Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) feiert ihren 20. Geburtstag. Darauf können alle Beteiligten – Geschäftsführer, das gesamte FSF-Team, das Kuratorium, die Prüfer, aber auch die Mitgliedsunternehmen – stolz sein. Die beiden Jahrzehnte waren und sind durch eine atemberaubende Entwicklung von Technik und Angeboten im Bereich der elektronischen Medien bestimmt. Dies war und ist eine große Herausforderung. Zusätzlich musste sich die FSF besonders in ihren Anfangsjahren immer wieder auch mit fehlender Unterstützung von Aufsicht und Länderbehörden auseinandersetzen. Selbstkontrolle und Aufsicht wurden nicht als sinnvolles Miteinander verstanden, sondern vor allem als Konkurrenz. Dieses Jubiläum möchte ich zum Anlass nehmen, daran zu erinnern, was wir gemeinsam in den zwei Jahrzehnten erreicht haben. Auch daraus werden wir Kraft und Zuversicht schöpfen können, um gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen zu meistern.
Viele unserer jungen Kollegen haben es nicht miterlebt: Anfang der 1990er-Jahre entwickelte sich das erst in den 1980er-Jahren gestartete private Fernsehen durch schnell wachsende technische Reichweite und Marktanteile in einem immer rasanteren Tempo. In dieser Phase der Entwicklung des Fernsehmarktes gelangten u. a. Filme ins Programm, die bis dahin nur auf DVD oder in Bahnhofskinos zu sehen gewesen waren. Dies führte vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitischen Situation des mit der Wiedervereinigung bedingten Umbruchs und eines ebenso rasanten Quotenverfalls des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu einem wachsenden Druck der Politik auf die privaten Programmanbieter. Zunächst wurde im Branchenverband VPRT als Antwort auf die immer lauter werdende Kritik eine freiwillige Selbstverpflichtung im Sinne einer „Konvention der Verantwortung“ (Kodex zum Umgang mit der Darstellung von Gewalt und Sexualität) vorbereitet. Als sich im Verlauf der Gespräche mit den Ländern aber zeigte, dass diese Maßnahme als nicht ausreichend betrachtet wurde, gründeten die privaten Programmanbieter in einer großen Kraftanstrengung und unter zeitlichem Druck als unabhängige Prüfinstitution die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e. V. (FSF). Dem lag die Einsicht des Gesetzgebers zugrunde, dass die Landesmedienanstalten, die ja aus verfassungsrechtlichen Gründen nur nach der Ausstrahlung tätig werden können, die von den Ländern gewünschten Fortschritte im Jugendschutz nicht herbeiführen konnten.
Eine meiner bleibenden Erfahrungen aus den vergangenen 20 Jahren ist, dass die Ländergesetzgebung der Medienentwicklung dauernd hinterherläuft, wo sie doch durch kluge regulatorische Rahmenbedingungen eine ganz entscheidende Voraussetzung für erfolgreiche Selbstkontrolle bereitstellt.
So verlangte am 14. Februar 1996 das Europäische Parlament: „Die Fernsehveran-stalter ergreifen geeignete Maßnahmen zur Schaffung von Selbstkontrollen, die sich aus Sachverständigen (Pädagogen, Medienexperten) zusammensetzen und den Auftrag haben, den Inhalt der Sendungen vor ihrer Ausstrahlung zu kontrollieren, um Minderjährige vor übermäßiger Gewalt oder Pornographie zu schützen.“ Damit hatte die EU das FSF-Modell bereits zwei Jahre nach deren Gründung für ganz Europa empfohlen. Dem vorausgegangen waren verschiedene Veranstaltungen, in denen der internationale Erfahrungsaustausch angestoßen werden sollte. Auch im Bericht zur Lage des Fernsehens für den Bundespräsidenten (die sogenannte Weizsäcker/Mahrenholz-Kommission) aus dem Jahr 1995 wurde die zentrale Rolle der Selbstkontrolle für das Fernsehen hervorgehoben:
„Der wesentliche Vorteil der Selbstkontrolle liegt zum einen in der Abwesenheit von staatlicher Reglementierung, zum anderen in der Möglichkeit, bereits vor Ausstrahlung der Sendung tätig werden zu können.“
Ende der 1990er-Jahre zeigte sich immer deutlicher, dass der damalige rechtliche Rahmen für die FSF nicht ausreichend war. Selbst Medienjournalisten, die die Entwicklung der FSF z. B. in „epd“ kritisch begleitet hatten, sahen inzwischen das Potenzial und die erfolgreiche Arbeit der FSF, so beispielsweise Volker Lilienthal und Claus Morhart: „Ins Leben gerufen zwar von den Veranstaltern selbst, und wenn auch nur, um seinerzeit drohenden schärferen gesetzlichen Regelungen zuvorzukommen, von diesen aber doch mit der Freiheit ausgestattet, allein nach fachlicher Notwendigkeit zu handeln, hat die anfangs skeptisch als ‚Feigenblatt‘ beäugte FSF inzwischen bewiesen, dass sie ihren Kontrollauftrag ernst nimmt. Und zwar ganz anders als herkömmliche Rundfunkgremien.
Bei der FSF bleibt es nicht bei folgenlosen Monita, sondern es führt zu harten Schnitt-Auflagen oder Sendezeit-Auflagen.“
Für die „epd“-Autoren ist die FSF das „wohl effektivste Selbstkontrollorgan in Deutschland“. Ihre Begründung:
1. Es geht immer um den Einzelfall und sehr konkret um das Programm.
2. Fachleute – Pädagogen ebenso wie Filmkundige – arbeiten als Prüfer.
3. Deren Urteile haben Folgen, weil nicht nur die Satzung die Befolgung nahelegt, sondern auch alle übrigen FSF-Mitglieder, also: konkurrierende Privatsender, sofort denjenigen Wettbewerber sanktionieren würden, der die Auflagen der FSF nicht befolgt. Im Gegensatz zu konventionellen Aufsichtsgremien, die sich auf Kontrolle in Form von Empfehlungen, höchstens Beanstandungen beschränken müssen, haben FSF-Feststellungen die direkte Wirkung einer Korrektur von Fehlentwicklungen.“
Als Fehler erwies sich jedoch, dass das Verhältnis zwischen Aufsicht und Selbstkontrolle im damaligen Rundfunkstaatsvertrag nur unzureichend geregelt war. Prüfergebnisse der FSF konnten von den Landesmedienanstalten problemlos aufgehoben werden. Und da sie sich in der Öffentlichkeit gerne als die „strengeren“ Jugendschützer darstellen wollten, haben sie in etwa 30 % der kritischen Fälle anders entschieden als die FSF. Die Folge: Bei den Sendern setzte sich der Eindruck durch, dass das Risiko einer Beanstandung nach einer Freigabe durch die FSF besonders groß war; sie legten deshalb immer weniger Sendungen vor. Diese mangelnde Vorlagebereitschaft warfen die Medienanstalten wiederum der FSF vor und sahen darin einen Beweis für deren Wirkungslosigkeit. Bei den Sendern wuchs angesichts dieser Situation der Zweifel, ob sich vor diesem gesetzlichen Hintergrund das Engagement in Sachen Selbstkontrolle überhaupt lohnt. Die Medienpolitik erkannte jedoch dieses Problem und entschloss sich, im Rahmen der Neuordnung der Kompetenzen von Bund und Ländern die Freiwilligen Selbstkontrollen der Anbieter gegenüber der Aufsicht zu stärken.
Das Ergebnis: der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). „Anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle wird ein Entscheidungsrahmen zugebilligt, der durch die Medienaufsicht nur begrenzt überprüfbar ist“, heißt es in der Begründung zum Staatsvertrag.
Heute, mehr als zehn Jahre später, erinnere ich mich, bei dem wenig durchdachten Versuch, den JMStV an die Konvergenz von Internet und Fernsehen heranzuführen, an die Querelen, die es vor der Verabschiedung des Staatsvertrags und der Anerkennung der FSF durch die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) gab, und es verdichtet sich der Eindruck, dass notwendige gesetzliche Anpassungen und Änderungen nicht durch vernünftige Gespräche, sondern nur durch öffentlichen Druck erreicht werden können. Der erste Entwurf zu einer Novellierung des JMStV im Februar 2014 war für alle eine große Enttäuschung. Großspurig wurde angekündigt, der Medienkonvergenz Rechnung tragen zu wollen, tatsächlich sollten nach dem Entwurf ausschließlich die nach dem Jugendschutzgesetz arbeitenden Selbstkontrollen auch für den Onlinebereich zuständig werden, an eine Anerkennung der FSF-Freigaben für den Fall, dass Fernsehfilme später im Kino oder auf DVD veröffentlicht werden, wurde nicht gedacht. Neben der Unfähigkeit, die institutionellen Strukturen und Zuständigkeiten im Jugendmedienschutz den veränderten Verbreitungswegen und Märkten anzupassen, fehlt eine Vorstellung davon, wie der Verfassungsauftrag zum Jugendschutz aus Art. 5 (2) in der digitalen Welt gelebt werden könnte, wenn in einigen Jahren all unsere Fernsehgeräte, PCs und iPads wahrscheinlich nur noch mit einem Router verbunden sind, der das ganze Heimnetzwerk mit dem Internet, Satellit und Kabel verbindet. Während dem Zuschauer schon heute völlig egal ist, ob Bild und Ton aus den klassischen Rundfunkvertriebswegen oder aus dem World Wide Web übertragen werden, differenzieren die Jugendschutzgesetze immer noch nach Vertriebswegen statt nach Inhalten.
Der Erfolg der FSF hat viele Gründe und wird von vielen klugen und einsatzbereiten Kolleginnen und Kollegen der Geschäftsstelle und Prüfern jeden Tag neu erarbeitet. Sie sollten dabei aus meiner Sicht auch weiterhin auf ihre Unabhängigkeit, ihre Neutralität des Blicks und eine möglichst umfassende Programmkenntnis bauen. Das Regelungsbedürfnis der Gesetzgebung von Bund und Ländern sollte mehr auf die Selbstkontrolle vertrauen und ihre Spielräume vergrößern, statt durch eigene, allzu differenzierte Regelungen Gefahr zu laufen, von der medialen Entwicklung bereits überholt zu sein, wenn das Gesetz gerade in Kraft getreten ist.