Seit Anfang des Jahres sorgt die Streaming-Plattform YouNow für erheblichen Diskussionsbedarf. Gestern erschien bereits der erste Teil unsere YouNow-Reihe Think before you stream!
Teil 2
Oder was uns YouNow eigentlich zeigt…
Der reine Aufschrei, dass YouNow viel Gefahrenpotenzial birgt, ändert bekanntlich nichts daran, dass die App gerade weiterhin deutsche Kinder- und Jugendzimmer überschwemmt und den Alltag junger Menschen á la Big Brother an den unterschiedlichsten Orten dokumentiert. Daher meine Bitte an alle, die mit YouNow in Berührung oder darüber ins Gespräch kommen: Greift das Thema auf, ob beim Essen in der Familie, im Klassenzimmer und im Lehrerkollegium – und reagiert damit proaktiv auf das Geschehen, statt nur darüber zu mutmaßen und zu berichten.
Anbei einige ausgewählte Punkte, die im Gespräch miteinander für Jung und Alt sinnvoll und nötig sind:
… im Gespräch mit Schülerinnen und Schüler:
- Urheberrecht: Wenn Du streamst und dabei Musik mitläuft oder Du zu einem Song singst/tanzt, der dir gut gefällt, dann verstößt Du gegen das Urheberrecht. Daher solltest Du dich genau informieren, bevor Du bei YouNow einfach loslegt. Das machen die YouTube-Stars genauso. Vielleicht informiert Ihr euch im Unterricht gemeinsam darüber, was die GEMA ist und wieviel man dort so zahlt, wenn man ein Lied spielen will.
- Recht am eigenen Bild: Das Recht am eigenen Bild – das Du inzwischen aus den sozialen Netzwerken kennen solltest – bezieht sich auch auf bewegte Bilder, also auch auf Videos oder Streams. Wenn Du also wie wild im Klassenzimmer oder auf dem Schulhof streamst, dann musst Du jeden, der im Bild zu sehen ist, vorher fragen. Das ist nicht nur fair, sondern ein wichtiges Persönlichkeitsrecht in Deutschland.
- Fragen über Fragen: Die Sessions bei YouNow erinnern manchmal ein bisschen an psychologische Kriegsführung. Man stellt einfach so viele Fragen in kurzer Zeit, dass Du irgendwann nur noch mechanisch antwortest, um ja alles abzuarbeiten – und gar nicht merkst, dass Du gerade etwas total Persönliches gesagt hast, das gerade mal die beste Freundin weiß. Also: lies Dir die Fragen genau durch und antworte nach der Devise: Das dürfte eine fremde Person auch von mir wissen. Wenn nicht? Dann ignoriere solche Fragen. Denn diejenigen, die gerade kommentieren, sind keine Vertrauten. Also: wenn schon YouNow, dann Kopf an! Now!
- Kommentare, Likes und Sprüche: YouNow lebt ja regelrecht davon, dass man Kommentare und Likes bekommt. Das geht runter wie Öl, wenn ständig alle schreiben, wie süß oder hübsch man ist. Sicherlich tun Komplimente und „Fan“-Bekundungen gut, aber sie sollten Dich nicht dazu verleiten, zu weit zu gehen.
Mutproben, die wirklich gefährlich sind oder absurde Aufgaben erfüllen? Keine gute Idee! Wenn Du Beiträge schräg oder unheimlich findest, oder Du zwischen den Zeilen merkst, dass da jemand so tut als ob (z.B. ein Erwachsener), dann schalte einfach mal eine Runde aus.
Woran merkt man das? Diskutiert diese Frage mit der Klasse! Melde die Person und schau in Zukunft genauer hin.
Sicherlich sind auch Kommentare dabei, die richtig fies und verletzend sind – das kann ganz schön wehtun. Bleib´ dann bei Dir und reagiere nicht darauf. Es gibt leider einige Menschen, die das Netz nutzen, um sich richtig daneben zu benehmen. Bei YouNow ist das nicht anders.
Wie kann man es schaffen die Fragen bei YouNow souverän zu meistern? Und wie schütze ich mich vor Hatern? Welchen Ehrenkodex muss es geben, wenn man bei YouNow bei anderen kommentiert und Fragen stellt? Diese Themen kann man in der Klasse diskutieren.
… Für Eltern im Gespräch mit den eigenen Kindern:
- YouNow ist für Kinder unter 13 Jahren nicht erlaubt. Die Macher von YouNow haben diese Regelung nicht nur gemacht, sie befürworten sie auch explizit. Daher ein Appell an alle Eltern: Prüfen und/ oder erfragen Sie in regelmäßigen Abständen, welche neuen Apps sich auf Ihren „Familientablets“ tummeln, damit Sie im Gespräch bleiben. Das ist nicht im Sinne einer Kontrolle der Kinder zu verstehen, sondern als Interessensbekundung und als Fürsorgepflicht. Das 12-jährige Mädchen, das sich in meinem ersten Ausflug auf YouNow bereitwillig über ihre Jungfräulichkeit ausfragen ließ, hantierte nämlich souverän mit dem „Familientablet“ herum. Und keine Ausflüchte: Wer solche Geräte zuhause nutzen will (als Erwachsener), der sollte sich auch entsprechend damit auskennen, das gilt für die Eltern nicht anders als für die Kinder.
- Ihr Kind filmt sich im eigenen Zimmer auf YouNow und macht diese Bilder einer breiten und anonymen Öffentlichkeit zugänglich? Dann diskutieren Sie in der Familie, welche Nebenwirkungen das „live“ senden haben kann ( ->Du kannst es nicht rückgängig machen! Du siehst das Publikum nicht!), welche Folgen das Streamen aus dem Kinderzimmer und auch aus dem Zuhause der Familie für alle Beteiligten hat (-> jeder sieht wie und wo du/wir lebst/leben!). Viele streamen bei YouNow nämlich auch aus anderen Räumen als dem eigenen Zimmer, und verschaffen damit auch ungefragt Einblicke in die Privatsphäre ihrer Familien. Welchen Wert hat es, wenn wir unsere Tür hinter uns schließen können – und was kann passieren, wenn eine Tür wie bei YouNow immer offen steht?
- Sollte Ihr Kind selbst auf YouNow streamen, dann stellen Sie sich (und Ihrem Kind) die Frage, was die Motive sind. Begleitet man die Streams Jugendlicher bei YouNow über eine längere Zeit, dann fällt auf, wie sehr viele die Anerkennung der Zuschauer nicht nur genießen, sondern regelrecht danach gieren – je mehr Zuschauer, umso besser. Koste es, was es wolle. Daher ist es wichtig zu verstehen, was das eigene Kind hierbei empfindet. So erfahren Sie vielleicht auch, ob etwas und was Ihrem Kind fehlt.
- Wenn es zur Situation passt: Lassen Sie sich die App von Ihrem Kind zeigen und erklären. Fragen Sie auch, ob Ihr Kind Möglichkeiten kennt, wie es sich schützen kann (z.B. durch das Melden oder „Flaggen“ einer Person), mit welchem Namen es sich angemeldet hat (also mit Klarnamen oder einem Fantasienamen) und welche Infos noch im Profil stehen. Danach können Sie gemeinsam entscheiden, wie es weitergehen kann.
Für die Zukunft – denn nach YouNow ist vor dem nächsten Trend
Aus meiner Sicht ist die Unfähigkeit vieler junger Menschen, sich auf YouNow angemessen und reflektiert zu verhalten (als Sender wie auch als Zuschauer) ein guter Indikator dafür, dass das, was in den letzten Jahren als „Medienkompetenzförderung“ an Schulen durchgeführt wurde, nicht genug in die Tiefe ging bzw. gehen kann. Wie auch? Die meisten Schulen wurden mit Workshops und externen Angeboten beschenkt – „Feuerwehrfunktion“ nannte das ein Lehrer mal, also um akute Brände zu löschen. Mit diesem Vorgehen – dem „rein-raus-Prinzip“ – werden wir aber nie die Nachhaltigkeit und Tiefe erreichen können, die der Umgang mit Medien erfordert. Allein schon, weil ich als Medienpädagogin die Schülerinnen und Schüler – und sie umgekehrt mich – nie wiedersehen werde(n). Am Beispiel YouNow zeigt sich: Ich kann als „Externe“ in meinen Workshops jahrein, jahraus alles über die Relevanz von Privatsphäre bei Studi- oder SchülerVZ erzählen, und dann ein paar Monate später bei Facebook wieder neu anfangen. Instagram? Und wieder von vorne! Nun kommt YouNow ins Spiel, und was geschieht? Die „Adaptionsleistung“ der Jugendlichen, das mediale Wissen auf ein anderes Angebot zu übertragen, fehlt bei vielen schlichtweg. Ich könnte mutmaßen, dass die einfach blöd sind – aber das wäre weder fair noch professionell. Die Lösung ist eine andere: Um sich Wissen richtig aneignen und dann auch habitualisiert und intuitiv danach handeln zu können, muss ich es möglichst früh lernen (also zumindest mal ran an Grundschulen!) und stetig wiederholen und in einen anderen Kontext bringen (also rein in die Lehrpläne!). Nur so kann ich adaptieren, übertragen und mein mit der Zeit basales und tief verankertes Wissen auch auf neue Angebote anwenden. Das heißt: von Facebook abstrahieren und die Regeln auf YouNow anwenden. Andererseits: allgemeine medienethische Regeln kennen und im Besonderen anwenden. Deduktion im digitalen Zeitalter!
Nächste Woche folgt dann YouNow im Rechtsreport. Interessante Fakten und Aspekte aus der juristischen Perspektive. Dranbleiben lohnt sich!