#goals – Propagierte Ideale im Netz

Schlanker, erfolgreicher, besser. Social Networks und die Folgen des ständigen Vergleichens für jugendliche Nutzer – wer könnte zu diesem Thema besser schreiben, als ambitionierte Jungautoren!?
Das dachten sich auch Prof. Joachim von Gottberg und Barbara Weinert (Chefredakteur und Redakteurin tv diskurs), die im Wintersemester 2017/18 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Studiengang „Medien- und Kommunikationswissenschaft“ gemeinsam das Seminar „Schreiben für die Medien“ leiteten. Die Studierenden schrieben tolle und äußerst vielseitige Texte zum Thema. Ein paar davon wollen wir in den kommenden Wochen im FSF-Blog veröffentlichen. Den Anfang machte Laura Schimming mit Entschuldige, ich kann gerade nicht leben – ich muss postenHeute nun die Fortsetzung mit einem Beitrag zum Thema von Stefanie Barth.

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Die US-Amerikanerin Alexis Ren ist 20 Jahre alt. Elf Millionen Menschen folgen ihr auf Instagram. Perfekt und lasziv inszeniert sie in täglichen Posts ihren halbnackten Körper auf der Online-Fotoplattform und erntet dafür tausende Likes.
Kürzlich gestand sie: Ich bin magersüchtig.

Screenshot Instagram Alexis Ren, Beitragsreihe FSF #GOALS – PROPAGIERTE IDEALE IM NETZ
Screenshot Instagram Alexis Ren, Beitragsreihe FSF #GOALS – PROPAGIERTE IDEALE IM NETZ

Das Schweizer Fitnessmodel Anja Zeidler beichtete, in der Vergangenheit Anabolika genutzt zu haben, um ihre Muskeln schneller zum Wachsen zu bringen.

Die 18-jährige Australierin Essena O’Neill postete ein Video, in dem sie ihren mehr als 600.000 Followern in Tränen aufgelöst von ihrer Sucht nach Aufmerksamkeit und Kontrolle erzählt und gesteht, dass ihr reales Leben weit entfernt ist von der perfekten Welt, die sie über ihren Account vermittelt. Allen dreien ist nicht nur ihre Internet-Popularität gemeinsam, sondern auch ihr Hang zur Perfektion, der letztlich in einen Wahn mündete.

Der Wunsch, sich zu verbessern ist nichts Schlechtes und in erster Linie etwas Natürliches. Der Mensch strebt schon immer nach der Optimierung seiner (Überlebens-) Fähigkeiten. Im Laufe der Zeit hat sich daran auch nicht viel geändert. Nur macht das Zeitalter der sozialen Netzwerke heute möglich, was es vorher so nicht gab: den direkten Vergleich mit einer schier unbegrenzten Zahl von Menschen. Das Internet zeigt uns schneller und direkter denn je, wie wir aussehen, was wir essen, wie wir uns kleiden sollten. Gerade für junge Frauen und Mädchen eine willkommene Orientierung im unübersichtlichen Trenddschungel. Schöne Frauen mit perfektem Körper und glamourösem Lifestyle werden von ihnen gern als Vorbilder herangezogen und bewundert.

„Die Sorge abgehängt zu werden“ nennt Soziologe Hartmut Rosa den Grund für den schier endlosen Hype um hübsche junge Frauen im Netz, die uns Schönheitsideale vorleben und bis aufs Äußerste propagieren: Vor einigen Jahren noch waren „Hip Bridge“ und Lücken zwischen den Oberschenkeln der letzte Schrei, heute ist es ein übertriebener Fitnesswahn. Die „Instagram-Models“ machen es vor, viele andere junge Frauen prompt nach. Sie finden Bestätigung in Likes und einer wachsenden Followerzahl – bis sie womöglich die Kontrollsucht einholt. Dass die vermeintlichen Vorbilder ebenso einem Zwang, z.B. in Form von Sport- oder Magersucht, erliegen, sehen die Rezipientinnen nicht.

Besonders Mädchen und Frauen im Alter von zwölf bis 22 Jahren hadern bekanntlich im Umgang mit sich selbst und der Frage, wer sie sind und wo ihr Platz in der Gesellschaft ist. Nicht zuletzt durch falsche Ideale, die ihnen täglich vorgelebt werden. Wichtig ist, ein Bewusstsein für die Falschheit und Irrelevanz dieser Ideale zu schaffen. In erster Linie sollten sie auf die Künstlichkeit der Fotos aufmerksam gemacht werden. Ohne Filter, Photoshop und strategisches Posieren kommt kein „Instagram-Model“ aus. Schon lange gibt es Diskussionen, ob stark retuschierte Bilder nicht auch als solche gekennzeichnet werden müssten. In Frankreich ist das seit Oktober 2017 Pflicht.

Zusätzlich ist wohl die Fähigkeit zur Selbstreflexion und damit das Nachdenken über sich selbst die hilfreichste Maßnahme im Kampf gegen die Obsession zur Perfektion. Die Angst, nicht gut genug zu sein, schwirrt vielen jungen Frauen im Kopf herum. Doch sollten sie sich nicht mitreißen lassen von dieser Welle der vorgetäuschten Perfektion. Im Gegenteil: Die Verantwortung der jungen Generation liegt vor allem darin, sich von den Schönheitsidealen von Instagram & Co. und besonders der Werbeindustrie loszusagen. Niemand sollte jungen Menschen vorschreiben, was perfekt ist. Das ist einzig und allein ihnen selbst überlassen.

Bewegungen im Kampf gegen den unrealistischen Schönheits- und Optimierungswahn häufen sich seit geraumer Zeit.


Das Hashtag #NotHeidisGirl etwa zeigte, dass sich jede „normale“ Frau nicht mit den Idealen der Fernsehshow Germany’s Next Topmodel identifizieren kann, soll und will. Oder der äußerst erfolgreiche US-Rapper Kendrick Lamar, der wütend und sehr direkt rappt: „I’m so f*ckin‘ sick and tired of the Photoshop (…) Show me somethin‘ natural like *ss with some stretchmarks“.

Hoffen wir, dass die Aufklärungsarbeit weiter voranschreitet und bei Heranwachsenden ein Bewusstsein geschaffen wird für unrealistische Darstellungen von scheinbar perfekten Menschen. Denn – die gibt es nicht.

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Und zum Phänomen Instagram, Selbstoptimierungswahn, Likes und Co.: #LikeMich! und Insta-What?

Über Stefanie Barth

Stefanie Barth ist Studentin der Politikwissenschaft sowie Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Neben der Uni arbeitet sie als Redakteurin für ein Leipziger Stadt- und Lifestyle-Magazin. Nach dem Studium wäre sie gern im Bereich „PR- und Öffentlichkeitsarbeit“ tätig, bevorzugt für gemeinnützige und gesellschaftspolitisch engagierte Organisationen.