Stärker als Fiktion?

Seriendauerbrenner schwächeln gegen Quiz und Infotainment. In Krisenzeiten sehen die Zuschauer lieber Unterhaltung als Krimi und Drama.

Fünf Jahre lang hat die ARD unter der Dachmarke Heiter bis tödlich am umkämpften Vorabend alle möglichen regionalen Krimiserien ins Quotenrennen geschickt; genützt hat es nichts. Den größten Erfolg hatte Großstadtrevier, was nicht weiter überrascht: Der Klassiker wird in diesem Jahr dreißig Jahre alt. Deutlich erfolgreicher als die Serien war im Ersten das einfachste und älteste Unterhaltungsgenre im Fernsehen: Einer stellt Fragen, die anderen müssen antworten. Schon im letzten Jahr hatte sich Quizduell überraschend gut behauptet, und in diesem Frühjahr setzte die ARD mit Wer weiß denn sowas? noch eins drauf. Die Sendung bewegte sich mit der zeitgleich ausgestrahlten ZDF-Soko auf Augenhöhe, was laut NDR-Fernsehdirektor Frank Beckmann, der für die ARD den Vorabend koordiniert, „viele Jahre undenkbar gewesen wäre“. Kürzlich hatte die Quizshow über 3 Mio. Zuschauer; so einen Wert hat die ARD am Vorabend schon lange nicht mehr erzielt.

Interessanterweise ist es auf einem anderen Sendeplatz genau andersrum: Seit einigen Monaten macht das ZDF dem ARD-Dauerbrenner Sturm der Liebe (15.10 Uhr) am Nachmittag mit Bares für Rares (15.05 Uhr) harte Konkurrenz. Das von Horst Lichter moderierte Antiquitäten-Format, eine Variation des BR-Klassikers Kunst oder Krempel, existiert bereits seit 2013, lief zunächst aber nur sonntags; seit Ende 2015 wird es täglich ausgestrahlt. Sind die beiden Programmerfolge womöglich ein Zeichen dafür, dass etablierte fiktionale Formate ihren Reiz verlieren? Immerhin hat selbst der Tatort im ersten Halbjahr 2016 Federn gelassen; die Zuschauerzahlen sind leicht rückläufig, der Marktanteil ist im Schnitt um 1,6 Prozent gesunken.

ZDF-Programmplaner Martin Berthoud hat allerdings Zweifel an der These, schließlich habe es gerade bei langlaufenden Formaten „schon immer Schwankungen in der Zuwendung gegeben, die zu Auf- und Abwärtsbewegungen geführt haben, das ist nichts Ungewöhnliches.“ Dennoch räumt er Entwicklungen ein, die über temporäre Schwankungen hinausgingen: „Wir stellen derzeit in besonderem Maße fest, dass konflikthafte, zuweilen auch unangenehme Filme weniger nachgefragt werden.“ Die Offenheit für Krimis zum Beispiel sei „nicht mehr so hoch, wie sie schon einmal war.“ Berthoud führt dies auf gesellschaftliche Krisen zurück: „Flüchtlingsproblematik und Terrorgefahr beeinflussen die Wahrnehmung und wohl auch das Lebensgefühl vieler Menschen, weshalb die Suche nach eskapistischen oder humorvollen Programmangeboten gestiegen ist. Schwierige gesellschaftliche Situationen drücken sich bis zu einem bestimmten Grad auch in der Abwendung von bestimmten Fernsehangeboten aus.“
Dennoch glaubt Beckmann nicht, dass Fiktion als Genre grundsätzliche Schwächen zeige. Er sieht einen anderen Grund für das gute Abschneiden von Wer weiß denn so was?: „Ein Dauererfolg führt häufig dazu, dass die Menschen irgendwann nach Abwechslung suchen, und am Vorabend haben wir mit der Quizschiene offensichtlich ein gutes Alternativangebot zu den ZDF-Krimis geschaffen.“ Ein Dauerbrenner war einst auch die tägliche ARD-Vorabendserie Verbotene Liebe, die vor einem Jahr nach über 4.600 Folgen eingestellt worden ist, weil das Interesse des Publikums immer stärker nachgelassen hat. Das gleiche Schicksal könnte irgendwann den Soko-Serien im ZDF blühen: Mit seiner Krimi-Monokultur im Tagesverlauf macht sich das Zweite angreifbar. Der Konkurrenz von RTL und Sat.1 ist sicher nicht verborgen geblieben, wie gut sich das ARD-Quiz am Vorabend schlägt.

Über Tilmann P. Gangloff

Tilmann P. Gangloff ist Journalist und Autor. Er lebt und arbeitet in Allensbach am Bodensee. Als freiberuflicher Medienfachjournalist sowie Fernseh- und Filmkritiker arbeitet er für Fachzeitschriften wie epd medien, Blickpunkt:Film, tv diskurs, das Internetportal tittelbach.tv und diverse Tageszeitungen. Schwerpunktgebiete seiner Arbeit sind Fernsehfilme, Programmentwicklung, Formatfernsehen, Jugendmedienschutz und Kinderprogramme.