Schuldgefühle suchen ihren Weg in der Soprano-Familie

Unter den Titeln The Sopranos – Schuld ohne Sühne? Die Moral der Mafia und Die Moral des Soziopathen erschienen bereits in den vergangenen Tagen Teil eins und zwei der neuen Blog-Reihe Moral in Serien. Heute nun Part drei und ein Fazit des Autors für die Serie The Sopranos. Im Mai folgt die Fortsetzung – dann wird sich Werner C. Barg in der tv diskurs 2/2014, und hier im Blog, der Moral in Breaking Bad widmen.

Schuldgefühle suchen ihren Weg in der Soprano-Familie

Nachdem er den Mord an der „Ratte“ begangen hat, versucht Tony in der Episode Reise in die Vergangenheit (Staffel 1, Episode 5), mit Ausflüchten und Notlügen sein eigentliches Tun gegenüber seiner Tochter Meadow zu verschleiern. Sie spürt, dass er ihr ein grausames Geheim-nis verschweigt. Sie wird später auf T.’s Mafiamachenschaften mit Depression, Rückzug, schließlich mit Flucht aus dem Elternhaus reagieren.
Ihr Bruder A. J. verhält sich dagegen zunächst über längere Zeit gegenüber dem „Business“ des Vaters gleichgültig, dann zeigt er erste Anzeichen von Panikattacken wie sein Vater, gerät schließlich in eine aggressive Schulgang und wird dann depressiv. Die Depression mündet in Staffel 6.2, Episode 7 in einem äußerst brutalen Versuch von Selbstmord, den Tony vereitelt.
Tonys Frau Carmela schließlich – die einzige, die halbwegs um die schrecklichen Taten, die ihr Mafiosi- Ehemann begeht, weiß – wählt wiederum einen anderen Weg, um mit ihren Schuldgefühlen umzugehen: Sie sucht die Nähe zur Religion, um Abbitte für ihre Schuldgefühle zu erbeten. Gleichzeitig lässt sie sich aber von Tony mit materiellen „Wohltaten“ umschmeicheln und genießt das luxuriöse Leben, das er ihr bieten kann – nur und gerade, weil er Mafiosi ist.
So trennt sie sich schließlich auch nicht aus moralischer Abscheu vor T.’s Taten, sondern wegen dessen zahlloser Seitensprünge von Tony (vgl. Staffel 4, Episode 13). Doch am Ende kehrt sie zu ihm zurück. Zu verlockend ist der Wohlstand, den er ihr bietet. Zu geschickt hat der Soziopath Tony es verstanden, sie und ihr Umfeld zu seinen Gunsten zu manipulieren. Durch die Darstellung der unterschiedlichen Reaktionen der Familienmitglieder wie auch weiterer Figuren – etwa die Drogensucht Christophers oder der Versuch seiner Freundin Adriana, sich aus der Spitzeltätigkeit für das FBI zu befreien – verstärken die Sopranos-Macher die schuldhaften Verstrickungen der Hauptfigur, die sich schließlich auch in der brutalen Ermordung Christophers entladen, weil dieser T.’s Führungsanspruch angezweifelt hatte.

Fazit

Tony Soprano und die kriminell verstrickten psychopathischen Figuren, die ihn umgeben, sind Verdammte.

James Gandolfini als Tony Soprano (c) HBO
James Gandolfini als Tony Soprano (c) HBO

Tony könnte sich und seine Familie nur erlösen, wenn er mit der Mafia brechen würde, was allerdings außerhalb seiner Verhaltensoptionen liegt. Er ist voller Schuld, doch ohne jede Reue.
In der pessimistischen Perspektive der Serie gibt es für ihn keine Rettung. Seine Taten bleiben ungesühnt. Höchstens ein weiterer Mafiafememord – dies legt der offene Schluss der Serie nahe – könnte Tonys Taten im Gesetz der Mafia sühnen.
Dennoch folgen wir Zuschauer ähnlich wie die Psychologin Dr. Melfi mit großer Faszination dem Werdegang von T. und Tony über einige Jahre. Auch wir sind dem psychopathischen Muster auf den Leim gegangen, haben durch Gandolfinis differenzierte Verkörperung von Tony und T. vielleicht doch noch eine Rettung erwar-tet oder das Zerbrechen der Figur, die an ihren Taten leidet wie Raskolnikov in Dostojewskis Schuld und Sühne.
Doch die Moral der Serie gibt solche Hoffnung nicht her. Gängige moralische Muster der Dramaturgie von US-Gewaltfilmen, in der gewalttätige Helden aus durchaus ehrenwerten Motiven mit bösen Methoden noch bösere Bösewichter zur Strecke bringen, greifen hier kaum noch, ja, werden etwa in der Ermordung des üblen Kerls Ralphie wegen T.’s Liebe zu einem Rennpferd geradezu ad absurdum geführt.
So haben The Sopranos zwar im „langen Atem“ des Erzählens und in der Verknüpfung von „objektiver“ Erzählung, Träumen und Ich-Perspektive der Hauptfigur (in den Therapiesitzungen) Bezüge zum Roman des 19. Jahrhunderts. Verbindungen mit den moralischen Auflösungen der Geschichten von einst bestehen dagegen kaum noch. Die Serie The Sopranos ist von einer Moralität der Morallosigkeit dominiert, durch die die Macher dem mittelständischen Überlebenskampf in der modernen Gesellschaft einen realistischen Spiegel vorhalten.

Dieser Beitrag ist in der aktuellen tv diskurs erschienen und steht in voller Länge auf tvdiskurs.de zum Download zur Verfügung. Wer die preisgekrönte Serie noch nicht kennt, kann sich ab dem 27. März selbst ein Bild machen. Sky Atlantic strahlt die erste und zweite Staffel ab diesem Datum in der Wiederholung aus.

Über Werner C. Barg

Dr. Werner C. Barg ist Autor, Produzent und Dramaturg für Kino und Fernsehen. Außerdem ist er Regisseur von Kurz- und Dokumentarfilmen sowie Filmjournalist. Seit 2011 betreibt er als Produzent neben seiner Vulkan-Film die herzfeld productions im Geschäftsbereich der Berliner OPAL Filmproduktion GmbH. Zusätzlich engagiert sich Werner Barg als Honorarprofessor im Bereich Medienwissenschaft der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. An der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg vertritt er die Professur „Audiovisuelle Medien“.