„Man empfindet da wirklich mit und hat da wirklich Spaß dran, so drüber zu reden“

Sendungen wie Familien im Brennpunkt, X-Diaries oder Pures Leben – Mitten in Deutschland stehen seit ihrem Erscheinen im deutschen Fernsehprogramm in der Kritik: Vor allem junge Zuschauer würden die im Dokumentationsstil inszenierten Sendungen für real halten und dabei ein verzerrtes Bild von der Lebenswirklichkeit vermittelt bekommen. Die FSF hat sich Formate dieses als Scripted Reality bekannten Genres genauer angesehen.

Um zu erfahren, warum sich junge Zuschauer diese Sendungen ansehen, ob sie den fiktionalen Charakter erkennen und ob ihr Normalitätskonzept durch scheinbar abgefilmte Realität stärker beeinflusst wird als durch fiktionale Programme wurden qualitative Interviews mit Jugendlichen durchgeführt. Ein weiterer Themenschwerpunkt in den Interviews: Anschlusskommunikation – diesem Teilbereich der Studie Scripted Reality auf dem Prüfstand
Teil 2: Berlin – Tag & Nacht aus der Sicht junger Fans. Eine qualitative Befragung
ist der heutige Blogbeitrag gewidmet. Ausgangspunkt in den Gesprächen war die bei jungen Zuschauern sehr beliebte Scripted-Reality-Serie Berlin – Tag & Nacht.

Anschlusskommunikation im sozialen Umfeld

Die Mehrheit der Befragten tauscht sich regelmäßig über die Serienereignisse aus. Meist wird sich mit Freunden oder Schulkameraden, mit denen gelegentlich auch gemeinsam geschaut wird, über Berlin – Tag & Nacht ausgetauscht. Die meisten männlichen Jugendlichen meinen, dass sie dabei selten tief in die Handlungen einsteigen würden. Man unterhält sich allgemein darüber, ob man dieses oder jenes gesehen hat, und resümiert den Inhalt für Anwesende, die eine Folge verpasst haben. Das Gesehene wird mit Vorliebe eingeteilt in „lustig“ oder „doof“ (Julius, 16) oder „wer recht oder unrecht“ hatte (Gianni, 15).
Gespräche über Berlin – Tag & Nacht dienen, laut der durch die FSF durchgeführten Interviews, oft der allgemeinen Unterhaltung und sind ein Anknüpfungspunkt, die TV-Rezeption des vorangegangenen Tages zu rekapitulieren. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch zu verstehen, dass die Figur Ole ein beliebter Charakter ist, an dem man sich abhängig von der jeweiligen Handlung amüsiert oder latent fremdbeschämt abarbeiten kann.

Männliche Teilnehmer machen sich insgesamt eher lustig über das Verhalten der Protagonisten.
Lediglich ein 17-jähriger treuer Fan von Berlin – Tag & Nacht erzählt im Interview, nachhaltig über die Vorfälle in den Sendungen zu sprechen. Das hänge auch damit zusammen, dass er selbst in einer WG lebe, wo die Serie regelmäßig geschaut werde:
„[Wir sprechen darüber], was so passiert ist, was sie toll finden, wie sie es gemacht hätten oder was sie total schlimm finden, also nicht schlimm fanden wegen Tag & Nacht, sondern was geschehen ist mit Caro und Felix. […] Man empfindet da wirklich mit und hat da wirklich Spaß dran, so drüber zu reden“ (Constantin, 17).

Anschlusskommunikation (c) FSF
Anschlusskommunikation. Interviewsequenzen aus der qualitativen Befragung der FSF zu Berlin – Tag & Nacht © FSF

Die weiblichen Befragten kommunizieren intensiver über Berlin – Tag & Nacht. Seien es die Geschehnisse des Vortages, das erlebte Spannungsempfinden oder Mutmaßungen über die nächste Folge – auf dem Schulhof oder beim „Eis essen“ (Carolin, 14) findet unter Freundinnen ein reger Austausch statt. Bestimmte Szenen werden mit den jeweiligen Reaktionen der beteiligten Personen detailliert besprochen. Gelegentlich wird auch gewettet, ob Paare (wieder) zusammenkommen oder nicht:
„Na ja! Zum Beispiel als Hanna und Joshua zusammengekommen sind, da haben wir halt auch zwei Tage davor eine Wette gemacht, wer glaubt, dass die zusammenkommen, und wer nicht, und ja, dass wir das dann halt gut finden würden, wenn oder wenn nicht und so“ (Carolin, 14).

Manche besprechen schon während der Sendung das Gesehene. So berichtet eine 13-Jährige:
„Dann telefoniere ich mit meiner Freundin, dann gucken wir die Sendung zusammen. Und immer wenn Pause ist, dann reden wir halt darüber, was wir denken, was als Nächstes passiert. Zwischendurch machen wir uns stumm, damit wir den anderen nicht belästigen, aber dann, wenn Pause ist, reden wir halt wieder über die Sendung“ (Katrin, 13).

Etwa ein Fünftel der Befragten schaut Berlin – Tag & Nacht gemeinsam mit den Eltern oder einem Elternteil. Laut Aussagen der Jugendlichen unterscheidet sich die Kommunikation hier nicht wesentlich von der mit Gleichaltrigen. Auch die Erwachsenen nehmen Positionen ein und erläutern, was sie angemessen finden oder eher negativ beurteilen.

Berlin – Tag & Nacht bei Facebook

Bis auf drei Teilnehmerinnen sind alle Befragte bei Facebook angemeldet, wobei nur knapp die Hälfte die Fanseite von Berlin – Tag & Nacht über den „Gefällt mir“-Button abonniert hat. Die übrigen Befragten kennen zwar die Seite, haben sie schon mal angesehen oder zumindest davon gehört, aber bekunden kein Interesse. Sie meinen, ausschließlich an der Serie Gefallen zu haben. Es reiche ihnen, sich genussvoll auf das lineare TV-Angebot einzulassen, ohne weiteren Social-Media-Aktivitäten nachgehen zu müssen. Den Aussagen ist auch zu entnehmen, dass Facebook bei den Jugendlichen so allgegenwärtig ist, dass sie befürchten, im Gewimmel von Posts und News den Überblick zu verlieren und wirklich wichtige Dinge nicht mehr wahrzunehmen:
„Wenn man zu viel liket, dann ist ja auch wieder alles gesammelt, und man kriegt so viele Nachrichten, dass man die von seinen Freunden schon gar nicht mehr sieht, weil man nur mit irgendwelchen Seiten die ganze Zeit zugeliket wird“ (Theo, 15).

Zusammenfassend kann man sagen, dass sich die Jugendlichen aus der Befragung neben der Rezeption im Fernsehen kaum in anderen Medien über Berlin – Tag & Nacht informieren. Auch die Facebook-Seite wird nur gelegentlich genutzt. Die Social-Media-Angebote stellen einen unterhaltsamen Mehrwert dar, werden als hilfreicher Service geschätzt, um sich zum Beispiel ein umfassenderes Bild von den Protagonisten zu verschaffen und runden somit das TV-Angebot ab.

Die vollständige Studie
Scripted Reality auf dem Prüfstand
Teil 2: Berlin – Tag & Nacht aus der Sicht junger Fans. Eine qualitative Befragung
ist auf der FSF-Website abrufbar. Dort findet sich auch die 2012 durchgeführte exemplarische Inhaltsanalyse, die unter dem Titel Scripted Reality auf dem Prüfstand. Teil 1: Scripted Reality im Spiegel einer exemplarischen Inhaltsanalyse im Herbst 2012 veröffentlicht wurde – sowie weitere Einblicke in Interviews und Szenen aus Berlin – Tag & Nacht.

Über Jenny F. Schneider

Jenny F. Schneider arbeitet als freiberufliche Lektorin sowie Medienpädagogin und leitet medienpädagogische Workshops, Projekte und Fortbildungen im schulischen und außerschulischen Bereich. Seit 2017 gehört sie zum festen Medienpädagogik-Team der FSF und ist in der Redaktion von Medienradar tätig.