Totgesagte leben länger. Das ist so platt und sagt doch alles. Zumindest wenn es um Zombies geht. Diese sind der Treibstoff der Dramaserie The Walking Dead, die seit dem 09. Februar 2015 wieder in deutscher Erstaustrahlung auf FOX läuft. Immer montags, um 21.00 Uhr strahlt der Pay-TV-Sender den zweiten Teil der fünften Staffel aus und wird sicher auch mit diesem wieder neue Rekordeinschaltquoten erzielen. Die erste Episode der fünften Staffel, die in Deutschland vorerst nur geschnitten ausgestrahlt werden durfte, schalteten in den USA 17,3 Millionen Zuschauer auf dem Sender AMC ein. Die Untoten sind damit im Mainstream angekommen.
Claudia Mikat, Leiterin der FSF-Programmprüfung und hauptamtliche Vorsitzende in den Prüfausschüssen, über 27 Stunden unter Zombies.
Neulich bin ich abgetaucht. Drei Staffeln The Walking Dead an zwei Tagen. Mein Kind ist inzwischen groß genug, um das zu verkraften. Nicht die Serie selbst natürlich, mit ihrem expliziten Splatter, sondern die Tatsache, dass ich diese Art von Selbstversuch unternehme, vorübergehend verschwinde und eine andere Welt betrete. Es ist die bedrohliche, von fleischfressenden Zombies beherrschte Welt des Polizisten Rick Grimes, die er vorfindet, als er aus dem Koma erwacht. Bald schart sich eine Gruppe Überlebender um ihn, er findet wieder zu Freund, Frau und Sohn, avanciert zum Anführer, muss schwierige Entscheidungen treffen. Das Überleben der Gruppe sichern. Nahrung, Benzin, Medikamente besorgen. Schutzräume finden. Und immer wieder die Gehirne der gruseligen Untoten zerstören, damit die endlich Frieden finden.
„Die Welt verändert sich!“
Was passiert, wenn man den Kontext dieses apokalyptischen Szenarios bis in die Details kennt? Wenn man die Beziehungen der Figuren durchschaut, die Charaktere einem geläufig sind, man Gefühle für sie hegt? Inwiefern verändert dies den Blick auf die Gewaltdarstellungen, auf denen in den Prüfungen der Fokus liegt? Und wie erscheinen dann die Entscheidungen der FSF, die Einzelszenen als gewaltverherrlichend oder menschenwürdeverletzend einstufte und Schnitte für die Freigabe ab 18 Jahren erteilte?
„Man muss sie töten“
Die Serie spart nicht an drastischen Bildern und zeigt große Brutalität. Sie konstruiert einen Ausnahmezustand, in dem die Überwindung der Tötungshemmung für das eigene Leben essenziell ist. Das gilt für die Gruppe um Rick Grimes allerdings nur bedingt. Sie tötet die sogenannten Beißer erst zögerlich, dann immer offensiver, als kein Zweifel mehr besteht, dass es sich um nicht menschliche und äußerst gefährliche Kreaturen handelt. Lustvolles Töten, wie dies Prüfausschüsse anhand einiger brachialer Schlacht(en)szenen abzulesen meinten, findet innerhalb dieser Gruppe nicht statt. Es sind verzweifelte und verbissene Kämpfe, Notwehrhandlungen gegen Angriffe von Zombiehorden und menschlichen Feinden. Die Gegensätze zwischen den Gruppen sind plakativ: Die Bösen halten sich Untote für monströse Schaukämpfe, sie töten mit Freude und Zynismus, vernichten andere Überlebende für den eigenen Machterhalt, essen Menschenfleisch. Sie zeigen, was eine Katastrophe aus dem Menschen machen kann. Die Leute um Rick unterscheidet von diesen Gruppen, dass sie sich in der Katastrophe ihr Menschsein bewahren wollen.
„Das ist nicht unser Stil, Mann“
Je mehr man in die Serie eintaucht, umso mehr rücken die Zombies an den Rand der Wahrnehmung. Die Existenz der Beißer bleibt selbstverständliches Spannungsmoment, das jeden neuen Handlungsort und jede noch so banale Handlung der Protagonisten bedrohlich grundiert. Wesentlicher sind aber die Interaktionen in der Gruppe und die moralischen Dilemmata, vor denen sie steht. Soll man Fremden Schutz gewähren? Wie geht man mit den eigenen Leuten um, die sich infiziert haben? Opfert man einen für die Gruppe? Darf man einen Menschen töten, der die Gemeinschaft gefährdet? Kurz: Wo liegt die Grenze, die den Menschen von der Kreatur unterscheidet? Wie sich diese Grenze immer weiter verschiebt, ist der eigentliche Schrecken. Rick wird härter, entschlossener, zieht Handlungen in Betracht, die bis vor kurzem noch undenkbar waren, wankt. Gefallen ist er bisher nicht. Die Menschen verändern sich, nicht nur zum Schlechten. Angesichts der sich zuspitzenden Verhältnisse greifen emotionale Abstumpfung und Verrohung um sich. Gleichzeitig gewinnen familiäre und soziale Werte an Bedeutung. Einzelne Figuren wie Daryl haben vor der Zombie-Apokalypse Schlimmeres erlebt und finden erstmals emotionalen Halt. Andere wie Carol gewinnen Selbstbewusstsein und übernehmen Verantwortung. Wer wie sie aber die Gruppe über alles stellt und jegliche Skrupel über Bord wirft, wird verbannt.
Vor diesem Hintergrund fällt es zunehmend schwer, gewaltverherrlichende Tendenzen oder menschenwürdeverletzende Darstellungen zu erkennen, die ein Sendeverbot – oder Schnitte bei 18er-Freigaben – rechtfertigten. Zugegeben: Man kann das alles auch anders lesen, der Zombie eignet sich für viele Metaphern und ein Endzeitszenario fordert zu bedingungsloser Gegenwehr geradezu heraus. Man kann der Serie ihre Waffenverliebtheit vorwerfen, die entsprechende Ressentiments bedient. Es mag auch Zuschauergruppen geben, die sich allein an den Metzelszenen und spritzender Hirnmasse delektieren und den Gruppeninteraktionen wenig Beachtung schenken.
Trotzdem: Deutsches Medienrecht fordert für ein Verbot eine bestimmte Sinngebung, eine klare Verherrlichungstendenz, einen Appell an den Sadismus. Sofern eine Kritik angelegt ist und Opfer und Täter sich in Bezug auf Gewalt deutlich unterscheiden, muss eine Gewaltverherrlichung ausgeschlossen werden.
„Die Welt ändert sich wieder, oder?“
Nach knapp 27 Stunden tauche ich wieder auf. Auf dem Alexanderplatz, unter Horden von Menschen im Weihnachtsrausch, komme ich nicht umhin, an George A. Romeros Untote in der Shopping Mall in Dawn oft the Dead (1977) zu denken – damals war die Zombie-Epidemie eine Allegorie auf die Konsumgesellschaft, die Walking Deads heute fallen eher in die Kategorie der „Eco-Zombies“ (1). Die Serie kann sich ändern. Botschaften können sich verschieben, Bilder spekulativer geraten, Rechtfertigungen für Gewalt plumper. Ich steige jetzt aus. Ich will nicht erleben, wie die moralischen Dämme brechen. Die Zombies haben aber Spuren hinterlassen. Vor allem stellt sich die Frage, wie man in den Prüfungen seriellen Produkten besser gerecht werden kann.
(1) Hendrik Efert im Gespräch mit Sarah Juliet Lauro: Überall Untote. Das Zombie-Phänomen im Film, im Fernsehen und in der Gesellschaft. In: tv diskurs. Verantwortung in audiovisuellen Medien, 18. Jg., 4/2014 (Ausgabe 70), S. 92-95.
Die FSF veröffentlicht zu allen Folgen der aktuellen Staffel, jeweils montags parallel zur Ausstrahlung um 21.00 Uhr, die Ergebnisprotokolle des Prüfungsausschusses im Blog.