praktika beim UFALab und bei der FSF ihre Ausbildung mit Praxis belebt.