Serienmüdigkeit

In den letzten Jahren umgab das Fernsehen und seine Streaming-Äquivalente eine regelrechte Goldgräberstimmung. Kritiker und Zuschauer kriegten sich nicht wieder ein in Bezug auf die bahnbrechende Qualität von TV-Serien. Dieses musste man gesehen haben, jenes war schon absoluter Kult und das hier würde der nächste große Hit (oder auch nicht). Doch inzwischen mischen sich auch andere Töne in die Begeisterung.

400 TV-Serien gab es 2015, berichtet die Zeitschrift Business Insider. Eine noch nie da gewesene Zahl, die sich seit 2009 verdoppelt hat. Da waren es 211. Dieser Umstand veranlasste den FX-Präsidenten John Landgraf zu der umstrittenen Aussage, es gebe zu viele TV-Serien. Worauf er damit abzielte, ist die Tatsache, dass es durch die Masse zu viel Konkurrenz auf dem Markt gibt. Daraufhin hagelte es Artikel zu dem Thema, die allerdings weniger die kommerzielle Seite beleuchteten, sondern eher das Gefühl der Zuschauer, dass man nicht mehr hinterherkommt. Der Guardian gab neulich eine humorige Anleitung dazu, wie man Zeit sparen kann, indem man Serien aussortiert, um dem, wie sie es nannten, Boxset Burnout zu entgehen. Aussortieren nach der ersten Folge: Zeitersparnis = 10 Stunden. Aussortieren nach einer halben Staffel: Zeitersparnis = 5 Stunden und mehr. Aussortieren nach der ersten Staffel: Zeitersparnis = potenziell Jahre. Obwohl das, genaugenommen, auch für die anderen Optionen gilt.

Ich muss sagen, dass sich auch bei mir nach der ersten Euphorie hin und wieder etwas Müdigkeit breitmacht. Mit Serien begibt man sich auf eine Reise. Man lernt Figuren kennen, fiebert mit ihnen, leidet und sympathisiert, lacht und weint  – geht eine Serie zu Ende, muss man sich verabschieden. Sich immer wieder auf neue Geschichten und ihre Protagonisten einzulassen, erfordert einen gewissen emotionalen Aufwand. Es ist ein Gefühl, das ich bis dahin nur vom Lesen kannte: sich wehmütig verabschieden von geliebten fiktiven Personen. Ein Gefühl, das noch verstärkt wird, wenn man eine Serie in einem Durchlauf guckt. Etwas, was Matthew Schneier von der NY Times als Post-Binge-Watching Blues bezeichnet: postserielle Depression.

Diesen Aufwand immer wieder zu betreiben kann eben anstrengend werden. Und ich glaube, es ist ganz heilsam, mal eine Weile wenig zu gucken oder nur bereits Bekanntes. Was sich mit dieser Müdigkeit allerdings auch einstellt, ist das Wählerischsein. So habe ich festgestellt, dass ich keine Geduld mehr habe, mich mit irgendetwas zu befassen, was auf den ersten Blick nichts Innovatives bietet oder mich nicht gleich auf irgendeiner Ebene packt.

Die althergebrachte Ein-Fall-pro-Folge-Struktur ist etwas, was sofort für einen extrem schweren Stand sorgt. Blindspot und The Blacklist etwa habe ich noch vor Ablauf der ersten Staffel wieder aussortiert.

Sie sind die Art von Serien, die nach dem alten Schema F funktionieren und – um sich das Mäntelchen von Qualitätsserie umzulegen – einen sehr dünnen Dauerhandlungsstrang einbauen, der sich über die gesamte Staffel oder sogar Serie zieht. Mit wirklich komplexer Erzählweise hat das nichts zu tun. Limitless ist gleich nach der ersten Folge aus dem Rennen geflogen, weil der blasse Hauptdarsteller, die Paarung mit einer Frau und die völlig an den Haaren herbeigezogene Prämisse bei mir sofort ein lautes Gähnen auslösten. Mit potenziellen Kriegen-sie-sich-oder-nicht-Debakeln braucht mir, ehrlich gesagt, auch keine Serie mehr zu kommen. Das wurde schon in den Neunzigern langweilig und sorgt vor allem für schlechte Drehbücher, weil die Autoren mit aller Macht versuchen, dem potenziellen Paar Hindernisse in den Weg zu legen, die zunehmend unglaubwürdiger werden. Auch Sexismus ist etwas, was ich inzwischen nicht mehr bereit bin, zu tolerieren. Bei der wachsenden Zahl von Klischees trotzenden weiblichen Figuren ist eine Serie, in der die Kamera ständig auf dem wackelnden Hintern und dem unnötig tiefen Ausschnitt der Protagonistin verweilt, meine Aufmerksamkeit nicht wert. Da hilft es auch nicht, dass man die Figur vornehmlich als schlagkräftige Polizistin, die immerzu mit der Waffe wedelt, anlegt, Minority Report!

Ich kann allerdings nicht sagen, dass ich damit viel Zeit gewonnen habe. Denn die wurde sofort wieder in Serien investiert. Mit der gestiegenen Gesamtzahl ist nicht die Zahl von Schrott gestiegen (den Schrott gab es schon vorher), sondern vor allem die Zahl der Perlen. Wie Rebecca Nicholson in ihrem Artikel zu der Problematik treffend bemerkt, ist die Beschwerde, es gäbe zu viele TV-Serien, wie die Beschwerde, dass einen die diamantenbesetzten Schuhe drücken – auf gut Deutsch: Meckern auf extrem hohem Niveau.

Über Katja Dallmann

Katja Dallmann hat ein Übersetzer-Diplom und einen Bachelor in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft abgeschlossen. Sie ist freie Übersetzerin und Autorin, hat als Onlineredakteurin gearbeitet und verschiedentlich in Print und Online publiziert. Katja ist leidenschaftlicher Serienfan und bloggt sonst unter Serielle Schnittstelle.