Dem Hass begegnen

In letzter Zeit bemerke ich eine beunruhigende Tendenz an meinem Online-Verhalten: Bevor ich so manchen Tweet absende, überlege ich kurz, ob ich die Reaktionen ertrage, die er auslösen könnte. Wurde Twitter noch vor einigen Jahren als Plattform belächelt, auf der sich Leute über ihr Mittagessen unterhalten, ist sie heute sehr politisch. Sie erlaubt es, dass Menschen ohne Zugang zu professionellen Medien Inhalte und Meinungen posten. Im Grunde genommen ist das ein basisdemokratischer Traum – und noch dazu die Möglichkeit, seine eigene Wahrnehmung von der Welt stets zu hinterfragen und zu erweitern. Doch auf jede Meinungsäußerung, auf jeden Tweet kann auch Hass folgen. KollegInnen und FreundInnen von mir werden teilweise täglich mit Hassbotschaften überschüttet, sie werden beschimpft und bedroht. Nicht nur bei Twitter, sondern auch in anderen sozialen Netzwerken. War schon immer der Ton in so manchen Foren rauer, werden mittlerweile teilweise sämtliche Grenzen überschritten. Die Plattformbetreiber gehen kaum dagegen vor, sicherlich gibt es Regeln, aber bekanntermaßen wird man bei Facebook eher für eine nackte weibliche Brust als für eine Vergewaltigungsdrohung gesperrt. Weiterhin bin ich überzeugt, dass es vor allem an den Betreibern liegt, etwas gegen Hass zu unternehmen. Aber auch jede/r von uns kann etwas dagegen tun. Zivilcourage ist gefragt – und hier setzt nun ein Projekt vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) an: LOVE-Storm heißt es, eine Trainings- und Aktionsplattform im Netz.

LOVE-Storm setzt auf vier Funktionen: Melden, Lernen/Trainieren, Hass stoppen/Aktionen und Community-Ressourcen. Zum Melden ist kein Account nötig, stattdessen kann man auf der Seite von Love Storm ein Online-Formular ausfüllen und einschüchternde Kommentare melden. Dann prüfen Love-Storm-Mitglieder die Meldung und eröffnen eine Love-Aktion, die den Hass stoppen soll. Dazu wird der Angegriffene gestärkt und unterstützt, außerdem werden andere Menschen mobilisiert und es soll klar gemacht werden, dass der Angreifende eine Grenze überschritte hat. Einfacher gesagt: Die Aktion begegnet dem Shitstorm mit einem Lovestorm.

Damit man an einer solchen Aktion teilhaben kann, muss man sich zunächst einen Account zulegen und ein Online-Training absolvieren. Dazu stehen auf der Plattform Trainingstermine, an denen man in einer Kleingruppe übt, wie man sich in bestimmten Hass-Situation verhalten und anderen helfen kann. Außerdem kann man auch zusammen mit FreundInnen trainieren, sofern man sich als Gruppe anmeldet. Für das eigenständige Lernen bietet die Seite zudem ein E-Learning-Tool an, das vor allem mit Begrifflichkeiten und Funktionsweisen vertraut macht.

Allerdings ist dafür sehr viel Eigeninitiative nötig.

Flyer zur Multiplikatoren-Ausbildung - per Click erfolgt Weiterleitung zum PDF
Flyer zur Multiplikatoren-Ausbildung – per Click erfolgt Weiterleitung zum PDF

Ein weiteres Angebot auf Love Storm, sich als MultiplikatorIn ausbilden zu lassen. Zielgruppe sind „Lehrkräfte, Schulsozialarbeitende, Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit, MitarbeiterInnen der außerschulischen Bildungsarbeit und Gewaltprävention, ErzieherInnen und alle Interessierten“. Im 1-tägigen Workshop wird in die zentralen Bereiche der LOVE-Storm-Plattform eingeführt. Im Mittelpunkt stehen die Vermittlung von Grundkenntnissen der Anwendung, das Kennenlernen von Gegenredestrategien sowei ein direktes Training am Laptop oder Tablet.

Damit kann zweierlei erreicht werden: Manche Erwachsene wissen vielleicht gar nicht, wie sie Jugendlichen helfen sollen, dem Hass im Internet zu begegnen und hier bekommen sie Hilfestellungen. Außerdem können sie das Projekt verbreiten. Denn letztlich funktioniert es nur, wenn möglichst viele mitmachen. Aber ich glaube trotz allen Erfahrungen immer noch, dass die Menschen, die dem Hass etwas entgegensetzen wollen – in allen Bereichen – in der Mehrheit sind.

Über Sonja Hartl

Sonja Hartl studierte Deutsche Sprache und Literatur, Medienwissenschaft und Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Marburg und schreibt seither als freie Journalistin über Film, Fernsehen und Literatur. Außerdem betreibt sie das Blog Zeilenkino und ist Chefredakteurin von Polar Noir.