Nacktfotos von Kindern – Blick auf die im „Edathy“-Reflex geführte Reformdiskussion

Im Nachgang der Causa „Edathy“ wurde von Seiten des Kinderschutzbundes und Vertretern der Politik eine Überprüfung des Straftatbestandes zur Kinderpornographie gefordert. Auch das BMFSFJ kündigte unter der Führung von Frau Ministerin Schwesig eine Prüfung der Rechtslage im Hinblick auf etwaige Regelungslücken an. Die derzeitige Rechtslage und die Regelungsdivergenz zwischen Offline- und Online-Medien skizziert der nachfolgende Beitrag.*

Nacktfotos von Kindern – Blick auf die im „Edathy“-Reflex geführte Reformdiskussion (c) FSF

Straftatbestände der Kinder- und Jugendpornographie (§§ 184b, 184c StGB)

Das Strafgesetzbuch untersagt bislang u.a. die Verbreitung, aber auch den Besitz und die Besitzverschaffung  von „pornographische Schriften (…), die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern [und Jugendlichen]  zum Gegenstand haben“. Seit der Neufassung durch Gesetz v. 31.10.2008 (BGBl. I S. 2149) werden nicht mehr (nur) solche pornographischen Schriften mit Kindern erfasst, die deren „sexuellen Missbrauch“ (unter Bezugnahme auf §§ 176 bis 176b StGB) zum Gegenstand haben. Vielmehr unterfallen alle dargestellten bzw. geschilderten sexuellen Handlungen mit Kindern und Jugendlichen dem Straftatbestand. … Trotz der Erweiterung des Wortlauts werden die aktuell um den Fall Edathy diskutierten Nacktfotos durch die Straftatbestände der §§ 184b, 184c StGB in der Regel nicht erfasst, da sich der erforderliche Sexualbezug allein aus der Bilddarstellung nicht ergibt. Jedenfalls können die Bilder regelmäßig nicht als „pornographisch“ angesehen werden.

Jugendschutzrechtliche Verbote von Postendarstellungen Minderjähriger:  Erhebliche Regelungsdivergenz zwischen JMStV und JuSchG

Vom Sexualstrafrecht im engeren Sinne zu unterscheiden sind die jugendschutzrechtlichen Verbote von Darstellungen von Kindern und Jugendlichen in unnatürlich(er) geschlechtsbetonter Körperhaltung nach § 4 Abs. 1 S.1 Nr. 9 JMStV und § 15 Abs. 2 Nr. 4 JuSchG. … Bemerkenswert ist, dass die Verbotsreichweite für Online-Medien und Offline-Medien erheblich divergiert: Während im Rundfunk und im Internet entsprechende Darstellungen generell untersagt sind und mithin auch nicht Erwachsenen zugänglich gemacht werden dürfen, verbietet das Jugendschutzgesetz lediglich das Zugänglichmachen gegenüber Minderjährigen. Hiernach ist also das Verbreiten entsprechender Posendarstellungen mit Kindern und Jugendlichen auf DVD, BlueRay-Disc etc. an Erwachsene vollkommen legal. Diese Divergenz ist seit 2003 weithin bekannt, ohne dass sie Gegenstand von Änderungsgesetzen des Jugendschutzgesetzes und/oder sonstiger Bundesgesetze geworden ist.  …

Dass die Verbreitungsbeschränkungen des § 15 Abs. 1 JuSchG sowie die Ratio des Gesetzes systematisch von vorneherein nur auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen als Medienrezipienten gerichtet sind, unterscheidet das JuSchG vom Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, der in § 4 Abs. 1 S. 1 auch absolute Unzulässigkeitstatbestände kennt, welche das Zugänglichmachen gegenüber Erwachsenen untersagen. Ein Darstellerschutz, welcher auch in generelle Verbreitungsverbote münden müsste, ist der Regelungsstruktur des Jugendschutzgesetzes hingegen bislang fremd. Entsprechende Gesetzesänderungen dürften daher nicht nur kleinere Wortlautergänzungen erfordern, sondern hätten die Schaffung eines absoluten (Erwachsenen-) Verbotes als systematischen Extraneus des Jugendschutzgesetzes zur Folge.

Tatbestandslosigkeit „natürlicher“ Nacktdarstellungen

Ungeachtet der dargestellten Regelungsdiskrepanz ist aber ohnehin fraglich, ob die nunmehr diskutierten Nacktfotos aus Alltagssituationen von Kindern und Jugendlichen überhaupt den Jugendschutzverboten unterfallen. Zunächst sind schon der Besitz und die Besitzverschaffung nicht untersagt. Überdies wird es bei einschlägigen Darstellungen gerade an einer „unnatürlichen Geschlechtsbetontheit“ fehlen. Insgesamt kommt dem Verbotstatbestand selbst im Internet fast keine praktische Bedeutung zu, was entweder auf ein Vollzugsdefizit oder auf Ausweichbewegungen der Klientel in den noch nicht erfassten vortatbestandlichen Bereich hindeuten könnte.

Die für die staatliche Aufsicht zuständige Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) hat insoweit in einer aktuellen Pressemitteilung zwar verlautbart, der Bereich der jugendschutzrechtlichen Posenverbote sei eine ihrer Kernaufgaben. Ausweislich der eigenen Statistik gab es im Jahr 2013 jedoch keinen einzigen Aufsichtsfall wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 JMStV. Allerdings kam die KJM in 2013 auch insgesamt nur auf 18 Aufsichtsfälle in Telemedien, also auf einen Durchschnitt von 1,5 festgestellten JMStV-Verstößen im Internet im Monat. Ob man angesichts dieser Aufsichtspraxis davon ausgehen kann, dass allein ihr faktisches Fehlen Beleg für eine tatsächliche Absenz entsprechender Angebote nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 JMStV ist, erscheint zumindest nicht zwingend.

Zu rechtpolitisch geforderten Reformansätzen

Nicht vergessen werden sollte über die derzeit noch oberflächlich geführte Sexualstrafrechtsdebatte, die qualitativ gegenüber Alltagsdarstellungen von Nacktfotos gravierenderen Darstellungen von Minderjährigen in geschlechtsbetonter Körperhaltung nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 JuSchG zu fokussieren. Bislang sind der Handel und der Tausch solcher Trägermedien (z.B. DVD, Bueray-Disc) unter Erwachsenen legal, da nur das Zugänglichmachen gegenüber Minderjährigen untersagt wird. Hier erscheint es nicht sachgerecht, dass seit 2003 entsprechende Darstellungen im Internet generell untersagt sind, auf Blue-Ray und DVD der inhaltsidentische Content aber an Erwachsene vertrieben werden darf. Insoweit sind Absolutverbote dem Jugendschutzgesetz zwar rechtssystematisch fremd. Dies allein rechtfertigt indes nicht die Ungleichbehandlung ein und derselben Medieninhalte je nach Mediensparte.

Es handelt sich um einen Auszug aus dem gleichnamigen Beitrag des Autors in tv diskurs 68 (erscheint Ende April), der die derzeitige Rechtslage ausführlich darstellt, auf den seit 2003 nach dem  Jugendschutzgesetz legalen Erwachsenenhandel mit Posendarstellungen Minderjähriger hinweist und auch die tendenziell liberale Rechtsprechung bei Medien mit subtiler Duldung sexueller Handlungen zwischen Erwachsenen und Minderjährigen in den Blick nimmt.

Über Marc Liesching

Dr. Marc Liesching ist Rechtsanwalt und spezialisiert auf das Medienrecht. Er berät Medienunternehmen und ist als rechtswissenschaftlicher Gutachter und Referent im Auftrag von Medienanbietern, Institutionen und Behörden tätig.