Ich setz auf Ruin! – Warum das österreichische Programm so grauselig gut ist

Das Schöne am österreichischen Humor ist, dass es in Österreich eigentlich gar nichts zu Lachen gibt. Das haben sie gemeinsam mit uns Deutschen. Aber anstatt so zu tun, als ginge es allen gut, ergeben sich die Österreicher in Galgenhumor, in anrührendes Lamentieren oder – wenn es ganz schlimm kommt – ins Jammern. Zerknittert sitzt der Österreicher dann am Tresen, die halb gerauchte Kippe hängt im Mundwinkel, immer noch besoffen vom Fusel der letzten Nacht stimmt er leise das Krüppellied von 1930 an – ein Stück, das in der Kürze so perfekt umschreibt, worum es beim Österreichischen Humor eigentlich geht: “Wenn ich ‘mal trüber Laune bin, dann geh’ ich zu den Blinden, und lache mir den Buckel voll, wenn sie die Tür nicht finden. Krüppel ha’m so was rührendes. Krüppel ha’m was verführendes. Wenn ich so einen Krüppel seh’ wird mir ums gold’ne Wiener Herz so warm und weh, hallo!”… Starrsinn, Ignoranz, Augenzwinkern und ein klarer Kurs auf Ruin, das macht es aus, jenes „goldene Wiener Herz“ (das in einigen Österreichern schlägt –Wiener müssen es nicht zwingend sein).

Auch in wunderbaren Serien und Filmen würdigt sich die österreichische Komik von Grunddepression und tragischer Melancholie. Die 19 saftigen Folgen von Kottan ermittelt (1976-1983) seien zunächst angepriesen, nach deren Ausstrahlung der Anfang der 80er-Jahre um Zucht und Ordnung fürchtende ORF-Zuschauer nicht weniger forderte als Regisseur Patzak umgehend aufzuhängen. Folglich musste Kottan Kult werden und auch heute gibt nur wenig Amüsanteres als dem pragmatischen Major (zum bekanntesten Darsteller hat es Lukas Resetarits gebracht), seinem einbeinigen Kollegen Paul Schremser (Walter Davy) und Alfred Schrammel (C. A. Tichy) beim Ermitteln zuzusehen.
Weil Schremser ihm die Beförderung wegschnappt (Inschpektor gibt’s kan!), bleibt Kottan zu Hause, um nur die reizvolle Fernsehansagerin anzuschmachten – während ihn seine Frau und seine Mutter Erbsensuppe löffelnd zurechtweisen. Dieser biederen abendlichen Bürgertumstristesse entflieht Kottan zumindest einmal die Woche, dann probt er mit Schrammel und Schremser im Keller des Polizeipräsidiums alte Elvissongs, die sie unter dem Namen „Kottan’s Kapelle“ auf windigen Tanzfeierlichkeiten zur Aufführung bringen. Auch der Dezernatsalltag ist beschaulich: Schremser macht Telefondienst und der ambitionierte (und doch auf ewig zum blamablen Döskopp degradierte) Schrammel vertreibt sich die Zeit mit Mike Hammer.

Eine Idylle, die nur durch die Anwesenheit von Heribert Pilch (großartig: Kurt Weizierl) gestört wird, der immerhin Polizeipräsident, allerdings auch schwer irrsinnig ist. Fliegenhasser Pilch macht eisern Jagd auf die Viecher, so schonungslos, dass er dabei auch mehrmals aus dem Fenster fällt. Komplett vergipst sitzt er dann in seinem Büro, dessen Wände nicht Geweihe, sondern Fliegenklatschen zieren. Pilch führt ein eisernes Regiment, welches nicht nur von seinen Untergebenen, sondern vor allem vom Kaffeeautomaten gewissenhaft ignoriert wird. Wie Polizeipräsident Pilch muss auch Sandlerkönig Erwin Drballa (Carlo Böhm) oftmals um Fassung ringen – schließlich ist er es, der immer wieder die Leichen auffinden muss.

Bei Kottan fließen die Grenzen zwischen Aberwitz und Persiflage, Inszenierung und Publikum – kurzerhand machten die Österreicher Schluss mit Bierernst, lieferten „urkomische“ Abendunterhaltung und waren mit dem tadellos hausbackenen Programm jenseits der Grenze nicht zu vergleichen. Als schwäbisches Kind lernte ich früh den Umgang mit unseren Nachbarn – witzelte über die hinterwäldlerischen, einfältigen Bergdörfler am Arsch der Welt, neidisch wissend, dass derweil hinter der Grenze grienend Sachertorte bei Einspänner mit Schuss verzehrt wurde.

Als dialektal vorgebildeter Deutscher (also überall außer in Hannover) ist man dem österreichischen Humor gegenüber logischerweise schwer im Vorteil. „SauPreißn“ haben bei Filmen wie Indien (Josef Hader und Alfred Dorfer) keine Chance, Serien wie Kottan sind nur etwas leichter zugänglich. Einsteigern empfiehlt sich der Film Immer nie am Meer, in dem sich die fulminante Grausigkeit des Toilettengangs in eine Damenhandtasche mit trüber Melancholie und (aufgrund des anwesenden Fischkopfs Heinz Strunk und damit zugunsten der Völkerverständigung abgeschwächtem) „Gschwätz“ paaren.

Auch eine vergleichsweise neue Serie erzählt von grandios abgebrühten Verlierern. In David Schalkos meisterlicher Kurzserie Braunschlag (2011) liegen Glanz und Ruin so nah beieinander wie am Tresen einer schummerigen „Tschumsen“.

Weder hängende Lider, traurige Aussichten noch der erdrückende Alltag im Dorf halten den Braunschlager Bürgermeister Gerry Tschach und Richard Pfeisinger, den örtlichen Diskobesitzer, von der Planung eines großen Coups ab. Eine fingierte Marien-Erscheinung soll endlich wieder Touristen ins Dorf locken und Gerry Tschach – dem selbst ernannten „Kaiser“ Braunschlags – eine weitere Amtszeit garantieren. Schnell gerät das Wunder außer Kontrolle und kommunalpolitische Verstrickungen, die russische Mafia und sogar der Vatikan mischen sich in die Verehrungswirtschaft ein. Wird das Meerschweinchenparadies gebaut, Schäferhund Bauxi gerettet und was wird der St. Pöltener Landesonkel zum „Marien-Merchandising“ sagen?

Schalko glänzt in Braunschlag nicht nur mit gutem Drehbuch, auch die Besetzung kann sich sehen lassen: allen voran die wunderbare Maria Hofstätter (Import Export), Simon Schwarz (von Komm süßer Tod bis Der Knochenmann) Manuel Ruby oder Raimund Wallisch (Aufschneider).

Aber weil im Leben eben nichts ewig ist und alles ein Ende haben muss, ist man todtraurig, wenn es nach nur acht Folgen schon vorbei ist mit Braunschlag. Und dann muss man saufen, damit man dieses Ende verarbeiten kann. Und man säuft Wein und Schnaps und Bier solange, bis einem die Augen zufallen und man langsam vom schwarzen Ledersofa hinunterrutscht. Und während einem ein Tannin gebräunter Spuckefaden aus dem Mund rinnt und den weißen Teppich ruiniert, sieht man im Delirium das Glitzern des gold’nen Wiener Herzens.

Über Lena Ackermann

Lena Ackermann teilt sich ihren Geburtstag mit Michael Jackson und hoffte jahrelang auf eine Einladung nach Neverland. Sie hat in Köln Geschichte studiert, in Hamburg bei einer Filmproduktionsfirma gearbeitet und in Berlin ein Volontariat beim Rolling Stone gemacht. Sie schreibt für Erwachsene und Kinder. Mittlerweile hat sie Graceland besucht – auf die Einladung nach Neverland wartet sie weiterhin.