Lassen wir doch Gras drüber wachsen, …

über meine Vagina.

…, sagt Hannah Horvath in Girls. Es muss sicher noch eine Menge Gras über Vaginen und Penisse wachsen, bevor eine Serie wie Girls in Deutschland produziert oder auch nur zu einem vernünftigen Zeitpunkt – nämlich zur besten Sendezeit – im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt wird. In Girls ist keine Peinlichkeit zu peinlich, passiert immer unausweichlich das Schlimmste – und ist dann irgendwie doch nicht so schlimm. Der Weg zum Erwachsensein ist das Ziel und das Glück ist nicht genormt.

In der Kritik wird behauptet, Girls sei die schmutzige Variante von Sex and the City, dies offenbart nur einmal mehr, dass Filme, in denen Frauen die wichtigsten Identifikationsfiguren sind, unbedingt und ausschließlich ein chick flick sein müssen, in dem begehbare Schränke die Erfüllung des Traumes vom guten Leben sind. Es scheint zwingend zu sein, das alte Klischee zu reproduzieren, in dem Frauen bestenfalls eine göttliche Naturerscheinung sind und schlimmstenfalls ein Gadget, das es in verschiedenen Qualitätsklassen gibt. Verschieden eingepackt, motorisiert, frisiert und penetriert. Gerade in Film und Fernsehen ist dieses Identifikations-Gefängnis unglaublich persistent. Der Erfolg von Girls könnte ein Indikator dafür sein, dass die Zahl der Zuschauer, die so einen Scheiß sehen wollen, langsam abnimmt.

Ein chick flick ist Girls nicht. Vielleicht greifen Genrebezeichnungen wie Coming of Age oder Comedy nicht. Es scheint eher etwas zu sein, das an Cinéma Vérité erinnert. An Nouvelle Vague. In den meist in der Totalen gedrehten Einstellungen muss der Zuschauer selbst seinen Standpunkt finden. Nur selten wird die Fernsehästhetik der Großaufnahme bemüht. Dabei sind die Konflikte so ungewöhnlich, ist die Informationsdichte so hoch, sind die Wendungen so überraschend, dass eine nur 30-minütige Folge wie Seelenmüll in der Erinnerung wie ein abendfüllender Eric-Rohmer-Film, etwa wie La collectionneuse, abgespeichert wird.

Auch in den originellen, blitzschnellen und teilweise fast absurd anmutenden Dialogen wird kein Standpunkt angeboten. „Ich habe mal einen Welpen überfahren“, gesteht Marnie als Shoshanna darüber klagt, noch Jungfrau zu sein. In Girls geraten sogar die Sexszenen zu Dialogszenen. Zum ersten Mal macht es deshalb Spaß, bei einer so privaten Veranstaltung wie Sex dabei zu sein und zu erleben, wie das Mantra „ich bin so enttäuscht“ durch präventive Synchronisation in Liebesbeziehungen verhindert wird. Für Liebesgeschichten im Film ist das ein ganz neuer Aspekt. Was geschieht denn, wenn sie sich am Ende gefunden haben und der Zuschauer kein Zeuge mehr ist? Das Ende sollte eigentlich der Anfang sein.

In Girls werden verschiedene Beziehungen bis zum Ende durchdekliniert. Bekannte Situationen mit all ihren Zwischentönen zwischen Liebe und Nicht Liebe, Momente werden inszeniert, in denen es hin und her geht, bekommen Erzählzeit und sind gerade interessant, weil sie dramaturgisch nicht auf den Punkt kommen. Das ist eine neue Form von Unterhaltung, in der es um wirkliches Leben und nicht um simple Klischees geht.

Die armen Jugendlichen und jungen Erwachsenen und überhaupt alle Fernsehzuschauer müssen sich leider noch in Berlin – Tag & Nacht kulturell repräsentiert sehen, in billigen und prolligen Dokudramen und Soap-Operas – bis endlich jemand die Redakteure und selbst ernannten Script Doctors vor die edle Glastür setzt. Bis dahin wird leider noch viel Gras über Vaginen und Penisse wachsen müssen …

Girls Staffel 1 und 2

Über Uli Wohlers

Uli Wohlers ist DiplSoz Päd. Prüfer bei FSK und FSF. Er studierte u.a. Publizistik und Filmwissenschaft in Dublin und Lüneburg und lebt nun als freier Autor in Hamburg, Berlin, Dänemark und on the road. Wohlers textet nicht nur für den fsf blog, sondern schreibt Romane und Drehbücher. Sein aktuelles Werk heißt Projekt Rahanna, 2011 ist der Krimimalroman Die Spur der Schweinebeides bei Braumüller/Wien erschienen.