Geteilte Verantwortung

Wie sieht der Alltag eines Jugendschützers bei ProSiebenSat.1 Digital aus? Worin liegt der Unterschied zum Jugendschutz im klassischen Fernsehen?
Susanne Ahrens, Janosch Rolf und Alexandra Gutzke über technische Alterskennzeichen, Schutzmaßnahmen in digitalen Medien und Momente, in denen Jugendschutzeinschätzungen den Kopf nicht verlassen.

Ihr arbeitet als Jugendschützer bei dem Multimedia-Unternehmen der ProSiebenSat.1 Group – erzählt doch mal, worin der Unterschied zum Jugendschutz im klassischen Fernsehen besteht.

Wie der Zusatz „Digital“ im Namen unseres Arbeitgebers schon erahnen lässt, sind wir für die telemedialen Bereiche des Konzerns zuständig. ProSiebenSat.1 Digital ist als Multimedia-Unternehmen der ProSiebenSat.1 Group mit enger Anbindung an das TV-Kerngeschäft für eine Vielzahl neuer und innovativer Medienangebote zuständig. Dazu gehören u.a. die Geschäftsbereiche Online Video, Mobile- und TV-Apps, sowie Teletext, HbbTV und Multi-Channel-Network.

Ein wesentlicher Unterschied besteht in den rechtlichen Regularien. Im Fernsehen werden die Zugangsbeschränkung zu jugendschutzrelevanten Inhalten mittels Sendezeitbegrenzungen geregelt. In digitalen Medien greifen andere Schutzmaßnahmen: für Websites der Sendergruppe müssen age-de.xml-Label erstellt, hinterlegt und regelmäßig angepasst werden; sendereigene Apps werden von uns beurteilt und mit einer entsprechenden Altersfreigabe in die Stores gestellt; neuer Content, der auf den digitalen Kanälen ausgespielt wird, wird von uns geprüft und freigegeben – um nur einige Beispiele zu nennen. Daraus ergeben sich andere Tätigkeiten und andere Beratungsbedarfe als beim TV-Jugendschutz.

Kurz nachgefragt: Was sind „age-de.xml-Labels“?

Age-de.xml ist ein technisches Kennzeichen, das eine Altersklasseninformation (ab 6, 12, 16, 18 Jahren) enthält. Auf allen Websites von ProSiebenSat.1 sind derartige Dateien im XML-Format hinterlegt. Sofern Eltern auf dem heimischen PC ein kostenloses Jugendschutzprogramm installiert haben, kann dieses die Alterskennzeichen „auslesen“. Je nach Alterseinstellung des Programms werden Webseiten nun angezeigt oder gesperrt. Die Verantwortung ist also geteilt: der Anbieter liefert die technische Kennzeichnung; Eltern entscheiden über die Nutzung von Jugendschutzprogrammen.

Janosch Rolf (Redakteur) und Susanne Ahrens (Jugendmedienschutzbeauftragte) im Berliner Jugendschutz-Büro der ProSiebenSat.1 Digital GmbH © FSF
Janosch Rolf (Redakteur) und Susanne Ahrens (Jugendmedienschutzbeauftragte) im Berliner Jugendschutz-Büro der ProSiebenSat.1 Digital GmbH © FSF

Wie sieht euer Arbeitstag für gewöhnlich aus?

Ein Großteil unserer Arbeit besteht aus der Sichtung und jugendschutzrechtlichen Beurteilung von neuem Content auf der Videoplattform Maxdome. Content, der noch nicht geprüft ist, aber möglichst schnell bei Maxdome eingestellt werden soll, wird von uns sofort gesichtet und bewertet, damit Serienjunkies auf ihre Kosten kommen (z.B. Formate aus der Kategorie „Hot from the US„, die direkt nach ihrer Erstveröffentlichung aus den USA an uns geliefert werden).

Bei Maxdome haben wir eine ganze Menge an Jugendschutzinstrumenten im Einsatz. Wir haben z.T. Maßnahmen miteinander kombiniert, um für die unterschiedlichen Anwendungsfälle ein vernünftiges und ausreichendes Schutzniveau zu erreichen. Diese Kumulativ-Lösungen haben wir gemeinsam mit der FSM erarbeitet: Registrierung nur für Volljährige, Überprüfung der Bezahldaten, Jugendschutz-PIN, Perso-Check, Abrufhistorie per Mail an Accountinhaber (Bestätigungsmail nach jedem ab 16er und ab 18er Video – als Option einzurichten), Age-de.xml als technische Voraussetzung auf Anbieterseite für den Einsatz eines Jugendschutzprogramms auf Nutzerseite etc. Das Überprüfen der Funktionstüchtigkeit dieser Maßnahmen und das Anpassen der Instrumente bei neuen Use-Cases ist ebenso unsere Aufgabe.

Unsere Kollegin Alexandra in München kümmert sich darüber hinaus um das rechtskonforme Angebot auf den Senderwebsites. Sie ist mit den Redaktionen ständig in Kommunikation über neue Formate, erstellt die passenden age-de.xml-Label und kümmert sich um die korrekte Verwaltung aller Altersfreigaben (unsere eigenen, die der FSF und der FSK). Die Dokumentation aller Altersfreigaben in der Datenbank ist eine komplexe und sensible Angelegenheit, denn darauf greifen alle Abspielkanäle zu und die dort hinterlegten Altersfreigaben haben für die unterschiedlichen Endgeräte unterschiedliche Konsequenzen, was den Einsatz der Schutzinstrumente anbelangt.

Viele der anderen Aufgaben richten sich nach den aktuellen internen Anfragen. Um ein paar Beispiele zu nennen:

  • Wir haben eine neue App entwickelt, wie erhalten wir die zutreffende Altersfreigabe und woher bekommen wir das Kennzeichen?
  • Wie agieren wir bei HbbTV und Smart-TV-Apps, also einem Medium in dem Telemedien und Rundfunk verschmelzen? Rücksicht auf gelerntes System beim Nutzer – also Sendezeitregelung, wo sie rechtlich nicht zwingend geboten wäre?
  • Newtopia oder Promi-Big-Brother (wer nimmt die Clips ab, die auf der Senderwebsite rund um die Uhr laufen, was darf in denen enthalten sein und was nicht? Dürfen die Bewohner Hakenkreuz-Tattoos haben? Bei welcher Art von Rede muss die Kamera abschwenken? Wie labeln wir? Was wollen wir trotz Label nicht auf der Senderwebsite?)
  • Event mit Youtubern/Studio71 und ihren Fans: Bis wann dürfen unter 16-Jährige auf der sich anschließenden Grillparty bleiben? Dürfen sie Alkohol trinken? Ab wann brauchen sie einen „Muttizettel“ für die Teilnahme an Veranstaltungen? Und wie muss der aussehen? Hierzu entwickeln wir derzeit eine Guideline, speziell für die Zusammenarbeit des Multi-Channel-Network Studio71 mit Youtubern unter jugendschutzrechtlichen Aspekten

‚Guten Morgen Internet‘ wird von den Youtubern Sturmwaffel und Kelly moderiert. Beide gehören zu Studio71, dem Multi-Channel-Network der ProSiebenSat.1 SE

Und schließlich sind wir auch dafür zuständig, die recht komplexen Jugendschutzbestimmungen unseren Kolleginnen und Kollegen nahe zu bringen. Unsere Präsenzschulungen, mit immer neuen Fragestellungen, konzipieren wir kurzfristig und häufig in Abstimmung mit unseren Juristen oder der FSM.

Wie wird man eigentlich Jugendschützerin bzw. Jugendschützer? 

JR: Ich habe mich während des Studiums im Zuge der wenig wissenschaftlich geführten „Amoklauf-Killerspiel-Debatte“ aber auch aus privatem Interesse intensiv mit Medienwirkungstheorien auseinandergesetzt. Infolgedessen siedelte ich meine Diplomarbeit thematisch in diesem Bereich an, denn hier gibt es meiner Meinung nach auch noch einige Leerstellen mit hohem Forschungs- und Erkenntnisbedarf. Nach meinem Umzug nach Berlin habe ich zunächst in der FSF ein Praktikum absolviert und war dort anschließend als Gutachter in den Prüfausschüssen tätig. Nach einer gut zweijährigen Tätigkeit in einem Projekt des Familienministeriums (ebenfalls im Bereich Jugendmedienschutz) arbeite ich nun als Redakteur bei der ProsiebenSat.1 Digital GmbH.

SuA: Durch die Wechselfälle des Lebens. Ich habe vorher u.a. als Pressesprecherin, als Biografienschreiberin, in politischer Jugendarbeit und als wissenschaftliche Mitarbeiterin in verschiedenen Bundesprogrammen gegen Intoleranz und Rassismus mit Jugendlichen gearbeitet, war also abwechselnd in journalistischen und Jugendarbeitszusammenhängen tätig, und bin nun im Jugendmedienschutz. Ich mag den Job sehr.

AG: Bevor ich vor gut drei Jahren zum Jugendmedienschutz bei ProSiebenSat.1 Digital kam, habe ich für verschiedene Kinderportale als Multimediaredakteurin gearbeitet. Bei der Erstellung von Filmen, Texten und Games für Kinder, habe ich mich sehr konkret mit der Medienwirkung auf diese sehr junge Zielgruppe auseinandergesetzt. Da war der Weg zum Jugendmedienschutz nicht weit. Heute helfen mir sowohl die Erfahrungen aus der Zeit als Onlineredakteurin im Hinblick auf technische Zusammenhänge, als auch das dramaturgische Verständnis, das ich als TV-Redakteurin sammeln durfte, bei der Klassifizierung von Inhalten und der Erstellung von Zugangsbeschränkungen.

Wie groß ist die Jugendschutzabteilung bei ProSiebenSat.1 Digital?

Im digitalen Bereich sind wir zu dritt: eine Jugendschutzbeauftragte und zwei Redakteure.

Programme werden hinsichtlich verschiedener Risikodimensionen bewertet. Gibt es eine Risikodimension, die in eurer Arbeit im Digitalbereich eine größere Rolle spielt ­- wenn ja, welche?

Die Risikodimension der „übermäßigen Angsterzeugung“ spielt in unserem Bereich sicher eine geringere Rolle, weil hier eher Kinder unter 12 Jahren zu berücksichtigen sind. Tendenziell haben wir häufiger über die Risikodimension der „Gewaltbefürwortung bzw. -verherrlichung“ zu entscheiden, aber auch über „sozialethische Desorientierung“ (fragwürdige Botschaften …) – also Gefährdungspotenziale, die für ab 12-Jährige besonders relevant sind.

Einige Programme werden senderseitig geschnitten. Macht das Spaß oder tut es weh, wenn man Filme, Serien, Clips „zerschneiden“ muss?

Den Content von Maxdome betreffend, können wir uns glücklich schätzen: Alle Filmen und Serien werden dort ungeschnitten eingestellt. Inhalte bis zur Freigabe ab 12 Jahren (bzw. sogar bis 14 Jahren) dürfen in Telemedien ohne weitere Zugangsbeschränkung angeboten werden. Für Inhalte mit einer höheren Freigabe – also ab 16 oder ab 18 Jahren – werden dann die rechtlich geforderten technischen oder sonstigen Mittel zur Zugangsbeschränkung eingesetzt. Es gibt in diesem Umfeld nicht den Fall wie im Fernsehen, dass eine Serie oder ein Film aus sendeplanerischen Überlegungen im Tagesprogramm angeboten werden soll, und dafür deshalb zwingend eine Freigabe ab 12 Jahren benötigt wird. Der ganze Prozess des Schneidens wäre für Maxdome tatsächlich auch zu zeitaufwendig. Der Wettbewerb schläft nicht, und es punktet derjenige beim Kunden, der die neuen Serienfolgen möglichst früh anbietet.

SuA: Als YouTube noch nicht mit 18 gelabelt war und wir in unseren Channels nur Inhalte bis zur Altersstufe 12 eingestellt haben, bat mich ein Kollege, einen Clip für ein USK-18-Spiel so zurechtzuschneiden, dass er eine Altersfreigabe ab 12 Jahren erhält und somit rechtskonform angeboten werden kann. Ich habe diesen Clip mit Mitarbeitern der USK gemeinsam dann entsprechend bearbeitet. Das Ergebnis war für Fans sicher unbefriedigend, denn zu sehen war Detective Sebastian Castellanos, der durch eine sehr düstere Grafik tapste, bei jedem Feindkontakt schwenkte der Detective abrupt in eine andere Richtung ab – neuen Feindkontakten entgegen und so fort. Der Clip wirkte dann eher wie ein Deeskalationsfilm mit der Botschaft: „Im Zweifel immer lieber fliehen“.

Könnt ihr privat noch Formate schauen, ohne die Jugendschutzeinschätzungen im Kopf zu haben?

JR: Jein. Der Versuch, sich ausschließlich aus privatem Interesse einer Serie oder einem Film hinzugeben, geht mittlerweile meist schief – das ist das einzige, was ich meinem Job übel nehme! Wie packend ich eine Serie oder einen Film finde, merke ich daran, wie sehr ich die Jugendschutz-Brille ablegen kann oder eben auch nicht: Bin ich voll drin und gefesselt, fällt es mir leichter, ausschließlich der Handlung zu folgen. Vor Gedanken wie: „Wow, das war Selbstjustiz mit ästhetisch inszenierter Gewalt, Minimum 16“ kann ich mich dennoch nur selten schützen. Böse Blicke von Freunden hindern mich aber daran, es laut auszusprechen.

SuA: Ich hab die Einschätzungen wohl im Kopf, lasse sie aber den Kopf nicht verlassen, wenn ich mit meinem Freund gemeinsam etwas ansehe. Auf fachliche Ausführungen zu Risikodimensionen reagiert er unwillig. Mein Freund ist über 18, ich muss ihn daher auch nicht mit Warnhinweisen schützen.

AG: Mir fällt es relativ leicht, zwischen Job und privatem Fernsehspaß zu unterscheiden. Vermutlich liegt das aber auch daran, dass sich die Inhalte, die ich vom Bürostuhl aus bewerte und die, die ich auf dem Wohnzimmersofa genieße, stark unterscheiden. So würde ich zum Beispiel nie auf die Idee kommen, mir zu Hause einen Horrorfilm anzusehen: viel zu gruselig. Im Büro macht es mir hingegen fast schon Spaß, wenn es besonders düster zur Sache geht und ich die Freigabe anhand möglichst vieler Bewertungskriterien treffen kann.

Vielen Dank für eure Zeit und die interessanten Antworten auf unsere Fragen!

Über FSF

Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) ist ein gemeinnütziger Verein privater Fernsehanbieter in Deutschland. Ziel der FSF ist es, einerseits durch eine Programmbegutachtung den Jugendschutzbelangen im Fernsehen gerecht zu werden und andererseits durch Publikationen, Veranstaltungen und medienpädagogische Aktivitäten den bewussteren Umgang mit dem Medium Fernsehen zu fördern. Seit April 1994 lassen die Vereinsmitglieder ihre Programme bei der FSF prüfen, seit August 2003 arbeitet die FSF als anerkannte Selbstkontrolle im Rahmen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV).