Zwischen Utopie und Dystopie

Medienpädagogische Perspektiven für die digitale Gesellschaft

GMK-Forum Kommunikationskultur 2019

Traditionell am dritten Wochenende im November traf sich die muntere medienpädagogische Szene zur alljährlichen Bestandsaufnahme, zur gegenseitigen Inspiration und zum Feiern der persönlichen Begegnung auf Augenhöhe. Tagungsort war diesmal München. Das Programm war bunt und dicht. Viele Workshops liefen parallel, doch die kompakten Vorträge, die diesmal Impulse hießen, boten eine gute Basis für Gespräche. Matthias Rath von der PH Ludwigsburg durchpflügte die Geschichte der Bildung und analysierte die aktuelle Lage kulturgeschichtlich. Eine Konstante ist, dass Pädagoginnen und Pädagogen nur eine vage Darstellung davon haben können, für welche Zukunft sie ihre Schützlinge rüsten müssen. Doch auch im aktuellen „Jahrhundert der Mediatisierung“ geht es darum, grundlegende Werte wie Freiheit, Individualität und Menschenwürde durch Erziehung zu gewährleisten.

Insgesamt wurde die Tagung bereichert durch den Blick auf andere Disziplinen. Bereits am ersten Abend gab es ein Gespräch mit Science-Fiction-Autoren und der Regisseurin des Dokumentarfilms Hi AI, der Roboter als Familienmitglieder zeigt.

Auch die Formen der Darbietung waren experimentell. Gleich drei Mutige stellten sich der Herausforderung eines Pecha Kucha-Vortrages und referierten in den vorgegebenen 6 Minuten, 40 Sekunden und 20 Folien, über Digitalisierungsnarrative.

Prof. Dr. Katharina Zweig referierte klug und lustig in ihrem Impuls über die „entseelten Entscheidungen“ von Algorithmen und forderte mehr Transparenz und verbindliche Regeln. Sie empfahl, auch das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen, denn die Probleme der „indirekten Bezahlung“ mit Daten und Aufmerksamkeit entstünden auch dadurch, dass User für die Dienste, die sie nutzen, nichts zahlten. Diese Einschätzung teilte Prof. Martin Geisler, Spiel- und Medienpädagoge aus Jena, der verdeckte Kommerzialisierungstrategien in der digitalen Spielwelt problematisierte. In seinem Impuls ging es um die Weltaneignung durch Spiel, ob analog oder digital, und das entspannte Lernen aus Fehlern: „Wir irren uns empor.“ Spiel und Sprache spielten auf dem Forum in vielen Zusammenhängen eine Rolle.

Im Workshop von Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM), moderiert von Claudia Mikat und Björn Schreiber, ging es um den Jugendmedienschutz. Trotz fälliger Strukturreformen läuft vieles gut, doch die neuen Interaktions- und Kommunikationsrisiken werden noch zu wenig erfasst. Auch die Gewichtung von Schutz, Förderung und Teilhabe muss neu austariert werden, damit die Gefahr und der Jugendschutz nicht an verschiedenen Stellen lauern. Eine Utopie wäre es, das „Marktortprinzip“ durchzusetzen und die großen Plattformbetreiber für die Finanzierung von Jugendschutz und Medienbildung in die Pflicht zu nehmen. An guten medienpädagogischen Konzepten fehlt es nicht.

Der weite Bogen zwischen Utopie und Dystopie führte zu differenzierten Diskussionen. In einem Workshop ging es um Social-Scoring-Systeme in China, wo sich die All-in-One-App WeChat durchgesetzt hat. Die bequeme App wird den Bedürfnissen ständig angepasst und generationsübergreifend intensiv und für einfach alles genutzt. Während im Westen die so generierte Datenflut zur lückenlosen Überwachung als Orwellsche Dystopie gesehen wird, ist die Bewertung in China eher positiv, was nicht nur an fehlenden Informationen über problematische Auswirkungen liegt. Die Auswertung und Überwachung der Daten wird dort ähnlich achselzuckend akzeptiert wie hierzulande etwa die Schufa.

Ein Highlight des Forums war auch 2019 die Verleihung des Dieter Baacke Preises, eine bundesweite Auszeichnung für herausragende medienpädagogische Arbeit, den die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ausgelobt hatten.

Dieter Baacke Preisträger 2019, © Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK)

Die acht ausgezeichneten Projekte zeigen, wie methodisch vielseitig, visionär und gut vernetzt Medienbildung heute sein kann. Einen der Preise bekam die Jugendredaktion des Medienprojekt Wuppertal, die sich auf umweltpolitische Themen konzentriert. In den Videoclips werden aktuelle Social Media-Formate wie Challenges oder Hauls ironisch aufgegriffen. „Mediale Teilhabe, Selbstwirksamkeit und politisches Engagement gehen hier Hand in Hand“, lobte die Jury.

Zum Abschluss der Tagung wurde in der „Zukunftswerkstatt“ kollaborativ an medienpädagogischen Positionen gearbeitet. Eine bessere Vernetzung mit der Informatik und der kulturellen Bildung, mit Kunst und Musik wird angestrebt.

Weitere Informationen unter  www.gmk-net.de

Über Susanne Bergmann

Susanne Bergmann ist Dozentin und Autorin, u.a. für den Kinderfunk von rbb und dlr. Seit 1995 Prüferin bei der FSF. Seit 2020 Ehrenamtliche Richterin am Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.