Zur Prüferfortbildung der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) am 20. April 2015 in Berlin.
Thema der Prüferfortbildung waren Prüfentscheidungen zu Darstellungen von Selbstjustiz und Folter sowie die dabei unterstellte Genrekompetenz von Kindern und Jugendlichen, die es ihnen ermöglichen soll, problematische Szenen und Aussagetendenzen kritisch zu reflektieren bzw. als Fiction distanziert zu betrachten. Der sozialethisch desorientierende Gehalt entsprechender befürwortender oder verharmlosender Szenen und Plots wird darin gesehen, dass sie dem Rechtsstaatsprinzip – gemeint ist die Gesetzesbindung staatlichen Handelns um die Freiheit des Einzelnen zu sichern – widersprechen und damit im krassen Gegensatz zum Wertekonsens des Grundgesetzes stehen.
Selbstjustiz ist aus diesem Grund seit Jahrzehnten ein klassisches Jugendschutzthema; entsprechend gibt es eine kodifizierte Spruchpraxis. Die „Nahelegung von Selbstjustiz“ wird in § 18 Abs. 2 JuSchG genannt als eine der Fallgruppen jugendgefährdender Medien, die von der Bundesprüfstelle (BPjM) zu indizieren sind. Im Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) gibt es keine direkte Entsprechung dazu. Eine befürwortende oder verharmlosende Darstellung von Selbstjustiz wird von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) und der FSF in der Regel mit einer Altersfreigabe ab 16 Jahren oder höher (18 bzw. unzulässig) versehen.
Zu Folter gibt es keine gesetzliche Regelung; die Spruchpraxis geht dahin, Szenen sogenannter „harscher Verhörmethoden“ in Krimis für die Ausstrahlung zur Primetime zuzulassen da man davon ausgeht, dass Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren Ermittlertypen, die „in Ausnahmesituationen auch mal über die Stränge schlagen“ bereits kennen und als fiktional einordnen können. Entscheidend mitgeprägt wurde diese Spruchpraxis durch die Freigabe der Actionserie 24 ab 20.00 Uhr, teilweise mit Schnittauflagen. Seit ca. fünfzehn Jahren ist eine starke Zunahme an Folterdarstellungen in US-amerikanischen TV-Serien und Kinofilmen zu verzeichnen. Verstärkt foltern auch die Guten, oft mit Erfolg.
Heike Lesch, juristische Mitarbeiterin der Kanzlei „Bird & Bird“, Düsseldorf, stellte ihre Analysen der Spruchpraxis der FSF zu Folterdarstellungen, insbesondere zu der Serie 24 vor.
Die Untersuchung erfolgte im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojektes zur „Wiederkehr der Folter?“. Die Frage, ob eine schleichende Relativierung des bislang weithin akzeptierten Grundsatzes der absoluten Ächtung der Folter im Gange sei, die verschiedene gesellschaftliche Bereiche erfasst, bildete den Ausgangspunkt des Forschungsprojektes. Lesch sieht die 20.00 Uhr-Freigaben der FSF zu 24 entsprechend kritisch. Zwar setzten sich die Gutachten detailliert und differenziert mit den Folterdarstellungen auseinander und berücksichtigten deren „Unwertgehalt“, d.h. das sozialethisch desorientierende Potenzial einer Legitimierung von Folter im Kontext der Serie. Punktuelle relativierende Momente in den einzelnen Episoden würden jedoch gegenüber der Gesamttendenz der Serie, die Folter immer wieder als angemessenes, zielführendes Mittel inszeniert, zu stark in den Vordergrund gerückt bzw. überbewertet. Lesch bezweifelte, ob die „Genrekompetenz der 12-Jährigen“ sie wirklich dazu befähige, die problematischen Aspekte des häufigen Einsatzes von Folter als Verhörmethode in 24 angesichts aktueller terroristischer Bedrohungen mit hinreichender Distanz wahrzunehmen.
Dr. Senta Pfaff-Rüdiger, akademische Rätin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München, referierte über Bedingungen und Funktionen von Medien- und Genrekompetenz und Medialitätsbewusstsein.
Sie plädierte dafür, den Begriff der „Genrekompetenz“ im Hinblick auf die komplexere Vorstellung eines Medialitätsbewusstseins bei Kindern und Jugendlichen zu befragen. Insbesondere bezogen auf die Verarbeitung und Einordnung von Folterdarstellungen sei es nicht nur von Bedeutung, dass bestimmte Genremuster als solche erkannt werden könnten, sondern vor allem auch, dass andere, kritische Diskurse zu Folter und die realen Hintergründe bekannt seien. Pfaff-Rüdiger hob hervor, dass das Vorhandensein von Genrewissen bzw. die Vertrautheit mit einem Genre nicht notwendigermaßen dazu führe, dass Inhalte distanziert wahrgenommen und hinsichtlich ihrer Wirkmächtigkeit neutralisiert würden. Dies sei vielmehr auch eine Frage des emotionalen Involvements, welches die positive Bewertung des Wahrheitsgehalts tendenziell steigert.