Was ist eigentlich mit den Monstern heutzutage los? Vampire schmachten, Werwölfe winseln wie Schoßhündchen und Zombies sind neuerdings rehabilitationsfähig. Wo sind die fiesen Monster alle hin? Die mit den schlecht gemachten, gruseligen Pappmascheemasken und den … GRRRRRR … Zähnen. Naja, Zähne haben sie in der Regel immer noch. Aber wenn in True Blood (2008) ein männlicher Vampir die Beißerchen mit diesem unwiderstehlichen „Klack!“ ausfährt, dann löst das bei mir keinen Fluchtinstinkt mehr aus, sondern den Wunsch, freiwillig zu Boden zu sinken. Vampire und Werwölfe leben in Einfamilienhäusern, auch gern mal schlossartigen Ausmaßes, haben Beziehungsprobleme und jagen ihre eigene Menschlichkeit. Und Zombies können durch die Liebe wieder zum Leben erweckt werden. Wo man hinsieht, romantisierte und domestizierte Monster.
Ich persönlich vertrete die Theorie, dass der ganze Vampirhype auf den 1992 veröffentlichten Dracula-Film Bram Stoker’s Dracula zurückzuführen ist, der auf der gleichnamigen Romanvorlage basiert. Was in dem Buch angeblich angelegt und auch im Film umgesetzt wurde, war das Erotisieren des Vampirmythos. Offenbar war mir als Leserin des 21. Jahrhunderts die Erotik des Buches zu subtil. Aber das der Film damit spielt, ist offensichtlich. Davon zeugen diverse Szenen, die eine Mischung aus Mahlzeit und Sex darstellen. Mit der Erotik gingen allerdings Gefühle und auch eine Ambivalenz der Figur einher. Denn schon dort war Dracula kein reines Monster mehr, das man guten Gewissens beseitigen konnte. Sehnsucht und Liebe verliehen ihm Menschlichkeit und Seele. Und es wurde auf allen Seiten viel mit seinem Untergang gehadert. Das mit der Seele und dem Hadern findet sich später in der Rolle des Angel in der Serie Buffy the Vampire Slayer (1997-2003) wieder. Allerdings musste der erst (Welch‘ Ironie!) verflucht werden, um seine Seele wiederzubekommen. Was mit Bram Stoker’s Dracula und Angel jedoch eine Ausnahme war, ist inzwischen zur Regel geworden. Denn seit ein paar Jahren werden Vampire quasi standardmäßig mit dem Seelenfluch ausgestattet. Zombies und Werwölfe sind da nur der Kollateralschaden und per Default mit domestiziert worden. Foucault definiert das Monster als einen Hybriden, eine Art der Grenzüberschreitung. Die Hybridität der Monster, das Sichtbare der Kreuzung zwischen lebendigem Mensch und wahlweise Tier oder Tod wird jedoch inzwischen auf ein Minimum reduziert oder ganz umgangen. Denn zum einen verzichten Serien wie True Blood und Being Human (2008/2011) bei Vampiren komplett auf die Verwandlung – so dass ein schöner Mensch auch immer ein schöner Vampir bleibt. Zum anderen sind Vampire heutzutage aber auch nach der Verwandlung nicht mehr zwangsläufig gruselig, Werwölfe nicht unbedingt furchteinflößend (sehen oft aus wie kuschelige, etwas zu groß geratene Hunde) und Zombies, naja, die verwandeln sich nicht, aber mit viel Schminke ist auch da was zu machen, wie In the Flesh (2013) zeigt. Einer der Nebeneffekte der Romantisierung und Domestizierung ist, dass es quasi keine hässlichen Monster mehr gibt.
Die eigentliche Frage jedoch, die im Kern dieser Entwicklung liegt, in Bram Stoker’s Dracula schon angelegt war und die sogar die Serie Being Human im Titel trägt, ist: Was macht uns eigentlich menschlich? Denn die Monster haben sehr „normale“ Probleme: Nachbarschaft, Job, Beziehungen, und die Angst, dass jemand herausfinden könnte, dass sie anders sind und nicht ganz reinpassen – also aus der Gemeinschaft ausgegrenzt werden könnten. Ein Test für die Menschlichkeit ist immer, wie sie mit Andersartigkeit umgeht, mit Angst und Ablehnung oder mit Neugierde und Respekt? True Blood treibt diesen Aspekt mit ausgedehnten Minderheiten- und Diskriminierungsdebatten in Bezug auf die sich geouteten Vampire auf die Spitze. Inklusive Lobbyorganisation der Blutsauger auf der einen und religiösen Fanatikern, die ihnen jedes Existenzrecht absprechen, auf der anderen Seite des Meinungsspektrums. Für die Monster wiederum ist der Dreh- und Angelpunkt immer die Unvereinbarkeit von Tötungsdrang und (Rest)Menschlichkeit. Wie bewahrt jemand die Unschuld seiner Seele, wenn doch Töten in der eigenen Natur liegt und überlebensnotwendig ist?
Die resozialisierten Zombies in In the Flesh haben stark mit den Erinnerungen an ihre willenlosen Taten während der Zombieapokalypse und ihrem Gewissen zu kämpfen, ihre Umwelt wiederum mit Vergebung und Akzeptanz. Letzteres läuft zunächst nicht so gut. Denn die Serie stellt die Frage nach der Menschlichkeit auf eine ähnliche Weise, wie das schon der Film 28 Days Later (2002) getan hat: Wenn einmal alle gesellschaftlichen Restriktionen gefallen sind und die Menschen ohne sie miteinander umgehen müssen, was bleibt dann noch von der Menschlichkeit übrig? Sind Regeln, die unsere „monströse“ Seite im Zaum halten, das Einzige, was uns menschlich macht? Das Motiv der Regeln und Restriktionen – selbst auferlegte wie die von der Gesellschaft vorgegebenen – findet sich denn auch immer wieder als Antwort auf die Frage, wie die Monster ihre Menschlichkeit bewahren können. Kein Menschen-, sondern nur Tierblut trinken, sich Ketten während der Verwandlung anlegen, nach Regeln töten. Und die absolute Verkörperung dessen ist eine Figur, die keiner Verwandlung bedarf, aber eigentlich das ultimative Monster darstellt: Dexter – ein Serienmörder mit Verhaltenskodex, eine äußerlich nicht mehr erkennbare Grenzüberschreitung.
Was am Ende zu der Frage führt: Ist das domestizierte Monster, um das es hier eigentlich geht, der Mensch selbst?