Test, Test … hört mich jemand?

Laufen zwei Frauen an einem Kino vorbei. Fragt die eine: „Willst du Dir einen Film ansehen?“ Sagt die andere: „Naja, ich weiß nicht, ich habe da diese Regel … Ich sehe mir nur Filme an, die folgende Kriterien erfüllen: Sie müssen 1. zwei Frauen beinhalten, die sich 2. miteinander unterhalten und 3. über etwas anderes als Männer.“ „Ganz schön streng“, meint darauf die Erste, „aber eine gute Idee.“ „Ach echt?“, erwidert die Zweite, „der letzte Film, den ich mir ansehen konnte, war Alien. Da reden zwei Frauen über das Monster.“

Bechdel Test
Bechdel-Test

Das ist die Entstehungsgeschichte des Bechdel-Tests (BT). Hier allerdings Regel genannt. Die Szene stammt aus einem 1985 erschienenen Comic von Alison Bechdel. Die Regel war und ist ein satirisches Mittel, um den Mangel an wirklich interessanten und im Zentrum der Handlung stehenden Frauenfiguren in Filmen zu demonstrieren. Inzwischen ist diese Regel allerdings zum Bechdel-Test avanciert und bildet das Epizentrum einer seit dem letzten Herbst wuchernden Debatte. Eine Debatte über die Rolle von Frauen in der Film- und Fernsehindustrie und ihren Produkten, aber vor allem über den Test selbst. Losgetreten wurde sie, als einige schwedische Off-Kinos verkündeten, den BT als offizielles Qualitätssiegel für Filme eingeführt zu haben.

Es steht außer Frage, dass der Teil der Debatte über den Mangel von Frauen in der Filmindustrie immer noch mehr als notwendig ist. Denn in der Tat sind Frauen in Filmen und im Fernsehen nach wie vor stark unterrepräsentiert, sowohl vor als auch hinter der Kamera. Soeben ist der Celluloid Ceiling Report des Center for the Study of Women in Television & Film für das letzte Jahr erschienen. 2013 machten Frauen nur 16 Prozent aller Regisseure, Autoren, Produzenten, Cutter und Kameramänner der 250 US-weit kommerziell erfolgreichsten Filme aus. Das sind sogar 2 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Und was die Jobaussichten von vor allem älteren Schauspielerinnen angeht … Um es mit den Worten Tina Feys bei der diesjährigen Golden-Globe-Verleihung zu sagen: „Meryl Streep, so brilliant in August: Osage County, proving that there are still great parts in Hollywood for Meryl Streeps over 60.“

Doch der Teil der Debatte, der sich um den Test selbst dreht, ist eine andere Sache. Genauso wie der sogenannte Test selbst. Befürworter des Tests führen das Argument ins Feld, dass es sich hierbei um eine wirklich simple Sache handelt und es erstaunlich ist, wie wenig Filme diese offenbar so einfachen Kriterien erfüllen. Doch „einfach“ ist genau das Stichwort, in mehrfacher Hinsicht.

Erstens ist es offenbar einigermaßen mühselig, Filme dem Bechdel-Test zu unterziehen. Auf der Website für die Sammlung von bewerteten Filmen gibt es kaum eindeutige Einträge. Hinter vielen verbirgt sich ein langer Diskussionsstrang, der die Uneinigkeit der Bewerter schnell zu Tage treten lässt. Denn die Regeln des Tests sind so klar wie sie unklar sind. Was genau geht als Unterhaltung durch? Was genau verstehen wir unter sich-über-Männer-unterhalten?

Sex and the City etwa würde mit einem Großteil der Folgen komplett durchfallen, weil die Frauen die meiste Zeit über Männer reden. Wer hätte das gedacht, bei dem Titel! Und dabei war diese Serie allein durch die Tatsache, dass die Hauptfiguren alles selbstbestimmte Frauen waren, wegweisend. Ganz zu schweigen von ihrem expliziten Umgang mit weiblicher Sexualität. Und auch Serien wie Mad Men, Masters of Sex oder The Hour würden den Test in großen Teilen nicht bestehen. Und das, obwohl es dort wirklich eine Vielzahl starker Frauenpersönlichkeiten gibt, allen historischen Gegebenheiten zum Trotz. Deren Stärke ergibt sich gerade aus der Tatsache, dass sie gegen widrige Umstände angehen müssen. Doch in einer männlich dominierten Umgebung finden die meisten Gespräche zwischen ihnen natürlich über Männer statt. Wenn so gut wie alle Politiker Männer sind, reden zwei weibliche Journalistinnen worüber? Wenn die meisten Männer Ärzte sind, dann reden zwei ihrer Kolleginnen – sogar wenn sie über Forschung reden – notgedrungen worüber? Und so weiter.

Viele der Diskussionen auf der Testwebseite ranken sich um Filme, die den Test gerade mal so bestehen würden. Was die Frage aufwirft: Wie sinnvoll ist es, sich darüber zu streiten, ob ein Film es gerade mal so über die Ziellinie schafft: mit einem aus zwei Sätzen bestehenden Dialog über ein völlig nichtiges Thema. Was genau sagt das über den Film aus? Diejenigen, die so zwanghaft argumentieren, scheinen dem Test eine ultimative Urteilsfunktion zuzuschreiben, die einen Film bei Nicht-Bestehen diskreditieren könnte. Das würde dann zum Beispiel auf folgende Filme zutreffen: Citizen Kane, die Pate-Trilogie, sämtliche Star-Wars-Filme, sämtliche Harry-Potter-Filme, die gesamte Herr-der-Ringe-Trilogie und natürlich auch die neusten Hobbit-Verfilmungen. Und das, obwohl in letzteren speziell Frauenfiguren eingeführt oder stärker herausgestellt wurden, die die literarische Vorlage so nicht vorsah. Die Abwesenheit von Frauenfiguren macht einen Film nicht automatisch frauenfeindlich oder zu einem Beweis, dass Frauengeschichten vernachlässigt werden, und die Anwesenheit von Frauen macht einen Film nicht automatisch zu einem Vorreiter des Feminismus oder zum Beweis, dass sich das Problem des Mangels erledigt hätte.

Auch heißt die Feststellung, dass es mehr signifikante weibliche Figuren geben sollte, nicht automatisch, dass jeder Film das leisten muss. Was ist mit Filmen, deren Plots überhaupt nicht dazu gedacht sind, Frauenfiguren ins Zentrum zu stellen? Filme über Kriege des 20. Jahrhunderts etwa oder die oben genannten Literaturverfilmungen? Und um das Ganze mal auf die Spitze zu treiben: Was ist mit Serien wie Queer as Folk oder das jetzt angelaufene Looking? Genau. Das sind Serien, in denen eine Gruppe schwuler Freunde im Zentrum der Handlung steht. Natürlich kann man hier schnell gegenargumentieren, dass es sich dabei um einen anderen unterrepräsentierten Teil der Gesellschaft handelt und diese wunderbaren Serien selbstredend zu befürworten sind. Doch der Bechdel-Test sagt darüber nunmal nichts aus. Ergo: durchgefallen.

Es stellt sich somit die Frage, wie sinnvoll eine systematische Anwendung des Tests auf einzelne Filme wirklich ist. Denn der BT verweist weder wirklich darauf, ob es in einem Film vollwertige weibliche Charaktere gibt, noch sagt er generell etwas über die Qualität eines Films aus. Auch wenn verschiedentlich versucht wird, den Test um Kriterien zu erweitern, die ihn dann anwendungsfreundlicher machen sollen. So kann man hin und wieder lesen, dass die Figuren außerdem Namen haben müssen oder dass sie mindestens 60 Sekunden miteinander reden müssen etc. Doch was dabei immer vergessen wird, ist: der Test ist kein Test. Wie die Debatte um ihn beweist, kann er ein Mittel sein, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Nicht mehr und nicht weniger wollte auch der ursprüngliche Comicstrip, dem er entstammt. Und gerade weil der sogenannte Bechdel-Test ein lautes und ein nicht differenzierendes Mittel ist, generiert er Diskurs und Aufregung. Doch im schlimmsten Fall ist er in seiner kruden Simplifizierung ein Totschlagargument, dass jede zielführende Debatte zunichte machen kann. Weil es ein zu Leichtes ist, einen Film mit seiner Hilfe einfach abzukanzeln. Er lädt zudem zu einer wahren Kakofonie sinnloser Diskussionen ein, die am eigentlichen Problem vorbeiführen. Nämlich der Frage, WIESO es nach wie vor hauptsächlich nur Rollen für Meryl Streeps über 60 gibt.

Über Katja Dallmann

Katja Dallmann hat ein Übersetzer-Diplom und einen Bachelor in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft abgeschlossen. Sie ist freie Übersetzerin und Autorin, hat als Onlineredakteurin gearbeitet und verschiedentlich in Print und Online publiziert. Katja ist leidenschaftlicher Serienfan und bloggt sonst unter Serielle Schnittstelle.

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