Film funktioniert über Identifikation – also: wer will ich sein…
Das Fernsehen bietet da eine reichhaltige Auswahl: Will ich ein dicker Polizist sein, ein dünner Polizist, ein schöner Polizist, ein langweiliger, ein toller oder ein schneidiger Polizist? Ein tolles Gespann, ein Schwiegersohn oder Senta Berger? Schulermittler, Kommissarin, Fahnder, Ordnungshüter, Niedrig und Kuhnt, Mord ist ihr Hobby, Mord mit Aussicht, Hafencop, Küstenwache, Notruf Hafenkante, K3, Einsatz Hamburg Süd, München 7, Soko Wismar/Köln/Kitzbühel/Leipzig, Agent DiNozzo, Kommissar Stolberg, Großstadtrevier, Hauptstadtrevier, Alarm für Cobra 11, oder gar der hoffentlich allerletzte Bulle? Hallo geht’s noch? Wollen wir denn alle Polizisten sein? Reicht denn nicht informeller Mitarbeiter bei der Stasi…?
Ja – ich weiß. Aber das ist hier ein Blog. Mein Anzug hängt im Schrank. Ich schreibe mit einem blau rotzenden Bic Kugelschreiber und nicht mit einem Mont-Blanc-Meisterstück und 24 Karat Goldfeder.
Ich arbeite nicht in der Krossen Krabbe. Ich koche nicht, ich lanze nicht und ich beckmannsche schon gar nicht. Ich bin um Himmels Willen keine Gemeindeschwester, keine Krankenschwester, kein Oberarzt, kein Landarzt, keine Landärztin, kein Bergdoktor, Unterarzt, Assistenzarzt, Anästhesist, Gynäkologe („und grüßt eure Frauen, ich schau bald mal wieder rein“). „Roooooobert, bring die Shania zur Schule und hol den Heli und den 97sten Porsche aus dem Waschsalon.“ Ich will nicht shoppen, kaufen, mieten, wohnen und Tom, was habt ihr heute Abend noch so und danke Anne und bis gleich Panda, Gorilla und Co., hundkatzemaus, …
Californication. Hier ist der Held
EIN SEXSÜCHTIGER AUTOR MIT SCHREIBBLOCKADE
Ahhhhhhhhhhh. Tief durchatmen…
Es könnte natürlich auch ein schreibsüchtiger Autor mit Sexblockade sein, aber bitte schön irgend etwas Normales. So normal wie Hank Moody und seine Freunde. Ein Hal Ashby, der noch mit einem T-Shirt von den New Riders Of The Purple Sage rumrennt.
Hank Moody ist alles andere als ein Macho. Geschieden, verliebt, verlassen, verwahrlost, verweichlicht, charmant, sexistisch, dumm, aber irgendwie menschlich. Garantiert familienfreundliche Unterhaltung ab 18.
Warmherzig. Das Beste, was einem eine Serie anbieten kann. Rührung.
Sich mit einem Mann identifizieren, der von einer Katastrophe in die nächste tappt, eine Eselei nach der anderen begeht und natürlich viel schöner, charmanter, gewandter und vor allem erfolgreicher ist.
In einer Welt, in der die Sonne scheint, das Cabrio-Verdeck nie geschlossen ist, es ausreichend Swimming Pools gibt und Flugzeuge, die durch überdimensionale Donuts fliegen.
Schräge Menschen, schöne Menschen, Menschen mit seltsamen Leidenschaften und Begierden.
Hank Moody verzeiht man den Alkoholkonsum, sieht es ihm nach, wenn er Koks vom Rücken einer Prostituierten schnieft. Denn immerhin kämpft er auch um die letzte Packung Tampons für die erste Periode seiner Tochter Becca.
Johann Wolfgang von Goethe beklagte sich anlässlich seiner römischen Elegien, in denen er seine sexuelle Erweckung beschreibt, bitter darüber, dass die deutsche Sprache keine poetische Terminologie für Geschlechtsorgane und sexuelle Praktiken bereit hält. Und weil die Zeitschrift Die Horen, für welche er schrieb, plötzlich als die Huren verunglimpft wurde, schafft es auch Californication nicht ins Hauptabendprogramm.
Die deutsche Sprache bietet gefühlt tausend verschiedene Worte für Ausscheidungen an, so wie die Inuit im Iglu zig Ausdrücke für Schnee haben. Aber in allem anderen, was unter der Gürtellinie liegt, ist das Deutsche immer noch dem Schützengraben-Jargon verhaftet.
Deswegen ist Californication unmöglich zu synchronisieren und bekommt den leicht schmutzigen Sound, den es im Original nicht hat. „Fuck you!“ ist eben nicht „Fick dich!“.
Das wäre mal eine Aufgabe für den deutschsprachigen Poeten. Mal was anderes als „walddunkler Honig“ und „truthahngroße Hühner“. Die Erfindung von Worten, die der alle menschlichen Sinne berührenden Liebe angemessen sind. Eine gewaltfreie und zärtliche Terminologie für die allertollste und allerwichtigste Beschäftigung der Welt, ohne die wir – ob wir nun Californication gut finden oder nicht – ganz schlicht und einfach nicht einmal existieren würden!
Und nächste Woche im Blog: Uli Wohlers über The Walking Dead.
Wer nicht genug kriegen kann, im Braumüller Literaturverlag erschien 2012 sein Buch:
Die Spur der Schweine
Rasmussen und Papuga ermitteln