Konfettireiches Kinderkino

Das KUKI Filmfestival 2019

 

November – das Jahr neigt sich dem Ende, die Natur versetzt sich langsam in den Winterschlaf und in ganz Deutschland wird es ruhiger. Ganz Deutschland? Nein, ein von unbeugsamen Filmfans bevölkertes Dorf namens Berlin hört nicht auf, der einschläfernden Herbststimmung zu trotzen. Denn auch in diesem November hieß es wieder Licht aus, Film ab für das Internationale Kurzfilmfestival für Kinder und Jugendliche, KUKI. Zum zwölften Mal feierte diese außergewöhnliche Veranstaltung die „Kurzen“ – Menschen sowie Filme.

Das KUKI gehört zum Internationalen Filmfestival INTERFILM. Dieses wurde bereits 1981 laut Festivalhomepage „in den besetzten Häusern Berlin-Kreuzbergs“ gegründet. 2008 war das KUKI dann gewissermaßen den „Kinderschuhen“ der einfachen Festivalkategorie entwachsen und trat erstmals als ein eigenständiges Festival hervor! Seitdem präsentiert es ein breit gefächertes Programm von außergewöhnlichen Kurzfilmen. Ob animiert oder realistisch, lustig oder ernst, die Kinder und Jugendlichen sollen mit Filmen in Kontakt kommen, die sie faszinieren, inspirieren und herausfordern, wie Festivalleiterin Monica Koshka-Stein uns im Gespräch bestätigte. Aber auch Hoffnung sei in ihren Augen eine wichtige Botschaft, die am Ende jedes Films stehen müsse, damit auch Filme ohne Happy End für Kinder verkraftbar seien. Dies sei, mit Blick auf ähnlich ausgerichtete Festivals wie der Sektion Generation der Berlinale, eine besondere Qualität des KUKI Festivals, das sich durch viel positives und konstruktives Feedback der Eltern und Erzieher Jahr um Jahr bestätigt.

Neben den regulären Wettbewerben präsentieren die Macher auch auf Altersgruppen und aktuelle Thematiken zugeschnittene Sonderprogramme, wie das Kita-Programm ab 4 Jahren, das Umweltprogramm ab 8 Jahren, die verschiedenen Sprachprogramme ab 14 Jahren und die Girls*- und Teenage Riot!-Reihen für Jugendliche ab 16 Jahren. Die regulären Wettbewerbe unterteilen sich in Altersgruppen von 6, 8, 10, 12 bis 14 Jahren und werden jeweils von Kinder- und Jugendjurys begleitet und z.T. selbst kuratiert – differenzierter als im Jugendmedienschutz derzeit praktiziert.

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KUKI Trailer 2019 from interfilm Berlin on Vimeo.

 

Licht aus, Film ab – die Eröffnung

Bereits der französische Eröffnungsfilm „Slurp“, der im Kita-Programm für Kinder ab 4 Jahren läuft, zeigt, um was es dem KUKI Filmfestival geht – Kindern mehr zuzutrauen! „Slurp“ ist ein ca. 4 Minuten langer Kurzfilm, der einen kleinen Jungen bei der Entwicklung einer Problemlösung beobachtet. Der Film erzählt dabei überwiegend nonverbal und regt den Zuschauer zum Mitdenken an. Der Humor ist unterschwellig, trifft jedoch bei dem überwiegend jungen Publikum genau ins Schwarze. Es wird gestaunt, gelacht und mitgefühlt, die Filmwirkung ist geradezu spürbar. Und vor allem ist es ein gutes Beispiel dafür, wie sich eine Filmgeschichte auch ohne die Überdeutlichkeit amerikanischer Kinderfilm-Blockbuster übertragen kann.

Nach der traditionell konfettireichen, offiziellen Eröffnung des Festivals wurde das Publikum wieder ins bunte Spektakel entlassen. Außerhalb des Kinosaals wurden die Familien von Geschenketischen verabschiedet, an denen sich Kinder noch eine Portion Popcorn und eine KUKI-Trinkflasche mitnehmen durften. Doch viel wertvoller ist etwas anderes, was die Kinder von dieser Eröffnung mitnahmen – Neugier auf das Medium Film und das beginnende Festival. In einigen Flurgesprächen konnte man die jungen Filmfans fleißig fragen hören zum Wie und Warum der Filmemacherbranche. Filmkompetenzvermittlungsauftrag Teil 1 – check!

 

Die Wettbewerbsprogramme

Ab 6 Jahren

Die Erwartungen, die der Spielort „Zeiss Großplanetarium“ weckte, konnte der überschaubare Kinosaal, in dem das Wettbewerbsprogramm für Kinder ab 6 Jahren dann letztlich stattfand, nicht unbedingt halten. Das schien den quirligen Schülerinnen und Schülern, die nach und nach den Saal füllten, jedoch nichts auszumachen. Neugierig und gespannt fanden sich die Schulklassen in ihren Kinosesseln ein und wurden mit Bewertungsbögen versorgt. Die Moderatorin führte die Kids mit Fragen und Aufforderungen durchs Programm. Dabei zeigte sich, dass augenscheinlich alle Kinder bereits Kinoerfahrung hatten, jedoch die meisten erstmals ein Filmfestival besuchten. Lauschte man den aufgeregten Gesprächen der kleinen Filmgäste oder spickte auf ihre Bewertungszettel, konnte man erkennen, was nicht verwunderte. Animierte Filme standen tendenziell höher im Kurs als die Realfilme. Umso überraschender ist es, das der Film Lucky Ticket von Andrey Naimanov letztlich den Kinderjurypreis im Wettbewerb der 4- und 6-Jährigen gewann. Ein komplexer Realfilm, der von der Emanzipation des kleinen Alyosha, seinem Mut, aber auch Leichtsinn, doch vor allem von seiner Fähigkeit zur Vergebung erzählt. Momente, die in einer Filmprüfung ernsthaft diskutiert worden wären, gab es wenige. Und jene Szenen, die diskutabel waren, wie beispielsweise die unkommentierte Darstellung des kleinen Alyoshas, der von einem Fremden im Auto mitgenommen wird, hat die Moderatorin vorbildlich im Nachgang mit dem Publikum aufgearbeitet. Auch an der Reaktion der Kinder ließen sich keine (über-) fordernden Szenen erkennen.

 

Ab 8 Jahren

Gut für das Festival, schlecht für die Recherche – die Vorstellungen des Wettbewerbs ab 8 Jahren waren komplett ausverkauft. Dies zeichnet zunächst das glücklicherweise große Interesse am Filmfestival ab und war insofern auch nicht allzu tragisch, weil die Filme Akkreditierten in einer Film Library zur Verfügung standen. Dabei wäre gerade bei diesem Programm besonders interessant gewesen, die Reaktionen des jungen Publikums live mitzuerleben. Es handelte sich nämlich um eine überaus starke Filmauswahl mit überraschenden Plot-Twists, komplexen Themen und großen Emotionen. Themen wie Konkurrenz, Fremdenfeindlichkeit und Verlust geliebter Menschen wurden gleichermaßen verständlich und kunstvoll verhandelt. Gewinner der Kategorie ab 8 und 10 Jahren wurde verdientermaßen der überaus emotionale Stop-Motion Film Teofrastus von Sergei Kibus.

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Teofrastus (trailer) from Nukufilm on Vimeo.

 

Ab 10 Jahren

Das Programm der ab 10-Jährigen bestand aus weniger Filmen mit durchschnittlich längerer Spieldauer, was mehr Raum für anschließende Gespräche schuf. Diese bestanden dann vor allem aus Lob der Kinder an die Filmemacherinnen und Filmemacher, den Erfahrungsberichten der Jungjury bei der Auswahl ihres Gewinnerfilms und einer ethischen Diskussion zum Thema Tierschutz und dem auch von Kindern betriebenen Sport des Bullenreitens, um das es in dem vom ZDF finanzierten Film Crowley – Cowboy up von André Hörmann geht. Aber auch die eigentliche Botschaft des Films, der Umgang des Protagonisten mit dem Tod seines Bruders und der Trennung seiner Eltern wurde im Nachgang diskutiert. Sieger der Herzen an diesem Nachmittag war jedoch der Film Turn it Around von Boaz Olander, der eine starke Botschaft gegen Rassismus vermittelte, die vom Publikum besondere Anerkennung erhielt. Der komplexeste Film, der vom Frauwerden in einer längst vergangenen Zeit handelte, Hinekura von Becs Arahanga, löste sowohl Interesse als auch leichte Überforderung aus, die nach bestem Gewissen im anschließenden Gespräch aufgearbeitet wurde.

 

Ab 12 Jahren

Diese Sektion erwies sich als durchaus repräsentativ für die Altersgruppe der 12-Jährigen, ein einziges „in between“. Was eigentlich ein spannender Grenzgang hätte werden können, wurde ein Kampf um die Aufmerksamkeit des zugegebenermaßen besonders unruhigen Publikums. Die soliden, aber weniger mitreißenden Filme des Programms leisteten vielleicht ihren Beitrag zur allgemeinen Ungeduld im Zuschauerraum. Diese Teens waren schwer zu beeindrucken.

 

Ab 14 Jahren

Was zu allererst bei der Zuschauergruppe des Wettbewerbs ab 14 Jahren auffiel, waren verblüffende Ähnlichkeiten zur Gruppe der ab 6-Jährigen: Ein großes Interesse, das eigene Wissen auszustellen, gepaart mit dem Wunsch, einen Lacher beim Sitznachbarn zu ernten. Der große Unterschied ist die bis dahin viel stärker ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit. Es wurde diskutiert, kritisiert und das stellenweise sowohl auf Deutsch, Englisch als auch, im Gespräch mit der angereisten Filmemacherin Bérangère McNeese, auf Französich. Die Filme gaben der Moderatorin eine gute Grundlage zur Interaktion mit den jungen Filmkritikern und waren offensichtlich im Stande, auch in abstrakten Darstellungs- und Erzählweisen die Lebenswelten dieser Altersgruppe zu repräsentieren. Der Grad der Abstraktion bekanntermaßen entwicklungsrelevanter Themen wie Sexualität, Freundschaft, Familie und vielem mehr war tatsächlich das, was die Filme vom bisherigen Wettbewerb unterschied und besonders machte. Vor allem das Gespräch mit der Macherin des Films Matriochkas – der letztlich auch den Jurypreis der Wettbewerbe ab 10 und 12 Jahren gewann – über das Tabu, als junge Frau den als natürlich angenommenen Kreislauf des Mutterwerdens möglicherweise unterbrechen zu wollen, gestaltete sich als besonders wertvoll.

 

Fazit mit Blick auf den Jugendmedienschutz

Bereits bei der Eröffnungsveranstaltung wurde klar, dass nicht nach den Regeln der klassischen Altersfreigaben gespielt wird. Alle ab 6-Jährigen waren dazu eingeladen, einen ersten Blick auf die volle Bandbreite des geplanten Programms zu werfen. Dabei wurden Filme aller Altersgruppen sowie Trailer der Sonderprogramme gezeigt. Zur Beruhigung aller bewahrpädagogisch orientierten Leser sei gesagt, dass es sich hierbei um Kurzfilme handelte, von denen trotz ihrer Orientierung an Ältere keine nachhaltige Ängstigung oder Desorientierung für Jüngere anzunehmen war. Die Auswahl der Filme als Vorgeschmack auf das Festival wurde gut bedacht getroffen.

Am Interessantesten für eine Betrachtung aus Sicht des Jugendmedienschutzes waren natürlich die im System der Altersklassifizierung unterrepräsentierten Gruppen der 8-, 10- und 14-Jährigen. Dies ließ auch die Filmauswahl erkennen, denn die Programme der Zwischengruppen überzeugten durch besonders vielschichtige Filme, die die Grenzen klassischer Altersklassen ausloten und ihre Zuschauer zum Weiterdenken anregten. Filme, die Themen für Ältere kindgerecht erzählten oder den Blick der Jungen komplexer wiedergaben.

Gerade mit Blick auf die Diskussionen im Nachgang der Filmsichtungen lässt sich einmal mehr feststellen, dass junge Zuschauer bereits kompetenter im Verständnis filmischer Erzählungen sind, als man es gemeinhin erwarten würde. Außerdem zeigt sich, dass selbst im Abstand von zwei Jahren deutliche Entwicklungsschritte zu erkennen sind, die gerade auch im Jugendmedienschutz nicht übersehen werden sollten. Die Freigabeentscheidung zwischen beispielsweise 6 und 12 Jahren wird zunehmend schwieriger, zurecht! Denn dazwischen liegen mindestens zwei weitere, recht trennscharfe Altersgruppen, die im jetzigen System benachteiligt und möglicherweise einer kontinuierlichen Weiterbildung ihrer Filmkompetenz beraubt werden. Daher kommt das KUKI seinem Auftrag, Kinder als Rezipienten ernst zu nehmen und als Festival einen Ort der Innovation und Interaktion zu schaffen in besonderem Maße nach.

 

Das Internationale Kurzfilmfestival für Kinder und Jugendliche Berlin, kurz KUKI, fand in der Zeit vom 3. bis 10. November in Berlin statt. Filmstills zu einigen Titeln finden sich auf der KUKI-Presseseite.

Über Janina Pickel

Janina Pickel ist Masterstudentin der Filmwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Im Februar 2018 wurde sie als ehrenamtliche Prüferin der FSK tätig und arbeitet seit Juni 2019 nebenbei als Filmvorführerin des F.W. Murnau Filmtheaters in Wiesbaden. In ihrer Bachelorarbeit zum Thema Der Horrorfilm für Kinder spiegelt sich ihr besonderes Interesse für mediale Grenzgänger und Themen des Jugendmedienschutzes wider. Dies bewog sie u.a. dazu, ein Praktikum bei der FSF zu absolvieren. Mittlerweile wurde sie auch zur Prüferin der FSF benannt.