Jugendkultur: Animes und Mangas – früher und heute

Meine Liebe zu Mangas entfachte meine Mutter, als sie mir mit sieben Jahren den ersten Teil von Dragonball schenkte. Doch schon davor wuchs ich, ohne es zu ahnen, mit japanischer Animation auf, denn sowohl Die Biene Maja als auch Wickie und die starken Männer entstanden im Auftrag des ZDF und ORF als Animeserie in Japan. Auch Heidi wurde dort produziert, obwohl die Geschichte selbst in Europa spielt.

Als ich älter wurde, schaltete ich regelmäßig  jahrelang nach der Schule RTL II ein: Jeanne, die Kamikaze Diebin, Detektiv Conan und Naruto gehörten zu meinen Favoriten. Das Ganze hatte fast etwas Rituelles und ich erinnere mich mit Grauen an zwei Nachmittage, als es eine durch Unwetter verursachte Bildstörung gab. Der Stundenplan organisierte den Schultag, Animes takteten meine Freizeit und hin und wieder las ich gerne Mangas.

Da Japaner weder „Comic“ noch „Animation“ aussprechen können, entstanden als japanische Alternativen mit gleicher Bedeutung die Begriffe Manga und Anime. Dass diese noch heute fester Bestandteil der Jugendkultur sind, hätte ich nicht erwartet – doch im Gespräch mit der fünfzehnjährigen Vanessa lernte ich, wie sich die Szene verändert hat, was geblieben ist und was heute „in“ ist.

Damals leichte Unterhaltung – heute Verhandlung gesellschaftlich schwerer Themen

Figure in Manga style: By Niabot - Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12138449
Figure in Manga style

Schon damals in der Grundschule tauschten wir Pokémon-Karten und auch wenn der Hype durch die App PokémonGo wieder neu befeuert wurde und viele junge Erwachsene in Nostalgie schwelgen, richtet sich der Anime doch an ein kindliches Publikum. Animes wie Detektiv Conan, One Piece und die Ninja-Serie Naruto gelten noch immer als „Einstiegsdrogen“ für Jugendliche, bei denen man schnell in den Kreislauf gerät, eine Folge nach der anderen zu schauen.

Detektiv Conan handelt von einem jugendlichen Detektiv, der durch ein mysteriöses Gift geschrumpft wird und fortan als kleiner Junge Kriminalfälle löst. One Piece dreht sich um Ruffy, der Piratenkönig werden will und mit seiner Crew die Ozeane bereist. Beide Animes laufen seit den 1990er-Jahren und sind noch längst nicht abgeschlossen, was problematisch werden kann, da ihre Mangaka (Autoren) immer älter werden.

Heute haben sich die Jugendlichen angewöhnt, Animes in der Originalsprache auf Japanisch mit deutschen oder englischen Untertiteln anzusehen, weil bei vielen Formaten nicht feststeht, ob sie synchronisiert werden und das gegebenenfalls lange dauern kann. Besonders beliebt sind Sport-Animes, die sich inhaltlich stark ähneln. Im Fokus stehen darin immer eine Sportart, eine angestrebte Meisterschaft und ein High-School-Team, das sehr schlecht ist. Doch zum Glück gibt es in einer der unteren Klasse die charakterliche Geheimwaffe, die dem Team zu neuer Größe verhelfen kann. Im Bereich Volleyball ist das heute die Serie Haikyū!!, damals war es die Fußballmannschaft Kickers.

Düsterer wartet der Manga Tokyo Ghoul auf, der auch in Deutschland eine große Fangemeinde hat und in dem Ken nach einer Organtransplantation als Halbghul aufwacht, der Menschenfleisch verzehren muss, um zu überleben.

In Death Note will Protagonist Light die Welt verändern und bekommt die Möglichkeit dazu, als er ein Notizbuch findet, in das er nur die Namen von denen eintragen muss, die er töten will und die kurz daraufhin unter mysteriösen Umständen sterben.

Bei Code Geass: Lelouch of the Rebellion findet man sich in einer komplexen, dystopischen Welt wieder, die von drei Machtblöcken, dem Heiligen Britannischen Reich, der E.U. und der Chinesischen Föderation dominiert wird. Ich bin überrascht, denn das ist thematisch nicht die leichte Unterhaltung, gespickt mit Humor und Abenteuer, die ich von früher kenne. Die Handlungen sind komplex, vielfältig, verhandeln den Menschen, Recht und Unrecht, Kriege und gesellschaftlich relevante Themen. Horror- und Mysteryelemente, Action und Dark Fantasy bestimmen viele Inhalte.

Japanische Kultur & Lebensart erweitern den Horizont

Girl in Chibi style: by Niabot - Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15407602
Girl in Chibi style

Doch worin liegt die nach wie vor große Faszination von Mangas und Animes? Vanessa sieht diese darin, dass unsere vor allem amerikanisch und europäisch geprägte Kultur nur von der japanischen bereichert werden kann und sich so automatisch der eigene Horizont erweitert. Zudem richten sich viele Mangas und Animes in Japan speziell an junge Erwachsene, was mit einer gewissen Exklusivität einhergeht. Ich erinnere mich vor allem an die Aufmachung, den Zeichenstil und den anders ausgespielten Humor in Form von Chibis, die mich fesselten, obwohl sich die Animation selbst häufig aus unzähligen Standbildern zusammensetzte.

Im Januar findet in Berlin jährlich das Japan-Festival in der URANIA statt, hier lässt sich Kultur, Lebensart, Tradition und Kunst entdecken. Cosplays als Verkleidungstrend sind eine andere Möglichkeit, um sich mit seinem Hobby und der japanischen Kultur zu verbinden. Fans kostümieren sich dabei als ihr Lieblingscharakter aus Manga und Anime und treffen auf diese Art Menschen aus dem ganzen Land. Die Kostüme sind oft selbst gemacht und kosten neben viel Arbeit mit allen Details mehrere hundert Euro. Die Veranstaltungen erhalten jährlich einen steigenden Zuwachs, eine der bekanntesten ist die Manga-Comic-Convention im Rahmen der Leipziger Buchmesse. Aber auch die AnimagiC in Bonn oder die Connichi in Kassel erfreuen sich großer Beliebtheit.

Animes als „Toleranzbereiter“

Trotzdem würde sich Vanessa immer noch als Teil einer „großen Minderheit“ sehen. Viele ihrer Freunde gucken selbst Animes, wollen aber nicht aktiv zur Szene gehören oder ziehen Ausdrucksformen wie Cosplays in Erwägung. Aber auch die, die keine Animes schauen oder Mangas lesen, wüssten zumindest von deren Existenz und seien sehr tolerant. Einige nutzen das Internet, um sich mit anderen zu vernetzen und schreiben Fanfictions zu ihren Lieblingsserien oder zeichnen Fanarts. Diese zu präsentieren und sich mit anderen Fans auszutauschen, ist auf der deutschsprachigen Plattform Animexx möglich, die es schon seit über zehn Jahren gibt.

Mir fällt auf, wie offen und tolerant die Community ist. Es ist seit meiner aktiven Phase in der Manga- und Animeszene eine Selbstverständlichkeit, dass Mädchen Shonen-Mangas (Shonen = Jungs) lesen, doch die Begriffe yuri (=lesbisch) und yauri (=schwul) hatte ich noch nicht in meinem Wortschatz. Häufig werden gleichgeschlechtliche Paare in Mangas und Animes geshippt (Wunsch, dass zwei Personen zusammenkommen, abgeleitet von relationship, dt. Beziehung). Bereits in Sailor Moon ging man fortschrittlich mit Sexualität und Transidentität um und mir scheint, Akzeptanz und gegenseitige Wertschätzung sind im Manga- und Animebereich etwas ganz Normales. Das Fandom, also die Fangemeinde, hat Spaß an der Sache und das ist das Wichtigste.

Dank Vanessa weiß ich jetzt, dass sich Detektiv Conan auch nur nach den Folgen mit Haupthandlung filtern lässt – also nach den Episoden mit den Männern in Schwarz. Dafür gibt es eigens Listen im Internet, welche die Handlung aufschlüsseln. Vor zehn Jahren war das wie Roulette, entweder man hatte Glück oder RTL II sendete eine der einhundert Episoden, die story-unrelevant waren. Meine Abendplanung steht, ich muss aufholen!

Bildnachweise:
Figure in Manga style: By Niabot – Own work, CC BY-SA 3.0
Girl in Chibi style: by Niabot – Own work, CC BY-SA 3.0

Über Laura Carius

Laura Carius hat Kommunikations- und Medienwissenschaften in Halle und Leipzig studiert, sammelte Erfahrungen in der PR- und Onlinekommunikation, war Werkstudentin bei der Leipziger Buchmesse und gewann bei der FSF Einblicke in den Jugendmedienschutz. Aktuell arbeitet sie bei einem Digitalverband in Berlin.