Der Spagat zwischen Masse und Klasse: Wie viel Fleischkonsum gut für den Menschen ist

Datenschutz, Nachhaltigkeit, Fleischkonsum, Minimalismus, Ästhetik und Meditation – subsumieren lassen sich diese Schlagwörter unter dem Begriff Bewusstsein. Und genau zu diesem Thema waren im Wintersemester 2018/19 wieder zahlreiche Hallenser Studierende aufgerufen, im Seminar Schreiben für die Medien – geleitet von Prof. Joachim von Gottberg (Chefredakteur tv diskurs) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg – ihren Gedanken freien Lauf zu lassen und diese anschließend in Textform „zu gießen“. Entstanden sind eine Vielzahl an vielseitigen Texten zum Thema. Sechs davon veröffentlichen wir nun jede Woche im FSF-Blog. In unserem zweiten Beitrag der Textreihe stellt Nico Wolfsteller mal seinen täglichen Fleischkonsum in Frage:


Der Spagat zwischen Masse und Klasse: Wie viel Fleischkonsum gut für den Menschen ist

Ob als Aufschnitt auf dem Frühstücksbrot, im Hamburger zwischendurch, auf dem Mittagsteller in der Betriebskantine oder als herzhafter Sonntagsbraten: überall und jederzeit gönnen sich die Deutschen Fleisch. Ohne Gemüse, Kartoffeln oder Pilze kommt die alltägliche warme Mahlzeit schon einmal aus, aber auch ohne tierische Erzeugnisse?

 

Zugegeben, ich, als passionierter Fleisch- und Vielesser, könnte mich mit dem Gedanken, gänzlich auf Fleisch zu verzichten, auch nicht anfreunden. Fleisch ist zudem gesund und gibt Lebenskraft, hallt es aus dem gutbürgerlichen Munde. Andererseits vermitteln die Massenmedien sehr viele negative Aspekte über den ungezügelten Fleischkonsum der Deutschen: Laut Fleischatlas 2018 konsumierte der Durchschnittsbürger 2016 insgesamt 59 Kilogramm Fleisch, wobei Experten nur ca. 30 Kilogramm empfehlen. Das sind 300-600 Gramm pro Woche. Mit einem saftigen Rumpsteak (ca. 210-250 Gramm) zum Mittag sowie Wurstaufschnitt zum Frühstück und Abendbrot erfülle ich meine Wochenration in nicht einmal 24 Stunden. Diese Challenge, mich auf die empfohlene Menge zu beschränken, gestaltet sich wahrscheinlich nicht nur für mich als ein schwieriges Unterfangen. Zuzüglich zur angemahnten Mengenreduktion gesellen sich eine Reihe weiterer Probleme, welche für die Gesundheit Risiken birgen können: Immer wieder liest man Schlagzeilen von antibiotikalastigem Tierfutter und dioxinverseuchtem Hähnchenfleisch, etc.

Noch erheblich höher in der Kritik stehen die Tierhaltungsbedingungen sowie die Umweltschäden, die durch die Fleischproduktion langfristig entstehen. In konventionellen Betrieben wird den Tieren kaum Freilauf gewährt, sie wälzen sich zwangsweise in ihren eigenen Fäkalien. Darüber hinaus wurde vor einigen Monaten das ursprünglich zum 1. Januar 2019 eintretende Verbot der männlichen Ferkelkastration ohne Narkosemittel um zwei Jahre aufgeschoben. Ausschlaggebend waren die Proteste des fleischproduzierenden Gewerbes. 50 Millionen männliche Küken werden zudem jährlich im Land zwangsvergast, da diese aus anatomischer Sicht für die Fleischproduktion ungeeignet scheinen.

In Polen und Rumänien ist es auf vielen Höfen gängige Praxis, Mastgänse mit Maisbrei zu überfüttern, um so viel Fleisch wie möglich liefern zu können. Damit werden auch deutsche Verkaufstheken bedient – frei nach dem Motto „Masse statt Klasse“. Unleugbar schlagen sich die schlechten Haltungsbedingungen in Summe zwar positiv im Preis, aber einschlägig negativ in der Fleischqualität nieder. Doch welche Indizien weisen darauf hin, dass die verarbeiteten Tiere aus artgerechter Haltung stammen und damit Fleisch von Qualität liefern? Die Masse an Güte- und Zertifikatssiegeln befeuern für mich eher die Intransparenz, als für verwertbare Aufklärung Sorge zu tragen.

Die aktuellen Trendentwicklungen:

Aufgrund des in weiten Teilen der Bevölkerung wachsenden Unmutes über die soeben geschilderten Tatsachen sind zwischenzeitlich Konsumformen entstanden, die einen Kompromiss zwischen Verzicht und Übermaß herstellen sollen. Sogenannte Flexitarier bzw. Halbzeitvegetarier verzichten an mindestens drei Tagen in der Woche auf Fleisch und/oder kaufen allenfalls Bio-Fleisch. Ebenfalls berichten zahlreiche Fernsehbeiträge, Food-Blogs im Internet sowie Ernährungsratgeber, dass immer mehr Menschen einer totalitären Fleischkonsumabstinenz als Vegetarier oder sogar als Veganer nachgehen. Können jedoch solche Lebensweisen und -philosophien im Endeffekt wirklich zu einer gesunden Körperbalance und einer klimafreundlichen Umweltgestaltung essenziell beitragen?

Bild von Free-Photos auf Pixabay (https://pixabay.com)
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Die Anfechtungen:

Meiner Meinung nach: ja. Allerdings reagiert das ethisch maßregelnde Großaufgebot in den Medien z.T. übertrieben, in dem es versucht, uns Gewissensbisse in unsere Gehirne zu injizieren und von uns zu verlangen, unsere habituellen Essgewohnheiten von jetzt auf gleich zu ändern. Für mich sollte das Hinterfragen unseres Fleischkonsums und eine dialektische Betrachtungsweise der Frage „Ja oder nein – oder teils/teils zu Fleisch“ derweil im Vordergrund stehen, denn „grün leben“ muss nicht zwangsweise „gesund leben“ bedeuten.

Durch eine langfristige vegetarische oder gar vegane Lebensweise können nämlich dem menschlichen Körper elementare Nährstoffe und Eiweiße vorenthalten bleiben. Besonders für Embryos im Mutterleib können daraus nachweislich irreparable gesundheitliche Langzeitschäden resultieren. Auch alarmierend: in einer Fernsehdokumentation sah ich einst, wie manche vegan lebende Hundebesitzer versuchten, ihre Tiere mit ausschließlich veganen Produkten zu füttern. Spätestens ab diesem Punkt droht sich die „Pseudogutmenschlichkeit“ einiger Erdenbewohner im unselektiven, realitätsfernen Wahn zu verlieren.

Auch interessant ist der Fakt, dass enorm viele Bodenressourcen durch den Anbau von veganen Ersatzprodukten wie bspw. Soja auf Ackerflächen ausgebeutet werden. Infolgedessen werden die Lebensräume für im Erdreich lebende Tiere massiv gefährdet. Die eigentliche Intention, natürliche Ressourcen zu schonen und Tiere zu schützen, bricht somit schnell ins Gegenteil um.

In Summe erscheint ein verantwortungsvoller Mittelweg als zielführende Langzeitlösung, welche einen koordinierten und reflektiven Fleischkonsum in Bezug auf unsere eigene Gesundheit und kollektive Umweltbelastung in den Zenit setzt. Das heißt für mich, dass wir vorzugsweise Produkte kaufen sollten, die von nachhaltig produzierenden Betrieben hergestellt werden, denen die Wahrung und Förderung des Tierwohls ein elementares Anliegen ist.

Das Problem, welches dabei allerdings entsteht, ist, dass diese Produkte erheblich teurer sind als (Tiefkühl-)Ware aus der Stallhaltung. Beim Fleischer kostet zum Beispiel ein einfaches 300-Gramm-Entrecote-Steak schon ca. 12 Euro. Das eingeschweißte 300-Gramm-Rumpsteak aus der Stallhaltung ist im Discounterkühlregal dagegen mit 6 Euro nur halb so teuer, jedoch ist selbst das für viele Mittelständler noch zu viel. Sie greifen lieber auf abgepackte Schnitzel, Nuggets oder Minutensteaks zurück, deren 500-Gramm-Packung ca. 3-4 Euro kostet und die ganze Familie satt macht. In der Praxis zeigt sich also, dass viele Menschen aufgrund monetärer Engpässe gar keinen Blick (mehr) für hochwertige, nachhaltig produzierte und gesundheitsschonende Fleischprodukte haben. Dazu kommt noch, dass es in einer immer schnelllebigeren Welt, in der der Alltagsstress kontinuierlich steigt, auch immer schwerer wird, sich differenziert mit den Produkten, die man kauft, auseinanderzusetzen. Insbesondere bei uns Studierenden müssen Lebensmittel möglichst günstig sein. Aber sich deshalb immer wieder das zähe, fette und sehnendurchzogene Billig-Schweinenackensteak aus der Kühltruhe einzuverleiben, welches in gefühlt drei Liter Marinade vor sich hinschwimmt, darf aus meiner Sicht kein Dauerzustand sein.

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Deutschland ist einerseits ein riesiges Billigfleischland, andererseits liegt auch eine enorme Preisniveaudiskrepanz zwischen Discounterfleisch und dem Angebot der privaten (Bio-) Züchter vor. Interessehalber habe ich auch direkt im Steakhouse-Restaurant nachgefragt, woher dessen Chef sein Fleisch bezieht.

 

 „Black-Angus-Rinder aus Argentinien oder Uruguay weisen immer eine ausgezeichnete Qualität auf. Die Preise für Qualitätsfleisch aus Deutschland sind leider viel zu hoch.“

Chefkellner des Restaurants

 

Würden also deutsche Rinder auf den Tellern des Restaurants landen, würden die 300-Gramm-Steaks wahrscheinlich nicht jeweils ca. 22,50 bis 24,50 Euro kosten, sondern weit über 30 Euro. Klar, dass da kaum noch ein Gast mithalten könnte. Auch die Umrüstung zur Bioproduktion in Deutschland wäre sehr teuer. In einer TV-Dokumentation wurde ein konventioneller Tierhalter vorgestellt, der sich in seiner Umrüstungsphase zur Bioproduktion befand. Für die daraus resultierende Ausweitung seiner Haltungsflächen, Aufrüstung technischer Anlagen, Anbau von schadstoffarmem Futter und Bezug neuer Anbaufläche, etc. musste dieser Bauer einen privaten Kredit von mehr als einer Million Euro aufnehmen! Dass seine Fleischerzeugnisse notgedrungen teurer werden müssen, ist dabei vorauszusehen.

Die Lösungsansätze

Alles in Allem plädiere ich dafür, nicht ganz und gar auf den Verzehr von Fleisch zu verzichten. Allerdings kann eine flexitarische Lebensweise mit seiner fokussierten, dauerhaften Senkung des Fleischkonsums unter Berücksichtigung der Produktqualität eine lukrative Langzeitalternative zur totalitären Fleischabstinenz darstellen – gleich aus welchen Motiven heraus. Am Ende entscheidet jedoch jeder Mensch auf Grundlage seiner eigenen Verantwortung und Vernunft selbst, wie viel Fleisch er konsumiert und inwieweit vom selbst gewählten Ideal auch mal abgewichen werden darf. Denn es gestalten zwar alle Menschen gemeinsam ihre Umwelt und setzen mit dem Kauf nachhaltig produzierter und dem Tierschutz verbundener Fleischprodukte ein kollektives Zeichen, andererseits muss wiederum jeder individuell auf seine Gesundheit achten und einen für ihn zielführenden und angemessenen Fleischkonsum finden.

Grillteller © Nico Wolfsteller
© Nico Wolfsteller

Um die eklatante Preisschere zwischen Teuer- und Billigfleisch zu reduzieren, sollten mehr sinnstiftende staatliche Subventionen erfolgen, um Umrüstungen in Biobetrieben zu fördern. Durch die daraus folgenden geringeren Endproduktpreise könnten sich mehr Verbraucher schlussendlich wieder qualitativ hochwertigere Fleischerzeugnisse leisten. Wer sichergehen will, dass seine gekauften Fleischprodukte möglichst direkt vom Erzeuger ohne lange Transportwege kommen, sollte sein Fleisch vorzugsweise vom (Bio-)Metzger an der Fleischtheke kaufen. Eine höhere qualitative Güte des Fleisches durch schonendere Produktions- und Verarbeitungsabläufe wird beim profilierten Fachmann durchaus eher gewährleistet als in der industriellen Massenwarenabfertigung. Diese Produzenten, denen auch auf ethischer Ebene etwas an ihren Tieren liegt, verarbeiten und verkaufen nicht nur die beliebten und damit umsatzstarken Filetstücke, sondern auch unkonventionelle Teile wie Zunge, Schwanz oder diverse Innereien. Möglichst alles vom Tier zu vermarkten, stellt also die Königsdisziplin eines nachhaltigen und bewussten Fleischkonsums dar. Denn beispielsweise ein Rind nur für seine mageren und vollmundigen Stücke zu schlachten und den Rest einfach wegzuschmeißen, würde eine Nichtachtung des getöteten Tieres implizieren.

In Anbetracht der eigenen Gesundheits- und Vitalitätsförderung sollten wir nicht nur weniger und vorzugsweise hochwertigeres (Bio-)Fleisch kaufen, sondern vielleicht auch zwei Mal in der Woche etwas Vegetarisches zum Mittag in der Kantine oder zu Hause essen. Dabei kann eine Kompensation durch mehr Gemüse aus regionalem Anbau erfolgen. Vom Kauf zwielichtiger Fleischersatzprodukte wie bspw. Tofu, Milchfleisch oder fleischfreiem Aufschnitt würde ich jedoch abraten, da in diesen Erzeugnissen oftmals mehr Chemie und für den Körper unwichtige Bestandteile drinstecken als alles andere. Dieses Faktum liefert jedoch wieder Stoff für einen neuen Kommentar …

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Über Nico Wolfsteller

Nico Wolfsteller studierte Medien- und Kommunikationswissenschaften sowie Soziologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Nach dem Abitur durchlief er zuerst eine Ausbildung zum Medienkaufmann Digital und Print und arbeitete nebenberuflich in der Printmedienbranche. Nicos Interessen gehören vorwiegend der Musik, Natur, den Videospielen und gesellschaftlichen Phänomenen.