Bräutigamschau bei Kindersekt und Grusel-Blues

Ein „Gypsy“-Mädchen hält Ausschau nach Mr. Right.

Priscillas Gedanken werden von der Vorstellung regiert, einen „perfekten“ Ehemann zu finden und endlich zu heiraten. Man könnte jetzt meinen, eine Frau mittleren Alters hört ihre biologische Uhr ticken. Die Äußerung stammt aber von einer 14-Jährigen. Was für den Einen bizarr wirkt, ist in der Kultur der amerikanischen „Gypsys“ selbstverständlich.

TLC Deutschland ging am 10. April 2014 auf Sendung. Mit im Programm ist die 9-teilige Realityserie My Big Fat Gypsy Wedding, die immer dienstags um 21.05 Uhr ausgestrahlt wird. Das Format begleitet das wichtigste Ereignis junger „Gypsy“-Mädchen: ihre Hochzeit oder genauer die Vorbereitung dieses spektakulären Festes. Das reicht von der Suche nach einem geeigneten Ehemann über die Wahl eines pompösen Kleides bis hin zum Großevent der Vermählung. Ich habe mir die vierte Episode, Halloween Brautschau, angeschaut, die der FSF zur Prüfung vorlag und heute, am 6. Mai um 21.05 Uhr, auf TLC laufen wird.

Priscilla lebt zusammen mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder in einem Trailerpark in Georgia. Sie verließ die Schule mit elf Jahren. Seitdem besteht ihr Lebensinhalt darin, gut auszusehen und – als Vorbereitung auf ihre ehelichen Pflichten – täglich im elterlichen Wohnwagen zu putzen. Sie selbst empfinde eine „innerliche Leere“, wenn sie nicht putzen kann. In der vierten Folge sucht das Mädchen auf einer eigens von ihren Eltern dafür veranstalteten Halloween Party unter den geladenen Gästen nach ihrem „Mr. Right“. Existenziell für einen gelungenen Abend sind das perfekte Kleid zur Eröffnung der Party sowie ein Wechseloutfit für den anschließenden „Balztanz“. Nahezu alle Roben der amerikanischen „Gypsy“-Gemeinden werden von Sondra Celli entworfen. Als die Designerin das Kleid zum Vorschein holt, fühle ich mich als Zuschauerin fast geblendet: Pinker Tüll, Strass-Steine, wohin das Auge sieht, und ein funkelndes Diadem – Barbie hätte jetzt ein Tränchen im Auge. Das Wechseloutfit sind übrigens Glitzer-Hotpants mit Herzapplikation. Priscilla, fast vorm Nervenzusammenbruch, kann die Party kaum abwarten und möchte allen die „Show“ stehlen. Allerdings stellt das Finden der geeigneten Location ein Problem dar, denn wie überall auf der Welt sind auch die „Gypsys“ in den Vereinigten Staaten mit Stigmata und Vorurteilen konfrontiert. Letztendlich geht aber alles gut und der Gewinner an diesem Abend ist ein gutaussehender Milchbubi mit fester Zahnspange.

Mit dem Begriff „Gypsy“ werden oft Menschen aus einzelnen Roma-Ethnien bezeichnet. Priscilla gehört zu der ethnischen Gruppe der „Romanichals“. Diese hat ihren Ursprung in Indien. Es wird angenommen, dass sie sich im 16. Jahrhundert in England niederließen. Ein anderes ehemals „fahrendes Volk“ mit irischer Abstammung sind die „Irish Travellers“. Sie verließen Irland im 19. Jahrhundert während der „großen Hungersnot“. Beide Bevölkerungsgruppen leben nun auch in den USA und werden in der Serie begleitet. Zu den Gemeinsamkeiten zählt die isolierte Lebensweise im eigenen Kulturkreis. In ihren Traditionen gehen die Kinder nur selten zur Schule. Das heiratsfähige Alter liegt zwischen 14 und 16 Jahren.

Die Sendung hat mich definitiv in eine andere Kultur entführt und Reaktionen des Staunens, Kopfschüttelns und Schmunzelns hervorgerufen. Der Fakt, dass es für ein Mädchen im Alter von 14 Jahren schon höchste Eisenbahn ist, unter die Haube zu kommen, um für den Mann und die Kinder zu leben, wirkt auf mich etwas befremdlich und wenig emanzipiert. Über diese Ansichten rauft sich wahrscheinlich auch Alice Schwarzer die Haare, obwohl sie – zugegeben – ähnlich polarisiert wie diese Serie. Die Mädchen scheinen sich mit dieser Rolle jedoch überwiegend zu identifizieren, nur vereinzelt werden in der Folge auch Gegenbeispiele unter den zukünftigen Bräuten gezeigt.

Das zentrale Thema sind die atemberaubend hässlichen oder schönen – je nach eigenem Empfinden – prunkvollen Kleider. Es wird besprüht, überschminkt, an- und abgeklebt, um die weiblichen Reize in Form einer personifizierten Puppe hervorzuheben. Das ist aber weit weg von hiesigen Lebenswelten und Konventionen sowie mit großer Distanz erzählt, sodass die FSF keine Gefährdung erkennen kann und das Format ohne Bedenken im Tagesprogramm sieht.
Interessant und spannend anzusehen, trotzdem bin ich froh, das nicht mitmachen zu müssen. Ich bin wahrscheinlich sowieso mit 26 Jahren eine alte Jungfer und ziemlich schwer zu vermitteln.

Die FSF hat drei Episoden des Realityformats geprüft und unterschiedlich bewertet. So wurden Freigaben innerhalb der Kategorien ohne Altersbeschränkung bis ab 12 Jahren (Tagesprogramm) vergeben. Zur ausführlichen ProgrammInfo der Serie My Big Fat Gypsy Wedding auf der FSF-Website geht es hier.

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern vorgelegt werden.

Über Stefanie Kummer

Stefanie Kummer ist Absolventin der DEKRA Hochschule Berlin. Sie wurde nicht, wie zu vermuten, als Kfz-Mechatronikerin ausgebildet, sondern im Bereich der Film- und Fernsehproduktion. Ihre Medienaffinität bewog sie dazu, während eines Praktikums bei der FSF zusätzlich Erfahrungen und Qualifikationen im Bereich Jugendmedienschutz zu sammeln. Neben dem Interesse an Medien interessierte sich Stefanie sehr für die Arbeit mit Kindern. Mittlerweile arbeitet sie im Bereich Medienpädagogik und kulturelle Bildung.