Streitkultur im Zeitalter der Sozialen Netzwerke: Können wir überhaupt noch mit Konfliktsituationen umgehen?
Können wir in Zeiten von Social Media überhaupt noch mit Konflikten umgehen? Mit dieser spannenden Frage beschäftigten sich Studierende von Prof. Joachim von Gottberg (FSF-Geschäftsführer und Chefredakteur tv diskurs) und Barbara Weinert (ehemalige Redakteurin tv diskurs) im Rahmen des Seminars Schreiben für die Medien an der Martin-Luther-Universität. Die Studentin Anna Parker hasst Streiten. Warum sie verbale Konflikte aber dennoch für wichtig hält, erklärt sie in unserem heutigen Blogbeitrag.
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Ich streite mich gerne auf die altmodische Art. Das heißt – eigentlich streite ich überhaupt nicht gerne. Aber wenn, dann bitte von Angesicht zu Angesicht. Bei mir fließen währenddessen automatisch Tränen, ich kann gar nicht anders. Mein Freund ist da eher der laute Typ, so dass die Nachbarn dank der dünnen Wände auch was von unseren Argumenten haben und sich im Grunde mit einbringen könnten. Vielleicht bin ich mit dieser Meinung aber schon wie das Schnurtelefon in Zeiten des Internets – völlig veraltet.
Bis jetzt bin ich noch drum herumgekommen, mich online mit jemandem streiten zu müssen. Generell sind meine Freunde auf den Social-Media-Plattformen immer besonders nett: Es werden haufenweise Smileys eingesetzt, damit man auch ja das subtile Lächeln hinter der Nachricht versteht und bloß nichts falsch verstanden wird. Aber was passiert, wenn man etwas doof findet? Wenn man sich gar – oh je! – streitet? Der neueste Trend sagt: nichts. Denn es ist wirklich wunderbar unkompliziert, die nachfragende SMS der gerade neu beschlossenen Ex-Freundin zu ignorieren, den nervigen Chat zu verlassen, wenn einem die Argumente ausgehen oder auch E-Mails links liegen zu lassen. Da wäre zum Beispiel das sogenannte „Ghosting“, bei dem der Freund oder die Freundin sich einfach in Luft auflöst: Keine Kurznachrichten mehr, keine Anrufe, keine Spur auf den Social-Media-Seiten. Schlussmachen 2.0.
Im Zeitalter der Onlinekommunikation können wir unsere Moral, unseren Gerechtigkeitssinn und anscheinend auch das schlechte Gewissen so einfach an- und abschalten wie die Nachttischlampe. Leider lässt das die Menschen, die verlassen wurden, oftmals mit noch mehr Herzschmerz zurück. Die Fragen, die man sonst hätte klären können, die Argumente, die man hätte anbringen können, schwirren im eigenen Kopf herum, ohne dass sie etwas verändern könnten.
Was ist bloß mit dem guten, alten Streit passiert? Mit dem Föhn-an-den-Kopf-Werfen wie im Disney-Film aus der Kindheit? Natürlich ist es unglaublich schwer, sich zu streiten – gar keine Frage. Ich gehöre zum Beispiel zu dem Streit-Typ „Ignoranz“: Dabei sammelt sich alles, was mich an der betreffenden Person stört, nach und nach an. Die Handlungen oder Aussagen, die mich eigentlich aufregen, tue ich meistens als nichtig ab, oder ich rede mir erfolgreich ein, ich hätte keine Kraft, mich jetzt damit zu beschäftigen. Das ist also meine Art, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Aber irgendwann hat sich so viel bei mir angehäuft, dass ich platze – und dann richtig! Andere sprechen lieber alles gleich an und aus – Streitgespräche in Etappen, sozusagen.
Glücklicherweise wurde ich selber noch nie Opfer des angesprochenen Ghostings und habe es auch noch nie praktiziert. Das Streitgespräch und das anschließende Schlussmachen mit meinem letzten Freund war eines der schwersten Dinge, die ich bisher in meinem Leben bewältigt habe. Trotzdem würde ich es nicht vermeiden wollen, selbst wenn ich könnte. Denn – und da bin ich mir ziemlich sicher, auch die „Ghosts“ werden ewig arm bleiben. Streitgespräche sind anstrengend und tun weh, aber sie sind gleichzeitig auch unglaublich wichtig für einen selbst. Jedes Mal, wenn ich streite, lerne ich, meine Vorstellungen und Wünsche besser zu formulieren. Ich lerne, mich durchzusetzen. Vermeider von Konfliktsituationen haben diese Möglichkeit nicht. Im Nachhinein werden sie wohl mehr Schwierigkeiten haben, denn ewig kann man Konflikten nicht aus dem Weg gehen. Irgendwann passiert es jedem.
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