Das Böse auf unserer Pizza

Mark Benecke wurde 1970 geboren und ist in Köln aufgewachsen. Er ist Kriminalbiologe und Spezialist für forensische Entomologie. Als Autor mehrerer populärwissenschaftlicher Bücher ist er zudem häufig Gast in den Medien, wo er spektakuläre Fälle präsentiert. Gerade tourt er mit einer Vortragsreihe durch Deutschland. tv diskurs traf ihn dabei in Berlin. Im Interview spricht er mit Torsten Körner und Camilla Graubner über die Natur des Bösen, das man nüchtern und sachlich betrachten müsse, um ihm auf die Spur zu kommen. Mark Benecke verrät uns, wie er als Medienkind aufwuchs, was er von Medienpädagogik hält und wer für ihn abgrundtief böse ist. Als Interviewpartner ist der viel tätowierte, mit einem schweren schwarzen Mantel gekleidete Benecke äußerst liebenswürdig, geduldig und sehr geerdet.

Marc Benecke: Das Böse auf unserer Pizza, Foto: Marcus Gloger
Mark Benecke, Foto: Marcus Gloger

Herr Benecke, wie weit ist denn die Ausdifferenzierung des forensischen Berufsbildes vorangeschritten? Gibt es einen Blutspritzeranalysten wie in Dexter tatsächlich?

Dexter habe ich noch nicht gesehen. Aber Blutspuren kann man auf jeden Fall analysieren, das geht sehr gut. So ein Raum wie dieser hier eignet sich ziemlich gut. Der hat ein paar glatte Oberflächen, ein paar schräge Flächen, wo was hinspritzen kann. Man hat verschiedene Oberflächen, die die Geschichte erzählen. Blutspurenrekonstruktion ist eine der sichersten Methoden, die wir haben.

Ihre Arbeit als Forensiker ist vermutlich ein zeitintensives Geschäft und nicht so ein rasantes Aufklärungsgeschäft, wie uns das die CSI-Formate glauben lassen wollen?

Ja, richtig. Von CSI habe ich vor Ewigkeiten mal eine Folge gesehen, weil eine Zeitschrift eine Rezension wollte. In der Realität ist die Aufklärung natürlich extrem langsam und sehr arbeitsteilig. Wir hatten heute Nachmittag z. B. folgende Situation: Da soll Sperma im Mund eines Kindes gefunden worden sein. Das wurde durch einen chemischen Test bestätigt. Die Familie des Täters zweifelte das aber an. Da frage ich dann: Wer zweifelt warum, woraufhin mir das Urteil zugeschickt wird, in dem steht, dass es ein Kollege festgestellt hat, den ich gut kenne und der weiß, was er tut. Dann frage ich die Auftraggeber, die darauf hoffen, den Täter entlasten zu können, wieso sie denn an diesem Test zweifeln – und bekomme die Antwort, weil das Professor Sowieso gesagt hat. So muss man sich am Anfang erst einmal durchwühlen, um ganz klare Aussagen zu bekommen. Das ist oft sehr zeitintensiv. Es ist schwierig zu trennen, wer will was warum herausfinden.

Würden Sie das Böse ganz und gar naturwissenschaftlich erklären oder haben Sie einen übergeordneten Resonanzraum? Also gibt es das Böse jenseits des Menschen?

Jenseits des Menschen gibt es das Böse nicht. Es ist in den Menschen drin. Worauf es zusammenschmilzt, wenn wir es biblisch betrachten, ist Gier und Faulheit. Nehmen wir das Beispiel Steuerhinterzieher. Ich behaupte mal ins Blaue, die Hälfte meines Publikums hinterzieht Steuern. Bei meinen Lesungen sage ich immer, die Leute brauchen gar nicht über den Hoeneß abrappen. Die sind auch nicht besser. Da ist Ruhe im Raum.

Gut sind demnach Menschen, die empathisch sind und Mitgefühl haben?

Auch nicht immer. Empathie kann auch missbraucht werden. Manche Menschen sind sehr empathisch, um viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Nein, ich würde es wirklich an Handlungen festmachen. Wer handelt sozial? Und da reicht es nicht, für Greenpeace Geld zu spenden, das allein ist noch nicht sozial.

Sie haben gerade die Bibel ins Spiel gebracht. Gibt es einen Gott, der über die bösen oder guten Menschen wacht?

Nein. Das Böse ist einprogrammiert ins genetische Material. Das ist ausreichend gut geklärt aus meiner Sicht. Natürlich kann man einen Gott annehmen. Wer das möchte, kann aber auch an das Spaghettimonster glauben. Das stört ja keinen. Ich muss bei meinen Untersuchungen aber alles wegschneiden, was überflüssig ist. Auf der Sachebene führt mich also die moralische Betrachtung des Bösen keinen Millimeter weiter.

Gibt es in Ihrer Kindheit oder Jugend mediale Erfahrungen, die Sie bis heute verfolgen? Angstbilder?

Meine Eltern haben sich immer dazugesetzt und dann wurde eher Wetten, dass ..? geschaut. Aktenzeichen XY … ungelöst habe ich bis heute nicht gesehen. Diese Sendung war für mich komplett verboten. Die Begründung meiner Eltern war, dass sie mich nicht die nachgestellten Verbrechensszenen schauen lassen wollten.

Also sind Sie als behütetes Medienkind aufgewachsen?

Ja, auf jeden Fall. Ich würde sagen, meine Eltern haben meinen Fernsehkonsum organisiert, strukturiert und verantwortet. Die haben auch die „Bravo“ zensiert. Die haben immer die ganzen Sex-Seiten rausgerissen. Sie wollten einfach verhindern, dass die Einflüsse zur falschen Zeit auf uns einströmen.

Es waren also nicht die Medien, die Ihnen bestimmte Angstbilder geliefert haben?

Nein, was ich da im Fernsehen wahrgenommen habe, hat mich alles nicht so konkret geschreckt. Mich haben vielmehr alle möglichen Verhaltensweisen in meinem näheren Umfeld dazu gebracht, mich Dingen statt Gefühlen zuzuwenden. Ich habe mich mit Insekten oder Gräsern beschäftigt, sie katalogisiert, geprüft, mit einem Etikett versehen. Ich verstehe nicht, warum Menschen sich so emotional verhalten, weil ich nicht so emotional bin. Diese Ebene ist für mich sehr kompliziert, weshalb ich mich gern auf das zurückziehe, was man messen kann.

Das vollständige Interview Das Böse auf unserer Pizza ist in der aktuellen tv diskurs 68 erschienen. Alle Artikel können auf tvdiskurs.de nachgelesen werden.

Über Torsten Körner

Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft in Berlin. Während des Studiums erste journalistische Arbeiten. Nach Abschluss des Studiums Promotion über ein film- und kulturwissenschaftliches Thema. Seither freier Autor für verschiedene Medien. Diverse Veröffentlichungen, verschiedene Jury-Tätigkeiten. Als Fernsehkritiker meistens in Funk-Korrespondenz, epd medien und Der Tagesspiegel unterwegs. Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen.