Rollenbilder und Geschlechterstereotypen in Musikclips und TV-Shows

Zur FSF-Prüferfortbildung am 21. März 2014 in Berlin.

Claudia Mikat, Leiterin der FSF-Programmprüfung und hauptamtliche Vorsitzende in den Prüfausschüssen (c) FSF
Claudia Mikat, Leiterin der FSF-Programmprüfung und hauptamtliche Vorsitzende in den Prüfausschüssen (c) FSF

Ausgerechnet jugendaffine Programme vermitteln extrem sexistische Zuschreibungen in Bezug auf das, was Weiblichkeit bzw. Männlichkeit ausmacht. Das belegte die Auswahl an Musikclips, mit der das Thema eröffnet wurde.

Die Kulturwissenschaftlerin Sonja Eismann bezog sich in ihrem anschließenden Vortrag auf diese Bilder und bewertete die „übersexualisierte Darstellung von weiblichen Stars“ als hinderlich für die „Selbstermächtigung“ von Mädchen und jungen Frauen.
Eismann benannte „gängige Verfahren der Geschlechtermarkierung“, wie z. B. Techniken der Kameraführung, und verwies in ihrer inhaltlichen Analyse auch auf interessante ironische Brechungen. Während beispielsweise Tyga in „Make It Nasty“ wenig mehr anbietet als eine pornografisch anmutende Fantasie, zeigt der Blick auf üppige Hinterteile farbiger Frauen in Major Lazers „Bubble Butt“ auch einen „Ausbruch aus der Schlankheitsmatrix“ und ihren „disziplinierten weißen Körperbildern“. Eismann typologisierte verschiedene Rollenbilder in Musikszenen und endete beim positiven Beispiel des „queer hip hop“. Unter Jugendschutzaspekten benannte sie ein „Ensemble von Anforderungen“, die für pubertierende Mädchen alle in die gleiche Richtung wiesen, als Problem, zumindest solange nur wenige Gegenbilder präsent seien und „dissidente Räume“ fehlten.

Tanja Witting, Professorin für Mediennpädagogik (c) FSF
Tanja Witting, Professorin für Mediennpädagogik (c) FSF

Im Vortrag von Tanja Witting, Professorin für Medienpädagogik an der Ostfalia-Hochschule, ging es um die Entwicklung der Geschlechtsidentität, die „ein lebenslanger Prozess“ ist. Während Kleinkinder noch davon ausgehen, dass das Geschlecht möglicherweise verändert werden kann, fordern Vorschulkinder bereits die rigide Anwendung von Geschlechterstereoptypen, weil das ihrem Bedürfnis nach Orientierung entspricht – nur für die eigene Person sehen sie es nicht ganz so eng. Im Laufe des Grundschulalters werden starre Zuschreibungen dann allmählich flexibilisiert, weshalb erlebte Vielfalt nun auf fruchtbaren Boden fällt. In der Jugend gewinnt die „Geschlechtsvariable innerhalb des eigenen Identitätskonzepts“ an Bedeutung. Die Selbstwahrnehmung und -bewertung orientiert sich nun am Feedback der Pears, Castingformate aller Art stehen hoch im Kurs, und die „Sexiness als kulturelle Praxis“ verfestigt sich. Auch Witting nahm eine Beeinträchtigung Heranwachsender durch kumulative Effekte an und vermisste im Programmangebot der Medien „Vorbilder des gelingenden Andersseins“.

Prof. Joachim von Gottberg, Geschäftsführer Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V.(c) FSF
Prof. Joachim von Gottberg, Geschäftsführer Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V.(c) FSF

Anschließend stellte Anke Bergmann, Formatforscherin und FSF-Prüferin, die Inszenierung von Gender in internationalen Formaten vor, darunter die dänische Show „Blachmann“. Hier sitzen zwei korrekt gekleidete Männer auf einem Sofa und kommentieren den Körper der vor ihnen stehenden, nackten Frau. Der Sexismusvorwurf wird von einer selbstbewussten Dänin mit der Bemerkung gekontert, sie zeige nur ihrem Körper, die Männer zeigten Emotionen – weshalb sie die eigentlich Nackten seien. In Brasilien gilt die TV-Wahl des schönsten Frauenpos als Familienprogramm, und in der Show „Pânico na band“ fügen sich Frauen unter Anleitung von Männern Schmerzen zu. Dieses Comedyformat würde bei der FSF als Verstoß gegen die Menschenwürde diskutiert werden.

Susanne Bergmann, Hauptamtliche Prüferin FSF © FSF
Susanne Bergmann, Hauptamtliche Prüferin bei der  FSF © FSF

In der abschließenden Talkrunde unterstützte Andreas von Hören, Medienpädagoge und FSF-Prüfer, die Einschätzung, dass eine negative Wirkung von sexistischen Rollenbildern unterschätzt werde, sowohl für Mädchen als auch für Jungen.

Andreas von Hören, Medienpädagoge und Prüfer FSF (c) FSF
Andreas von Hören, Medienpädagoge und Prüfer FSF (c) FSF

 

v.li. Dr. phil. habil. Gerd Hallenberger, Tanja Witting, Sonja Eismann

v.li. Dr. phil. habil. Gerd Hallenberger, Tanja Witting, Sonja Eismann (c) FSF

Die FSF kann das Problem der kumulativen Effekte aufgrund der Einzelfallprüfungen zwar nicht lösen, aber die Prüferinnen und Prüfer werden nach dieser interessanten Fortbildung wohl wieder sensibler über eine möglicherweise beeinträchtigende Wirkung von Sexismus diskutieren.  

Prüferfortbildung 2014 (c) FSF
Prüferfortbildung 2014 (c) FSF
Prüferfortbildung 2014 (c) FSF
Prüferfortbildung 2014 (c) FSF

Über Susanne Bergmann

Susanne Bergmann ist Dozentin und Autorin, u.a. für den Kinderfunk von rbb und dlr. Seit 1995 Prüferin bei der FSF. Seit 2020 Ehrenamtliche Richterin am Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.