Sehsüchte – ein Festival zum Anfassen
Das internationale Studierendenfilmfestival Sehsüchte flammte 1972 das erste Mal auf, hat sich in das Leben der Medienwissenschaftsstudierenden der ehemaligen HFF und jetzigen Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF geschlichen und wird dies so schnell nicht verlassen.
Das jährliche Thema von Sehsüchte zeigt sich in der Szenografie, im allgemeinen Auftritt des Festivals und seiner Gestaltung, wie z.B. im Trailer oder den angebotenen Workshops. Die Oberflächen, Surfaces, bildeten diesmal den Fokus. Dazu gehört die genaue Betrachtung von Oberfläche als Struktur, ob gesellschaftlich, haptisch oder emotional. Handfühlpfade, durch Emotionen verzerrte Gesichter – Faces, Schauspielworkshops sowie ein Trailer, der Stereotype bricht und die Haut als emotionale Reizfläche entlarvt gaben viele Möglichkeiten, sich einzubringen oder selbst Gänsehaut zu bekommen.
Vergangenen Mittwoch, den 26. April, startete das Festival zum 46. Mal mit viel Anspruch an sich selbst und schwitzenden Händen. Schirmherr Andreas Dresen und die Präsidentin der Filmuniversität Prof. Dr. Susanne Stürmer wünschten sich Innovation, Politisches, keine Angst vor Neuem, Anarchie und Bruch mit dem Alten. Ein wenig konnte ihnen das hoffentlich erfüllt werden. Polarisierende Filme, Diskussionen und politische Statements waren präsent, manchmal eher dekorativ, dann auch wieder wie ein Schlag ins Gesicht oder zutiefst berührend.
Bei Dramaturgie Live, einer Veranstaltung der Sektion Schreibsüchte, war der Drehbuchautor und Regisseur Dietrich Brüggemann zum Gespräch und vermittelte ein ähnliches Verlangen nach mehr Direktheit: Filme auch mal scheiße finden und dies zu äußern zum Beispiel, oder sich von alten Vorbildern zu lösen. Der Wunsch nach mehr Ehrlichkeit, um einen neuen Diskurs zustande zu bringen, scheint in verschiedensten Departments zu pochen. Der Anspruch an die neue Generation Filmschaffender und an das Festival-Organisationsteam ist hoch, aber vielleicht geht es genau darum, keinen Anspruch erfüllen zu wollen, sondern es als Bestätigung zu nehmen, um Auszuprobieren und Grenzen nicht so ernst zu nehmen.
Das Filmprogramm wollte sich mehr trauen: mitunter regte es auf, war dann wieder politisch aktuell, schockierend, zutiefst traurig oder auch schreiend komisch. Es war eben elektrisch, massiv, dann wieder flauschig oder borstig – wie die Filmblöcke u.a. betitelt wurden. Gerade bei Future Kids & Teens wurden gewagte Themen angesprochen und Nerven beansprucht. Dafür wurden die Zuschauerinnen und Zuschauer wiederum mit Komplexität, Relevanz und Ehrlichkeit belohnt.
Doch was macht Sehsüchte am Ende wirklich aus? Das Zusammenkommen aller Filmverliebten, ob Filmschaffende, Studierende, Sponsoren, Presse oder Publikum ist und bleibt wohl das, was die gemütliche und vertraute Atmosphäre prägt. Während der verschiedenen lockeren Veranstaltungen wie Kicker- oder Fußballturniere, Snacken nach der Eröffnung, ein Filmquiz oder die große Samstagabendparty treffen sich die unterschiedlichsten Personen und es wird neben den Q&As (Questions&Answers im Anschluss an die Filmsichtungen) noch einen weiteren persönlicheren Raum gegeben, um mehr über die Filmprojekte zu erfahren.
Aus diesem Grund war die große Samstagsparty auch wieder dort, wo sich die Veranstalterinnen und Veranstalter am wohlsten fühlen: im eigenen Haus – im Atrium der Filmuniversität. Ein Heimspiel quasi. Und so fühlte es sich auch an. Denn es geht nicht nur darum, allen Gästen einen schönen Abschluss zu bieten, sondern auch selbst gelöst von der permanenten Anspannung zu feiern und den Abschied mit knallenden Korken und Lichtinstallationen zu übertönen.
Es war mein letztes Sehsüchte, ab jetzt heißt es nur noch Teilnahme als Zuschauerin …, da fällt viel von den Schultern, aber es tut auch verdammt weh! Das dunkle Loch, bekannt nach Klassenfahrten oder aufreibenden Musikfestivals, grinst dich am nächsten Morgen an, gibt dir ein High Five und lässt dich dann hängen. „Und jetzt?“, fragt es. Ein halbes Jahr ohne monatelangen Kinosessions, gemeinsamen Diskussionen, Programmielove, tausenden Mails, dem Slackbot und dem Stuhlkreis mit Bier. Aber das ist schon okay, schließlich komme ich nächstes Jahr wieder und sehe die anderen schwitzen. #Vivaforever
Weitere Impressionen zum Filmfestival gibt es bei Facebook: @sehsuechte. Die FSF ist Festivalpartner von Sehsüchte. Mehr zum Festival im Blog: hier.