Am 6. April 1994 tagte der erste Prüfausschuss der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF)
Der erste Tag
Heute vor 20 Jahren, am 6. April 1994, kam in der damaligen Geschäftsstelle der FSF am Berliner Tiergarten der erste Prüfausschuss zusammen. Es gab vorläufige Prüfgrundsätze, provisorische Büromöbel und ein Mobiltelefon in Backsteingröße. Es gab Kartons mit Videokassetten und ganzen Serienstaffeln, die auf die Begutachtung warteten: Miami Vice, Swamp Thing – das Ding aus dem Sumpf, Das Gesetz der Straße oder Walker Texas Ranger – Sendungen, die die FSF in immer neuen Fassungen über Jahre beschäftigen werden. Und es gab 60 Prüferinnen und Prüfer, die größtenteils auch als Gutachter für die Freiwilligen Selbstkontrolle Filmwirtschaft (FSK) tätig waren, und ihre Erfahrungen mit den Altersfreigaben für Kinofilme nun auf diverse Inhalte der privaten Fernsehanbieter und das System der Sendezeitbeschränkungen übertragen sollten. An diesem ersten Prüftag waren es, ganz paritätisch, zwei Herren und eine Dame, die bei der FSK für die Filmwirtschaft, für die öffentliche Hand und als Jugendschutzsachverständige zum Einsatz kamen. Das Programm bestand aus drei Folgen Starsky & Hutch sowie aus einer Episode einer nicht weiter bekannt gewordenen Reality-Serie mit dem Titel Auf Leben und Tod, bei der sogleich die erste Schnittaufage verhängt wurde: Entfallen sollen Bilder eines durch die Luft wirbelnden Babys, das der Vater durch einen Wurf an die Wand zu töten versucht – eine spekulative Ausbeutung des Geschehens, urteilt der Ausschuss.
Die ersten Entscheidungen
Die anfangs zum Teil umständlichen Begründungen wirken aus heutiger Sicht wie erste Gehversuche, leicht unbeholfen aber irgendwie auch rührend. Der Rundfunkstaatsvertrag wird recht frei ausgelegt, es wird experimentiert. Sendungen werden „ab 11.30 Uhr“ oder „ab 17.00 Uhr“ freigegeben, weil zu diesen Zeiten die Kinder bereits in der Schule bzw. die Eltern wieder zuhause sind. Es werden gewagte Vorstöße gemacht und tautologische Begründungen formuliert: So soll das „genüssliche Durchlöchern eines Autos“ entfernt werden, weil es für das Verständnis nicht von Belang sei. Ein Schusswechsel, in den ein Kind involviert ist, wird abgelehnt, weil „ein Kind unter Feuer“ nicht ins Tagesprogramm gehöre. Auch mit dem eigenen Geschmacksurteil wird nicht hinter dem Berg gehalten. „Mit kaum zu überbietender Dämlichkeit folgt eine Sex-Szene auf die nächste“, heißt es im Gutachten zu Das Lustschloss im Spessart. Der Erotikfilm darf dennoch im Nachtprogramm gezeigt werden, weil sich „in der Ansammlung von Schießbudenfiguren, die das Schloss heimsuchen, beim besten Willen keine Identifikationsmöglichkeiten“ finden. Beinahe zeitgemäß liest sich dagegen die Kritik an dem besagten Reality-Format, das man heute wohl als „scripted“ einordnen würde: „Die Vermischung von Realität und Fiktion hat in der Serie offensichtlich ausschließlich den Zweck, Gewalthandlungen verschiedenster Art unterhaltsam … präsentieren zu können“, wird im Prüfgutachten vermerkt. Angesichts ähnlicher Sendungen wie Aktenzeichen XY ungelöst, die vorgebliche Authentizität mit spannender Inszenierung verbinden, sieht der Ausschuss aber auch keine Handhabe, die beantragte Ausstrahlung im Spätabendprogramm zu verweigern.
Die ersten Verbote
Darstellungen von Gewalt und Sex an der Grenze zur Sendeunzulässigkeit bestimmen die ersten Jahre. Bis 1997 besteht ein Fünftel der Prüfungen aus indizierten Filmen, die damals unter bestimmten Bedingungen noch im Fernsehen gezeigt werden durften. Das erste Ausstrahlungsverbot am 13. April 1994 trifft den Film Der Panther II mit Alain Delon und Michel Serrault. Wenig später wird auch John Carpenters Assault – Anschlag bei Nacht die TV-Ausstrahlung verweigert – dies ist allerdings auch die erste Entscheidung, die durch einen FSF-Berufungsausschuss wieder aufgehoben wird. Mit dem generellen Ausstrahlungsverbot indizierter Filme in 2003 darf auch Carpenters Film nicht mehr im Fernsehen gezeigt werden – bis auf Weiteres. Die Listenstreichung erfolgt in 2005, Der Panther II wird erst 2014 vom Index genommen werden. Heute sind beide Filme mit einer FSK-Freigabe ab 16 versehen und dürfen entsprechend im Fernsehen ab 22.00 Uhr programmiert werden.
Die starke Präsenz brachialer Action und Selbstjustiz in den FSF-Prüfungen wird bald von Sexfilmen abgelöst, bei denen zu entscheiden ist, ob es sich um zulässige Erotik oder verbotene Pornografie handelt. Geht es dabei um Geschlechtsorgane in Erregung? Geht es um den zeitlichen Anteil der sexuellen Aktivität im Verhältnis zur Rahmenhandlung? Oder ist das alles ganz egal, wie die schwedischen Kolegen meinen, und letztlich nur von Bedeutung, dass die Beteiligten „nett zueinander“ sind? Nach dem ersten im Juni 1994 ausgesprochenen Sendeverbot für den Film Traumhaus der Sünde 2 werden in den nächsten Jahren 170 weitere Sexfilme als pornografisch und sendunzulässig erklärt. Von 1997 bis 1999 dreht sich ein Viertel aller Ausschussdiskussionen um absurde Rahmenhandlungen und sexuelle Explizitheit.
Die ersten Presseberichte
Das Presse-Echo auf die „neue Berliner Fernseh-Polizei“ (Bild-Zeitung) ist groß, aber die FSF hat mit ihrer Glaubwürdigkeit zu kämpfen. Die Überzeugung, man mache den „Bock zum Gärtner“, weil die Privaten sich selbst kontrollierten, hält sich hartnäckig. Vielen ist nicht klar, dass unabhängige Prüfer und nicht Sendervertreter in den Ausschüssen sitzen – eine Vorstellung, die die Süddeutsche Zeitung 1994 ausmalt: „Wenn ein SAT.1-Mensch im Ausschuss sagen könnte: Liebes RTL, wirklich schade, dass ihr so viel Geld für diesen Film ausgegeben habt, aber senden könnt ihr den nicht, so viel Blut, nein, tut uns wirklich leid … hei, das gäbe was.“
Der inhaltliche Fokus der FSF auf Gewalt und Sex wird von Teilen der Presse belustigt-lüstern aufgenommen. „Sie sehen Morde, wilde Sex-Spiele, Prügeleien – oft stundenlang“, schreibt die Bild-Zeitung. In vielen Beiträgen schwingt aber auch Mitleid mit den Prüferinnen und Prüfern mit. „Drei Personen unterschiedlichen Geschlechts und Alters [sitzen] vor dem Schirm. Warten auf Gewaltszenen“, fasst der erste Journalist vom Tagesspiegel, der im Juli 1994 an einer Prüfsitzung teilnimmt, seine Eindrücke zusammen. Das „traurige Dasein“ der Prüfer bei „Kaffee, Keks und schlechten Filmen“, bemerkt 1997 auch die ZEIT, legt dann aber den Finger auf eine andere Wunde: Die Entscheidungen der FSF gehen nur „als Empfehlungen an die Landesmedienanstalten, die sich … nicht immer danach richten“.
Die erste Krise
Die fehlende Rechtssicherheit wird dann auch zum zentralen Problem. Teure Eigenproduktionen wie Die heilige Hure (1998)werden gar nicht erst vorgelegt, und auch mit Ausnahmeanträgen geht man lieber zur FSK, weil deren Entscheidungen nicht überstimmt werden können. Die Bereitschaft der Privatsender, irgend etwas der FSF zur Prüfung vorzulegen, sinkt, weil die Ergebnisse keinen Bestand haben. Im Jahr 2000 ist der Tiefpunkt erreicht: pro Monat werden im Durchschnitt nur 29 Sendungen geprüft, die FSF ist in der Existenzkrise. Erst im August 2003 wird sie, das erste Mal, als Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle anerkannt werden.
Viel hat sich seitdem getan – heute werden durchschnittlich 160 Programme im Monat geprüft. Informationen über die Inhalte und Grundlagen der Prüfungen gibt es auf unserer Website.