Watch People die

Die Diskussionsplattform „Reddit“ sperrt ausschließlich für ihre deutschen Internetuser eines ihrer Unterforen, das den „charmanten“ und unzweideutigen Titel „Watch people die“ trägt. Ein Machwerk deutscher Jugendschutzinstitutionen?

Reddit – „Hab’s gelesen!“

Hinter der Bezeichnung der äußerst beliebten Plattform „Reddit“ verbirgt sich die Zusammensetzung der englischen Wörter „read“ (lesen) und „edit“ (bearbeiten) – phonetisch soll dies dem Ausspruch „read it“ („Hab’s gelesen!“) ähneln. Und damit ist die Spielart dieses Social-Media-Dienstes auch schon ganz gut umrissen – registrierte Nutzer können Inhalte einstellen, lesen, sehen, bewerten, kommentieren. Eigene Beiträge können durch externe Links oder durch eigene Posts in die von Reddit bereitgestellten und nach Themen sortierten „Subreddits“ (Unterforen) eingetragen werden. Ist kein geeignetes vorhanden, kann ein angemeldeter Nutzer ein neues Unterforum erzeugen.

© Cambodia4kids.org Beth Kanter: http://beth.typepad.com/beths_blog/2005/11/reddit_yet_cute.html + https://www.flickr.com/photos
© Cambodia4kids.org Beth Kanter

Ein Blick auf die Seite offenbart: Hier gibt es nichts, was es nicht gibt – oder anders: Hier gibt es wirklich alles zu sehen. Von Tierbaby-Bildern bis hin zu Foren, die der wissenschaftlichen oder auch politischen Diskussion dienen. So nutzte kein geringerer als der amtierende US-amerikanische Präsident Barack Obama die Plattform bei seinem letzten Wahlkampf. In dem Subreddit „AMA“ (Ask me anything) stellte er sich den Fragen interessierter Bürger. Bei Nutzerzahlen von rund sieben Millionen Besuchern/Monat (Stand: 11/2014) gibt es vermutlich deutlich weniger effektive Kanäle, seine Ansichten zu streuen und auf Stimmenfang zu gehen.

Subreddit „WatchPeopleDie“

Auch das Unterforum „Watch people die“ ist ein Auswuchs dieser Plattform. Es bedarf keiner großen Erklärung, was sich wohl hinter diesem Titel verbirgt – wie Menschen sterben, ist dort zu sehen. Beliebt sind Videos von Explosionen, Schießereien und Szenarien mit Polizeieinsatz. Aber seit kurzem, so berichtet die Presse, ist deutschen Nutzern dieses fragwürdige Sehvergnügen genommen. Das Unterforum ist nicht mehr einfach per Standard-URL aufrufbar, wohingegen der Zugriff aus anderen Ländern weiterhin möglich ist.

Screenshot der Fehlermeldung: 451 UnavailableBekannt sind derartige Sperren primär aus anderem Zusammenhang, bspw. dem Urheberrechtsstreit zwischen GEMA und YouTube. Die Verwirrung unter den Nutzern ist dementsprechend groß, zumal eine Stellungnahme der Betreiber vage bleibt – „bzgl. des Unterforums „Watch People Die“ sei man einer stichhaltigen rechtlichen Anfrage aus Deutschland nachgekommen“. Nutzer mutmaßten, dass die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) für die Sperre verantwortlich sei. Doch dies trifft nicht exakt zu. Richtig ist, dass die BPjM an der Sache beteiligt ist. Auf Nachfrage des Nachrichtenmagazins Der Spiegel bestätigt die stellvertretende Vorsitzende der BPjM, Petra Meier, dass die Prüfstelle Reddit über ein eingeleitetes Indizierungsverfahren informiert hätte und dem Unternehmen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde.

Indizierungsverfahren bei der Bundesprüfstelle

Doch wie genau funktioniert ein Indizierungsverfahren und welche Rechtsfolgen gehen mit einer erfolgten Indizierung einher? Die BPjM wird auf Antrag einer dazu vom Gesetz ermächtigten Stelle tätig – in Deutschland sind ca. 800 Stellen antragsberechtigt, angefangen beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, über die Obersten Jugendbehörden der Länder, bis hin zu den Jugendämtern. Privatpersonen, die eine Jugendgefährdung bei einem Medium vermuten, sind nicht antragsberechtigt. Ihnen empfiehlt die Bundesprüfstelle, sich an das nächste Jugendamt zu wenden.

Ausdrücklich im Gesetz sind folgende Beispielsfälle eines jugendgefährdenden Mediums genannt, die eine Indizierung nach sich ziehen: Verrohend wirkende Medien und solche, die zu Gewalttätigkeit, zu Verbrechen oder zu Rassenhass anreizen. Darüber hinaus selbstzweckhafte, detaillierte Gewaltdarstellungen und Medien, die Selbstjustiz als einzig bewährtes Mittel zur Durchsetzung der vermeintlichen Gerechtigkeit nahelegen (vgl. § 18 Jugendschutzgesetz (JuSchG)).
Bei einer Indizierung erfolgt die Aufnahme in die sog. Liste  – bekannt auch als „Index“ (Vgl. § 24 JuSchG). Die Liste ist in vier Teile gegliedert. Für Telemedien gilt: Die BPjM führt in Teil C alle indizierten Telemedien auf, soweit diese nach Einschätzung der BPjM keinen strafrechtlich relevanten Inhalt haben. In Teil D der Liste werden alle Telemedien eingetragen, die sowohl jugendgefährdend sind als auch einen möglicherweise strafrechtlich relevanten Inhalt haben. An eine erfolgte Indizierung sind zahlreiche Verbreitungs- und Werbeverbote und -beschränkungen gebunden (vgl. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 11, Abs. 2 S.1 Nr. 2, Abs. 3 JMStV). Diese Beschränkungen können jedoch nur gegenüber inländischen Anbietern durchgesetzt werden

Telemedienangebote ausländischer Anbieter – nutzerautonome Filterprogramme

Sind Telemedien von ausländischen Anbietern in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen worden, so können diese selbst entscheiden, ihr Angebot zu ändern. Reddit, mit Sitz in den USA, muss also die Sperre selbst initiiert haben.
Die Aufnahme in die Listenteile C und D dient in diesen Fällen jedoch dazu, für Filterprogramme zur Verfügung gestellt zu werden. So teilt die Vorsitzende der Bundesprüfstelle diese Listenaufnahme den zuständigen Selbstkontrollen für Telemedien mit, die diese Informationen dann an Hersteller von Filterprogrammen weiterleiten. Die Aufnahme ist insbesondere in sog. nutzerautonome Filterprogramme vorgesehen, die nach dem Prinzip des „site-blocking“ arbeiten und das nutzerseitige Aufrufen in das System einbezogener Angebote verhindert. In diesem Zusammenhang wurde von der BPjM in Kooperation mit der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) ein BPjM-Modul entwickelt, das sich als ein Filtermodul (Blacklist) in Filterprogramme integrieren lässt. Somit werden URL-Adressen von indizierten Internetangeboten in den Suchergebnissen der beteiligten Suchmaschinen nicht mehr aufgelistet.

Wandel der Firmenpolitik

Möglicherweise beruht die Sperre jedoch nicht nur auf dem Hinweis der Bundesprüfstelle, sondern auch auf einem gegenwärtigen Wandel in der Firmenpolitik des Unternehmens. Lange galt die Devise „Anything goes“ – selbst Foren mit kinderpornografischem Material wurden unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit toleriert. Doch nun tobt ein Richtungsstreit in der Führungsebene dahingehend, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit zu ziehen sind. Soll weiterhin alles erlaubt bleiben oder soll hart durchgegriffen werden, um für Werbekunden – langfristig will sich Reddit für Branded Advertising öffnen – attraktiv zu werden.
Der Mitbegründer der Plattform, Steve Huffmann, gehört jedenfalls zur Hardliner-Fraktion – er stellte bereits Mitte Juli dieses Jahres klarere Regeln für den Umgang mit pornografischen, illegalen und hasserfüllten Subreddits auf. Nunmehr verschärfte Huffmann die Richtlinien erneut – gesperrt wurden in diesem Zuge mehrere offene rassistische Foren – darunter u.a. das vielfach kritisierte Forum „Watch niggers die“.

Ob aus moralischen oder aus ökonomischen Aspekten heraus, es bleibt abzuwarten, wie die Plattform künftig mit ihr unliebsamen Inhalten umgeht. Möglicherweise regt sich aber auch die immense Fangemeinde, die sich – in ihrer Meinungsfreiheit beschränkt – auf ihrem Spielplatz kontrolliert sieht.

Weitere Artikel aus der Kategorie Rechtsreport hier und auf unserer Website (tv diskurs).

Über Anke Soergel

Studierte Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln. Im Rahmen ihres Referendariats arbeitete sie u.a. bei der Verwertungsgesellschaft VG Bild-Kunst sowie bei der Produktionsfirma Zieglerfilm Köln GmbH. Als Volljuristin nahm sie 2008 ihre Tätigkeit als Referentin für Jugendschutzrecht bei der FSF auf. Sie betreut u.a. den Rechtsreport in der tv diskurs.

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4 Kommentare zu “Watch People die

  1. aus dem text: „Somit werden URL-Adressen von indizierten Internetangeboten in den Suchergebnissen der beteiligten Suchmaschinen nicht mehr aufgelistet.“

    suchmaschinen = „nutzerautonome Filterprogramme“ ???

    1. Suchmaschinen sind keine nutzerautonomen Filterprogramme. Suchmaschinen sind z.B. Google, Bing, Ask.com u.a. Siehe auch: https://www.fsm.de/selbstverpflichtungen/suchmaschinen
      Filterprogramme sind z.B. das Jugendschutzprogramm JusProg. Zum Suchmaschinenfilter werden folgende Hinweise auf der Website von JusProg gegeben:
      „Die großen Suchmaschinen Google, Bing von Microsoft und Yahoo (…) haben jeweils Einstellmöglichkeiten für „SafeSurf“, mittels derer man die Suchergebnisse nach Jugendschutz-Gesichtspunkten filtern kann.“ Quelle: http://www.jugendschutzprogramm.de/faq4.php#glossar_sumafilter
      Mehr zur Funktionsweise der Jugendschutz-Filtersoftware JusProg hier: http://www.jugendschutzprogramm.de/software.php + http://www.jugendschutzprogramm.de/faq4.php und zur Funktionsweise des BPjM-Moduls hier: http://www.bundespruefstelle.de/bpjm/Aufgaben/Listenfuehrung/bjpm-modul.html.

      Wir hoffen, mit diesen Informationen weitergeholfen zu haben.

      1. ja wenn die suchmaschinen keine nutzerautonomen filterprogramme sind und im gesetz steht, dass die liste von der bundesprüfstelle nur von nutzerautonomen filterprogramme verwendet werden darf (24V juschg) und bei verstoss gibt es ein bussgeld (28III2), warum bekommen suchmaschinen diese liste??

        1. Klarer ausgedrückt: unter die „nutzerautonomen Filterprogramme“ im Sinne des § 24 Abs. 5 JuSchG fallen auch die von Suchmaschinenbetreibern eingesetzen Filterprogramme. Die Weitergabe der „Liste“ (durch die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia (FSM)) an die Betreiber von Suchmaschinen zur Implementierung in ihre Angebote erfolgt damit „zum Zwecke der Aufnahme in nutzerautonome Filterprogramme“.
          Diese Vorgehensweise entspricht auch der Intention des Gesetzgebers, einen möglichst effektiven Jugendschutz trotz fehlender Einflussnahmemöglichkeit auf ausländische Anbieter zu verwirklichen.

          Bei weitergehendem Interesse finden Sie beigefügt den Artikel von Herrn Prof. Dr. Karsten Altenhain Selbstkontrolle Suchmaschinen. Zur Zulässigkeit von Mitteilungen der BPjM an die FSM über indizierte ausländische Telemedien zwecks Ausfilterung durch Suchmaschinen
          http://www.jura.hhu.de/fileadmin/redaktion/Fakultaeten/Juristische_Fakultaet/Altenhain/Forschung/Altenhain__BPjM-Aktuell_2012__Heft_1__3.pdf