Der rebellische Pate

Marlon Brando

16. Mit ganz großer Sicherheit aber mindestens elf. Die Rede ist nicht von einer Fußballmannschaft mit Ersatzspielern, sondern von Marlon Brandos Kindern. Deren Anzahl variiert in der einschlägigen Literatur erheblich. Fest steht: Es waren ziemlich viele – und wohl nur etwa die Hälfte stammt von seinen insgesamt drei Ehefrauen. Dagegen ist die Zahl seiner Geschwister überschaubar: Mit „nur“ zwei Geschwistern wuchs er die ersten Jahre in Nebraskas Hauptstadt Omaha auf, wo er am 3. April 1924 geboren wurde.

Brandos Kindheit war gezeichnet vom Alkoholismus der Mutter, häufigen Umzügen und zeitweiligen Trennungen der Eltern. So entwickelte er im Teenageralter eine Grundaggression, die ihn eine solide Schulbildung kostete, bei Übungen und Auftritten des Dramatic Workshops der New School in New York City und später am Broadway aber höchsten Respekt einbrachte. Die Darstellung des aggressiv-ordinären Stanley Kowalski in der Bühnenadaption des Tennessee Williams Romans Endstation Sehnsucht (1947), die kurze Zeit später verfilmt wurde (1951), katapultierte Brando dann geradewegs nach Hollywood.

Trailer: Marlon Brando in Endstation Sehnsucht (1951)
Trailer: Marlon Brando in Endstation Sehnsucht (1951)

In den 1950er-Jahren wechselten sich (bis 1990) acht Academy-Award-Nominierungen – und immerhin zwei Gewinne! – mit Boxoffice-Erfolgen ab: Viva Zapata! (1952), Julius Caesar (1953) und On the Waterfront (1954) sind nur einige. Man fragt sich ernsthaft, wann der Mann die Zeit hatte, mehr als ein Dutzend Kinder zu zeugen oder zu adoptieren. Vielleicht in den 1960er-Jahren, denn die brachten fast nur Flops an den Kinokassen.

Der charismatische, rebellische Junge aus dem Mittleren Westen schien spätestens mit Mitte 40 nicht mehr zu funktionieren – eine Erfahrung, die Kollegen wie James Dean übrigens erspart blieb. Doch dann kam Vito Corleone ‒ Der Pate (1972). Plötzlich erinnerte man sich wieder; Marlon Brando hatte den Sprung zum Erwachsenen geschafft. Der Pate spülte genügend Honorar auf Brandos Konto, so dass er es sich ab Ende der 1970er-Jahre leisten konnte, verstärkt nur in Cameo-Auftritten zu erscheinen ‒ und anschließend eine neun Jahre währende Leinwandpause einzulegen.

In dieser Zeit widmete er sich verstärkt seinem Engagement in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und dem Bürgerrechtskampf der Indianer in Amerika. Selbst, als er die Lederjacke zurück in den Schrank legte, schien Brando eine gewisse Dosis (Rest-)Provokation zu brauchen: Seinen Oscar für den ersten Teil des Paten (Teil 2 und 3 folgten ‒ ohne Brando ‒ 1974 bzw. 1991) lehnte er ab und schickte zur Preisverleihung die Indianerin Sacheen Littlefeather, die ein Statement gegen die politische und gesellschaftliche Unterdrückung der indianischen Bürgerrechte verlas (dass sie sich später als Schauspielerin entpuppte, kam nicht wirklich gut an). Ab 1989 drehte Brando wieder verstärkt ‒ bis zu seinem Tod am 1. Juli 2004 durch Lungenversagen in Los Angeles.

Am Ende des Tages erinnern wir uns vielleicht nicht zuerst an den attraktiven, charismatischen Rebellen ‒ eher an den etwas übergewichtigen, alternden Don Corleone. Doch Marlon Brando hat etwas geschafft, was einigen Kollegen versagt blieb: Er hat die Zeichen der Zeit erkannt, und in der zweiten Lebenshälfte sogar das männliche Publikum begeistert. Oder kennen Sie eine Frau, die leuchtende Augen bekommt, wenn vom „Paten“ die Rede ist? Er ist mit seinen Rollen und seinem politischen Engagement gereift. Vielleicht ist es das, was am Ende übrig bleibt.

 

Über Cornelia Klein

Dr. Cornelia Klein studierte Diplom-Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik und promovierte über die mediale Vorbildkompetenz. Sie arbeitet als Lektorin und Redakteurin bei einem pädagogischen Fachverlag.