Auf meinem Regal neben dem Schreibtisch steht ein Oscar. Leider kein echter; es ist eine Attrappe aus billigem Plastik, die ich mir als Teenager in den Ferien in L.A. selbst verliehen habe. Für eine Nebenrolle bei einem Stück unserer Schultheater-AG. Heute staubt der Oscar, bestmöglich verdeckt von Büchern, vor sich hin. Entsorgen will ich ihn trotzdem nicht, denn er erinnert an eine Faszination, die mich seitdem nicht mehr losgelassen hat. Doch wie ist Hollywood zu dem geworden, was heute jährlich Myriaden von Plastik-Oscars hervorbringt? Zu einer selbst ernannten Jury über Glück und Unglück? So viel ist schon mal klar: Die Geschichte Hollywoods zu erzählen, bedeutet immer beides: zum einen, die des rasch wachsenden, schillernden Stadtteils von Los Angeles und die der symbolhaften Traumfabrik.
Alles begann mit Stechpalmen. Ich habs nachgeguckt: Das sind ‒ dem Duden zufolge ‒ Bäume mit „glänzenden, immergrünen, meist dornigen Blättern“. Viel mehr, als ein Wald voller „Hollys“ und eine angrenzende, aufstrebende Ortschaft fanden die Mitarbeiter eines Maklerbüros wohl nicht vor, als sie im Juli 1923 Hollywoodland erstmals anpriesen ‒ in 15 Meter hohen, (insgesamt) 137 Meter breiten und damals noch beleuchteten Lettern am Mount Lee. Entsprechend günstig, aber auch nicht gerade aufregend, war die Umgebung.
Dabei hatte der New Yorker Regisseur D.W. Griffith (The Birth of a Nation, Intolerance) das Fundament für die spätere Hochburg des amerikanischen Films längst gelegt: 1910 drehte er In Old California, den ersten, ganze 17 Minuten langen Film an der Westküste. Er war es auch, der mit seinem höchst kontroversen Film The Birth of a Nation (1915) erstmals kühne Kamerafahrten verwendete, ebenso wie innovative Parallelmontagen und neue Kameraperspektiven ‒ von Close-up über Long-Shot bis hin zu Fade-out. Bereits 1911 öffnete mit der Nestor Company das erste Filmstudio seine Pforten. Unzählige weitere Studios folgten. Nicht nur, weil das sonnige, gleichmäßige Klima Kaliforniens das Kunstlicht überflüssig machte und so die Produktionskosten für die Stummfilme erheblich senkte. Dazu bei trug auch die weitgehende Anonymität der Akteure. Manch arbeitsloser Theatermime nahm nur aus der Not Filmrollen an. Filmschauspieler war die etwas bessere Alternative zur Arbeitslosigkeit.
Das Studio-System verändert Hollywood
Das Starsystem begann gewissermaßen mit einem schwäbischen Trick. Carl Laemmle, ein Kaufmann aus dem oberschwäbischen Laupheim und Chef des I.M.P.-Filmstudios, teilte 1910 in einer Zeitungsannonce in St. Louis mit, das ehemalige „Biograph Girl“ Florence Lawrence sei bei einem Straßenbahnunfall in San Francisco ums Leben gekommen. In Wirklichkeit war die Schauspielerin aber quietschfidel. Nur einen Tag später wertete Laemmle die Meldung als Angriff der Konkurrenz und bestätigte, dass die Schauspielerin in Kürze den ersten Film als „I.M.P.-Girl“ drehen würde. Von nun an zierte ihr Name die Werbeplakate der großen Kinopaläste.
Den folgenden Aufstieg von Schauspielern zu opulent bezahlten Filmstars erlebten viele Filmschaffende bereits in Hollywood. Denn neben den günstigen Bedingungen war einigen Studiobossen der Independents (unabhängige, kleinere Studios) auch das Monopol der Motion Pictures Patents Company (MPPC) an der Ostküste ein Dorn im Auge. Dessen Patriarch Thomas Alva Edison erhob Lizenzgebühren fast ebenso inflationär, wie er Dinge erfand (seine Glühbirne fiel erst im 21. Jahrhundert der Europäischen Kommission zum Opfer). Bereits 1915 wurde so ein Großteil aller US-amerikanischen Filme in Hollywood und Umgebung gedreht. Noch heute zeugen Filmpaläste wie das Mann’s Chinese Theatre oder das Egyptian von einer Zeit, in der viele Filmstudios Inhaber großer Filmpalast-Ketten waren. Als Oligopol kontrollierten die Big Five (MGM, Paramount, 20th Century Fox, Warner Bros., RKO) so einen Großteil der amerikanischen Filmwirtschaft. Die Little Three (United Artists, Columbia, Universal Pictures) besaßen keine eigenen Kinos und konnten der größeren Konkurrenz wenig entgegensetzen.
Schauspieler banden sich in der Regel für sieben Jahre an ein bestimmtes Studio, das ihnen ein eigens kreiertes Image zuwies ‒ oft verbunden mit einem der sich stetig stärker ausdifferenzierenden Genres. Irgendwie naheliegend, dass 20th Century Fox für Marilyn Monroe nicht unbedingt die Rolle der treusorgenden Ehefrau mit fünf Kindern und Hund vorsah ‒ oder die der entstellten Zombiebraut in Horrorfilmen. Vielleicht hätte sie dieses Image aber glücklicher gemacht. Zwar starben die meisten Schauspieler nicht wie die Monroe einen einsamen Tod mit Überdosis; so richtig glücklich wurden sie mit dem Studiosystem aber auch nicht. Dennoch zelebrierten Stars wie Meg Ryan oder Hugh Grant diese Fixierung auf ein Genre trotzdem noch bis ins frühe 21. Jahrhundert ‒ wenn auch freiwillig und nicht zwingend gebunden an ein bestimmtes Studio. Doch ähnlich wie Marilyn Monroe in den frühen 1960ern strauchelten sie, als man ihnen den jugendlichen Lover nicht mehr abnahm und sie seriöse Rollen spielen wollten.
„You ain´t heard nothing yet“ ‒ Talkies erobern die Leinwand
Doch zurück zu Hollywoods Anfängen: Einen weiteren Meilenstein markierte The Jazz Singer (1927, Warner), der erste „Talkie“ (Tonfilm), mit Al Jolson in der Titelrolle. Zumeist gesungen und mit kaum mehr als ein paar Hundert gesprochenen Worten leitete er das abrupte Ende vieler Schauspielkarrieren ein: Einige Akteure hatten einen fiesen Dialekt, andere eine unangenehme Stimme oder gleich beides. Dennoch standen zunächst Stummfilm-Schauspieler noch immer hoch im Kurs. Lange, bevor Elvis Presleys Graceland zum Wallfahrtsort wurde, pilgerten Fans zu Pickfair ‒ jenem 42-Zimmer-Anwesen von Douglas Fairbanks und Mary Pickford, das Beverly Hills zum bevorzugten Wohnort von Stars und Sternchen machte. Norma Talmadge war sowas wie die Angelina Jolie der Stummfilmzeit. Sicherlich talentiert, aber der Fokus des Interesses lag nicht direkt auf ihrer Stimme. Und so wird es wohl ein ewiges Mysterium bleiben, ob sie 1927 tatsächlich versehentlich in den Zement vor Grauman’s Chinese Theatre trat und Hollywood so eine weitere Touristenattraktion bescherte. Zu einer solchen avancierte auch das gegenüberliegende Hollywood Roosevelt Hotel, in dem 1929 die ersten Academy Awards (schon damals nicht aus Plastik!) verliehen wurden. Noch heute soll der Geist von Marilyn Monroe, die niemals eine der begehrten Trophäen erhielt, sein Unwesen in einer Suite mit Poolblick treiben.
Mysteriöse Hotels haben überhaupt eine lange Tradition in Hollywood. Das Château Marmont am Sunset Boulevard verließ so manche Größe waagrecht. Blues Brother John Belushi etwa ereilte dort 1982 ein früher Drogentod in Bungalow Nr. 3 ‒ ähnlich wie Whitney Houston etwa 25 Jahre später im Regent Beverly Wilshire (das es sicherlich vorgezogen hätte, weiterhin als Drehort von Pretty Woman bekannt zu sein). Dem benachbarten Beverly Hills Hotel blieben derartige Schlagzeilen bisher erspart; 1976 ging es ‒ den Eagles sei Dank ‒ als Hotel California in die Geschichte ein.
Morgen gibt es an dieser Stelle die Fortsetzung dieses Beitrages mit dem Titel Vom „Golden Age“ zu „New Hollywood“.