Deutsche Filme, deutsches Fernsehen – Das Filmfest München 2016

Über einen Mangel an Sektionen kann man sich beim Filmfest München wahrlich nicht beklagen. Dort gibt es zunächst die beiden Wettbewerbsreihen Cinemasters und Cinevision sowie die Spotlight-Sparte, deren jeweilige Abgrenzungen sich mir nicht immer erschließen und in denen insbesondere Filme anderer Festivals wie Cannes, Locarno und Venedig zu sehen sind. Hinzu kommen zudem nicht nur eine, sondern in diesem Jahr vier Hommagen – zweimal verbunden mit einer Retrospektive –, die International Independents, das Kinderfilmfest und Sonderreihen. Allein das wäre schon eine bunte Mischung, aber das eigentliche Besondere des Filmfestes ist der Block der deutschsprachigen Produktionen: Neues Deutsches Kino, Neues Deutsches Fernsehen und Neue Deutsche Serien. Bereits im vorigen Jahr liefen mit Outside the Box, Der Nachtmahr, Heil und Schau mich nicht so an, die deutschsprachigen Filme beim Filmfest München, die man gesehen haben sollte. Alleine schon, um bei dem stetigen Jammern über den deutschen Film gelegentlich ein „Ja, aber …“ einwerfen zu können. Auch in diesem Jahr gab es dort mit Das Versprechen ein sehr sehenswertes True-Crime-Drama, mit Die Hände meiner Mutter einen unfassbar aufwühlenden Film über den sexuellen Missbrauch eines Sohnes durch seine Mutter und mit Gleißendes Glück eine verstörende Liebesgeschichte.

SCREENPLAY: Sven Taddicken, Stefanie Veith, Hendrik Hölzemann ORIGINAL MATERIAL: A.L. Kennedy DIRECTOR OF PHOTOGRAPHY: Daniela Knapp FILM EDITOR: Andreas Wodraschke COMPOSER: Riad Abdel-Nabi, Wouter Verhulst PRODUCTION DESIGNER: Juliane Friedrich COSTUME DESIGN: Ute Paffendorf SOUND: Matthias Haeb PRODUCER: Alexander Bickenbach, Manuel Bickenbach CO-PRODUCER: Marc Gabizon, David Kehrl, Frank Evers, Helge Neubronner PRODUCTION COMPANY: FRISBEEFILMS GmbH & Co KG CO-PRODUCTION COMPANY: cine plus Filmproduktion, Senator Film Produktion, Sky Deutschland DISTRIBUTOR: Wild Bunch Germany GmbH DIRECTOR: Sven Taddicken EDITOR: Christian Bauer, Claudia Simionescu, Barbara Häbe TV CHANNEL: Saarländischer Rundfunk (SR), Bayerischer Rundfunk (BR), Arte © courtesy of Filmfest München, Gleissendes Glück
© courtesy of Filmfest München, Gleissendes Glück

Hinzu kamen noch der bereits in Cannes gehypte Toni Erdmann, den man gar nicht genug feiern kann, und Zeigen was man liebt, ein sehr sehenswerter Dokumentarfilm über die Münchener Filmemacher der 1970er-Jahre. Das sind allein fünf Filme, die den deutschen Film besser dastehen lassen, als viele ihn wahrnehmen.

Genrefilme – solange mit Genre insbesondere Krimi gemeint ist – finden sich dann beim Neuen Deutschen Fernsehen. Dort liefen die neuen Produktionen der Höchstleistungsverdächtigen: Dominik Grafs Zielfahnder wird vielleicht in Serie gehen, Petzold liefert mal wieder einen überdurchschnittlichen Polizeiruf ab und Marc Bauder widmet sich weiter der (verbrecherischen) Hochfinanz. Sicherlich werden diese Filme früher oder später im Fernsehen zu sehen sein – aber die genannten Beiträge wirken auf der großen Leinwand sehr gut und bestätigten mich in meiner These, dass der Kriminalfilm leider und zu Unrecht dem deutschen Fernsehen überlassen wurde.

Filmfest München 2016, Plakat © courtesy of Filmfest München
© courtesy of Filmfest München

Allein mit dem Trend zur Serie auf Filmfestivals kann ich wenig anfangen. In San Sebastián, sogar bei der Berlinale laufen neben etlichen Filmen nun doch Serienfolgen. Aber warum sollte ich ins Kino gehen, um bspw. die ersten Folgen von Cape Town zu sehen – eine Serie, die ich zweifellos gerne gucken würde, um dann als Nicht-Abonnentin von 13th Street auf eine DVD-Veröffentlichung zu warten? Wenn mich eine Serie packt, will ich sie sofort weitersehen. Und nicht erst in einigen Monaten. Dann kann ich auf die ersten beiden Folgen auch noch warten. Außerdem wird zwar immer behauptet, dass Serien der neue Roman, der neue Film und der neue wasweißich sind. Aber wenn ich auf einem Filmfestival bin, will ich Filme sehen. Oder über Filme reden. Ob die dann im Kino, als Video-on-Demand oder im Fernsehen zu sehen sind, ist letztlich wenig wichtig. Es geht um Geschichten. Abgeschlossene Geschichten (die natürlich ein offenes Ende mit einschließen) – und nicht ein Appetithäppchen. Denn ganz ehrlich: Erstens sind Serien mittlerweile ein so großes Thema, dass sie ein eigenes Festival verdient hätten, wie es mit dem Seriencamp in München ja auch versucht wird. Und zweitens hätte man stattdessen auch manchen Filmen einen dritten oder vierten Spieltermin gönnen können. Beispielsweise meinem Lieblingsfilm, Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki, der für das Publikum nur zweimal an aufeinanderfolgenden Tagen zu sehen war.

Über Sonja Hartl

Sonja Hartl studierte Deutsche Sprache und Literatur, Medienwissenschaft und Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Marburg und schreibt seither als freie Journalistin über Film, Fernsehen und Literatur. Außerdem betreibt sie das Blog Zeilenkino und ist Chefredakteurin von Polar Noir.