Nur die Gedanken sind noch frei

Der Große Bruder sieht und hört dich: Moderne Fernsehgeräte sind eine Einladung zum Lauschangriff

Penguin UK, 2008, design by Shepard Fairey
Penguin UK, 2008, design by Shepard Fairey

Seit 15 Jahren sorgt ein rühriger Verein dafür, dass die Mahnungen George Orwells nicht in Vergessenheit geraten. In seinem Roman 1984 hat der Autor die furchteinflößende Realität einer perfekt überwachten Zukunft beschrieben. In seinem Namen vergibt der Bielefelder Verein Digitalcourage die BigBrotherAwards.
Der Negativpreis geht an Institutionen oder Firmen, die „nachhaltig die Privatsphäre von Personen beeinträchtigen oder Dritten persönliche Daten zugänglich gemacht haben.“ Die diesjährigen Preisträger wurden kürzlich gekürt, es ist unter anderem der Bundesnachrichtendienst.

Der Titel des Preises bezieht sich auf einen Slogan der alles beherrschenden Partei in Orwells Roman (Ullstein-Verlag): „Big Brother is watching you“, zu deutsch „Der Große Bruder sieht dich“. Er kann und tut das, weil die Teleschirme, die sich an zentraler Stelle in jeder Wohnung befinden, sowohl Sende- wie auch Empfangsgeräte sind: Sie zeigen nicht nur rund um die Uhr Propagandaberichte, die Gedankenpolizei kann auch jederzeit nach dem Rechten sehen; und deshalb sind Firmen wie Samsung, LG oder Sony aussichtsreiche Kandidaten für die nächsten BigBrotherAwards. Sie stellen so genannte Smart-TVs her, Fernsehgeräte mit Zugang zum Internet. Einige Apparate verfügen über integrierte Mikrofone, weil sie auch auf Sprachkommandos reagieren, andere haben zudem eingebaute Kameras, damit man Videogespräche führen kann.

Diese Geräte haben nur einen Haken, aber der ist gewaltig: Während jeder vernünftige Nutzer seinen Computer mit einem Virenschutzprogramm vor unerwünschten Eindringlingen schützt, sind Smart-TVs solchen Angriffen schutzlos ausgeliefert. Aber es gibt auch ganz offizielle Zugriffe. Schon das Aufrufen eines bestimmten TV-Programms hat ein Signal an den Sender zur Folge. Allerdings verläuft die Kommunikation keineswegs einseitig. Ist die Tür einmal geöffnet, kann sich der Sender wunderbar über das Nutzungsverhalten des Zuschauers informieren, um ihn später ähnlich wie Internetanbieter mit individuell angepasster Werbung zu versorgen.

Viele Menschen werden das nicht weiter schlimm finden. Wer intime Details auf Facebook preisgibt oder achselzuckend in Kauf nimmt, dass Geheimdienste den E-Mail-Verkehr mitlesen, wird nichts dagegen haben, dass die TV-Sender sein Fernsehverhalten speichern. Die Hersteller tun das übrigens auch, selbst wenn es dafür keine einleuchtende Erklärung gibt. Tatsächlich haben sich ihre Geräte mittlerweile stark dem Standard von Orwells Teleschirm angenähert. Techniker haben festgestellt, dass die Augen und Ohren der Smart-TVs bei entsprechender Manipulation selbst dann noch funktionieren, wenn sich die Apparate in der „Stand by“-Funktion befinden, also zwar ausgeschaltet, aber jederzeit einsatzbereit sind.

Jetzt dürfte auch bei sorglosen Nutzern eine rote Linie überschritten sein. Manch’ ein Stasi-Veteran wird vermutlich ganz wuschig, wenn er sich vorstellt, dass es diese Möglichkeiten schon vor dreißig Jahren gegeben hätte. Immerhin gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen einem Smart-TV und Orwells Teleschirm: Man kann den Kontakt zum Internet kappen, so lange man es nicht braucht, vor allem, wenn das Gerät über WLAN ins Netz geht; und ansonsten auf die „Stand by“-Funktion verzichten und das Gerät komplett ausschalten.

Über Tilmann P. Gangloff

Tilmann P. Gangloff ist Journalist und Autor. Er lebt und arbeitet in Allensbach am Bodensee. Als freiberuflicher Medienfachjournalist sowie Fernseh- und Filmkritiker arbeitet er für Fachzeitschriften wie epd medien, Blickpunkt:Film, tv diskurs, das Internetportal tittelbach.tv und diverse Tageszeitungen. Schwerpunktgebiete seiner Arbeit sind Fernsehfilme, Programmentwicklung, Formatfernsehen, Jugendmedienschutz und Kinderprogramme.