Ganz Europa wird von amerikanischen Serien beherrscht, aber ein kleines Land im Norden leistet Widerstand. Mit seinen gerade einmal 5,7 Millionen Einwohnern trotzt Dänemark der Übermacht Hollywoods.
Serien wie Borgen – Gefährliche Seilschaften, Die Brücke – Transit in den Tod und Kommissarin Lund – Das Verbrechen traten einen internationalen Siegeszug an. Selbst die Amerikaner wurden auf den Trend aus dem Norden aufmerksam und adaptierten die Serien für ihren eigenen Fernsehmarkt, wo sie The Killing und The Bridge heißen. Die neuen Serien aus Dänemark, aber auch aus Schweden treffen auf einen vorbereiteten internationalen Markt. Denn Krimiliteratur aus Skandinavien ist nicht erst seit dem Welterfolg von Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie sehr beliebt. Für diese spezielle Mischung aus teilweise ausufernder Gewalt, psychologischer Darstellung von Tätern, Opfern und Ermittlern sowie den Eigenheiten der skandinavischen Landschaft und dem skandinavischen Klima wurde das Label „Nordic Noir“ geprägt.
Eine düstere Atmosphäre in weiten Landschaften, bläulich schimmernde Seen und graue Küsten mit Charakteren, denen eine gewisse Schwermut eigen ist, erinnern an den Film Noir, mit dem die Amerikaner und die Franzosen die Traumata des Zweiten Weltkriegs bearbeiteten. Im Gegensatz zu diesen Vorbildern, in denen ambivalente, manchmal gebrochene männliche Helden und schöne, vampirhafte Frauen auftraten, sind die skandinavischen Serien von starken Frauenfiguren bevölkert, die in der Regel von Männern unterstützt werden. Die in den skandinavischen Ländern seit Jahrzehnten praktizierte Gleichberechtigung der Geschlechter zeigt sich auch in den Serien, wo viele Dinge wie beispielsweise die Ganztagsbetreuung der Kinder selbstverständlich sind. Die starken Frauen der skandinavischen Serien tragen jenseits der Exotik der Schauplätze zum internationalen Erfolg bei. Die Themen sind universell – überall auf der Welt versuchen berufstätige Frauen Arbeits- und Familienleben zu vereinbaren. Allerdings fordert der berufliche Erfolg seinen Preis, aber davon lassen sich die Serienheldinnen aus dem Norden nicht unterkriegen.
Der internationale Erfolg vor allem der dänischen Serien beruht auf Veränderungen in der Produktionslandschaft, die bereits Mitte der 1990er-Jahre angestoßen wurden. Damals begann der öffentlich-rechtliche Sender DR (Danmarks Radio) in der Ausbildung von Autoren mit der staatlichen dänischen Filmhochschule (Den Danske Filmskole) zu kooperieren. Zugleich versucht man neue Produktionswege zu beschreiten. Dabei orientierten sich die dänischen Sendervertreter durchaus an amerikanischen Vorbildern. Vor allem der sogenannte Writers’ Room hatte es ihnen angetan. In den USA werden Serien in der Regel von einem Autor erfunden, der als Creator und Showrunner fungiert. In letzterer Rolle stellt er den Writers’ Room zusammen: eine Gruppe von fünf bis acht Autoren, die gemeinsam an der Serie schreiben, wobei der Showrunner allerdings die letzte Entscheidungsgewalt hat, weil er quasi stellvertretend für die Vision der Serie steht. Die Showrunner leiten die Autoren an, sind für deren Ideen offen und ordnen alle Entscheidungen der kreativen Idee der Serie unter. Auf diese Weise können ebenso flexible wie umfangreiche Serien in kurzer Zeit entstehen. In Dänemark wurde ein Writers’ Room eingerichtet, der beim öffentlich-rechtlichen Sender direkt angesiedelt ist. Von den Amerikanern wurde die Idee übernommen, dass die kreative Vision der Serie in einer Hand liegen soll. „One Vision“ nennen das die Dänen, bei dem die Autorin, die nicht unbedingt Drehbuchautorin, sondern auch Produzentin oder Regisseurin sein kann, die kreative Entwicklung und das Konzept überwacht. Auf diese Weise lässt sich ein konsistenter „Look“ der Serie ebenso realisieren wie eine komplexe Erzählweise. Auch hier waren die Dänen innovativ. Mit der sogenannten „Double Story“ oder „Double Narration“ wurde quasi ein doppelter Boden in die Serien eingebaut. Einerseits gibt es eine Geschichte, die die Zuschauer in Spannung versetzt, und Charaktere, mit denen sie sich identifizieren können. Auf der anderen Seite werden ethisch-moralische Themen verhandelt, die für die gesamte Gesellschaft von Bedeutung sind. Daraus ergeben sich zudem soziale und psychologische Konflikte. Dänische Serien können daher auf verschiedenen Ebenen faszinieren.
Der internationale Erfolg der dänischen Serien liegt nicht nur in diesen mehrdimensionalen Geschichten begründet, sondern vor allem darin, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Produzenten nicht einfach nur amerikanische Produktionsweisen kopiert haben – sie haben sie den dänischen Verhältnissen angepasst. So kann Globalisierung erfolgreich funktionieren. Auf der einen Seite werden globale Ressourcen – hier amerikanische Produktionsweisen – lokal genutzt und angepasst, auf der anderen Seite entstehen auf diese Weise Produkte – hier Fernsehserien –, die wiederum global vermarktet werden. Mit dieser Entwicklung im Bereich der Produktion von Fernsehserien sind die Dänen und andere skandinavische Länder führend in Europa. Nachahmung empfohlen.
Übrigens: Die Autoren der erfolgreichen dänischen Serien sind alle aus der Kooperation von Danmarks Radio mit der Filmhochschule hervorgegangen.
Wer mehr zum Thema Nordic Noir wissen möchte – vor Kurzem ist das Buch von Lea Gamula und Lothar Mikos: Nordic Noir. Skandinavische Fernsehserien und ihr internationaler Erfolg in der Reihe Alltag, Medien und Kultur beim UVK-Verlag erschienen. Weitere Bände aus der Reihe werden auch auf der FSF-Website vorgestellt.