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Europas größtes Festival für jungen Film! 111 Filme aus 23 Ländern

Vom 24. bis 28. April fand in Potsdam in der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF das alljährliche International Student Filmfestival Sehsüchte statt. Wir sind froh, mit Henrike Rau und Jeanette Deppe zwei Besucherstimmen präsentieren zu können, die uns berichten, was sie besonders begeistert hat.

 

FSF: Was hat das diesjährige Sehsüchte-Festival so besonders gemacht?

Henrike Rau: Auf jeden Fall die neue Sektion 360° – die fand ich  sehr spannend, da ich denke, dass VR (Virtual Reality) und 360° nicht nur Buzzwörter sind, sondern tatsächlich viel damit experimentiert wird und es bis jetzt noch nicht vollends ausgereizt ist. Die Frage, wie Narration innerhalb solcher Formate funktioniert, ist noch nicht vollkommen geklärt.

Außerdem empfand ich die Szenografie dieses Jahr visuell präsenter, was sehr schön wirkte. Auch das Design insgesamt hat mir gut gefallen und war sehr einheitlich und auf die gesamte Veranstaltung abgestimmt. Dadurch wird Sehsüchte als Ganzes präsent.

Zum Showcase der diesmaligen Partneruniversität Peking konnte ich leider nicht, finde es aber enorm spannend und halte es für sehr wichtig, solche Beziehungen auszubauen!

Jeanette Deppe: Das diesjährige Sehsüchte-Festival war eine rundum gelungene Veranstaltung. Schon am Bahnhof Griebnitzsee wurde man von den auffälligen Gafferbändern, den Wegweisern, empfangen. Die Szenografie bildete in diesem Jahr einen hervorzuhebenden roten Faden und bereitete allen Gästen eine Wohlfühlatmosphäre. Auch für die Studenten, die täglich an der Filmuniversität sind, gestaltete sich diese in einem neuen Gewand. Vor allem die roten Tücher, die zur akustischen Gestaltung angebracht wurden, strukturierten die Fläche des Atriums neu.

Den Start gab das Eröffnungsprogramm, das diesmal im größten Kinosaal der Uni stattfand. Es folgte eine Feier – der Startschuss für das Festival und vielen wunderbaren Veranstaltungen wie Filmen und Begegnungen. Letzteres ist auch in diesem Jahr ganz großgeschrieben worden.

Neu im Programm: Der Workshop Grünes Produzieren. Hier teilten Student/-innen, Lehrende und Filmemacher/-innen ihre Erfahrungen rund um eine nachhaltige Produktionsweise. Ein globales und verantwortungsvolles Denken – präsentiert von den Filmemachern von morgen.

Die Internationalität der Filmuni zeigte sich nicht nur bei solchen Veranstaltungen, sondern auch beim Showcase Communication University of China. Der große Kinosaal der Uni war besonders gut besucht, um sich die Filme der Partneruniversität aus Peking anzusehen. Auch das darauffolgende Q&A (Question&Answer) mit den Filmemacher/-innen wurde rege genutzt, um den Gästen Fragen zu ihren Filmen zu stellen. Von fiktionalen Stoffen über dokumentarischen bis zu autobiografischen Animationen war alles dabei.

 

FSF: Welche Filme haben euch am besten gefallen?

Henrike Rau: Ich fand sechs Filme aus den verschiedensten Genres sehr eindrücklich: La Buona Novella (engl. Good Tidings) – der Film hatte ein sehr klares Konzept: Die Beobachtung eines am Strand aufgelaufenes Bootes. Es wurde mit fast nur einer Kameraeinstellung realisiert, allerdings erfolgten mehrere Schnitte und einzelne Fotoaufnahmen, wie die Geflüchteten am Strand ankamen. Die komplette Abartigkeit der jetzigen Situation – dass Geflüchteten in Seenot nicht geholfen wird, aber Touristen sich neugierig das gestrandete Boot angucken und Selfies machen – wird in wenigen Bildern eingefangen.

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LA BUONA NOVELLA / GOOD TIDINGS || Official trailer from Jump Cut on Vimeo.*

La Bestia (engl. Train of the Unknowns). Der Film ist sehr nah an den Menschen, hatte Humor und Poetik, aber alles war ganz unaufgeregt und sensibel inszeniert. Aufgegriffen wurde ebenfalls die Thematik des Flüchtens, der Film konzentriert sich stark auf einen einzigen Ort, nämlich das ‚Casa del Migrante‘ in Mexiko, in dem die Geflüchteten zwischenversorgt werden, bevor sie auf einen Zug zur Weiterreise springen – oft ein Zug Richtung USA. Die letzten Szenen sind sehr mitreißend, allerdings nicht schaulustig gestaltet. So wird stets die Waage gehalten, man geht mit den Menschen und schaut nicht reißerisch zu.

Der nur 4-Minuten dauernde Animationsfilm Augenblicke ist kurz, aber dafür sehr, sehr eindrücklich. Ein junge Frau ist abends unterwegs, in einer dunklen Straße wird sie angegriffen und ein Kampf entsteht, jeder Schlag, jeder Gegenschlag ist sinnlich durch eindrücklichen Klang und wahnsinnigen Perspektiven erfahrbar. Man wechselt auch als Zuschauer zwischen den Perspektiven hin und her und ist selbst unglaublich angespannt.

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AUGENBLICKE a blink of an eye (Trailer) from Kiana Naghshineh on Vimeo. Three perceptions of one truth – hers, his and ours. Copyright: Filmakademie Baden-Württemberg GmbH (2018)**

Der Dokumentarfilm In Search beschäftigt sich mit dem Thema der Beschneidung (fgm = female genital mutilation) und der Rekonstruktion, die durch die Medizin mittlerweile möglich ist. Die Verknüpfung dieser Themen ermöglicht es, ein sehr traumatisierendes Thema mit einem motivierenden und positiven Zug zu besprechen. Die Filmemacherin hat selbst fgm erfahren und steht vor der Entscheidung, eine Rekonstruktion durchführen zu lassen. Dies würde bedeuten, die Narben wieder zu öffnen und sich noch einmal mit dem Trauma auseinanderzusetzen. Sie besucht ihre Mutter und andere Frauen, die fgm durchlebt haben und sich für oder gegen eine Rekonstruktion entschieden haben. An dem Film finde ich besonders, dass er das Thema ganz individuell behandelt und für mich betont, dass das Problem natürlich strukturell ist (Frauen wird eingeredet, sie müssten das über sich ergehen lassen, sodass sich viele sogar selbst dazu entscheiden, fgm machen zu lassen, ohne zu wissen, was auf sie zukommt), doch das Leiden individuell tief sitzt. So trägt die Protagonistin z.B. sogar Schuldgefühle mit sich, da sie damals den Termin für fgm selbst vereinbart hat.

Der Kinderfilm Provence wurde aus der Perspektive der kleinen Schwester Camille inszeniert, die unbedingt wissen will,  in wen ihr großer Bruder verliebt ist. Ihre Angst, ihren Bruder zu verlieren, ist sehr schön verbildlicht. Auch die Atmosphäre eines Sommerurlaubs auf einem Camp mit Schwüle in der Luft ist spürbar.

Der Gewinner der Jugendfilme Sisters besitzt eine wahnsinnig schöne Choreografie, die sehr berührt. Härte und Zärtlichkeit werden hier immer wieder gegenübergestellt. Ohne Worte wird viel erzählt. Auch wenn ich sonst mit Symbolik so meine Schwierigkeiten habe, finde ich es in diesem Rahmen verzaubernd. Die drei Tänzerinnen (Schwestern) sind ausgesprochen gut und bilden eine Symbiose. Die Thematik der häuslichen Gewalt und des Missbrauchs wird auch ohne Worte mit starken Bildern vermittelt.

Jeanette Deppe: Am interessantesten fand ich den Showcase Communication University of China-Block. Bestimmt auch, weil einige der Filmemacher/-innen anwesend waren und nach den Filmen für ein Q&A zur Verfügung standen. Insgesamt wurden fünf Filme gezeigt. Vor allem die Animationen sind im Gedächtnis geblieben. So z.B. Black Room, eine autobiografische Geschichte über Gewalt gegenüber Frauen – hier der Mutter der Filmemacherin. Der Animationsfilm Ahkus handelte von Identität und Heimat.

Eine subtile, aber doch sehr charmante Geschichte wurde in dem Dokumentarfilm My Grandparents erzählt. Dieser Film zeigt das Leben und die Kraft eines Ehepaares. Diese zwei Persönlichkeiten berühren mit ihrer Ehrlichkeit, Neugier und ihren kleinen Konflikten, mit denen sie den Alltag bestreiten.

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My Grandparents from TIANYI ZHOU on Vimeo. The 25min version of MY GRANDPARENTS.

Leider musste in diesem Jahr auf den beliebten Musikfilm-Block verzichtet werden. Dafür füllte dieses Zeitfenster am Samstagabend das Genre. Mit vorwiegend schaurigen Geschichten wurden die Gäste auf den folgenden Abend eingestimmt. Dystopie und Horror stand im Mittelpunkt der Veranstaltung. Der Saal war ausverkauft, beste Bedingungen für die Wahl des Publikumspreises.

 

FSF: Welche Angebote aus dem Rahmenprogramm haben euch begeistert?

Henrike Rau: Der Workshop zu funk Webserien by funk war sehr interessant. Man erhielt einen Einblick, wie Formate ausgewählt werden und was besonders bedeutend bei einer Vorstellung einer Formatidee bei funk ist. Die Aufgabenstellung des Online-Medienangebotes funk ist recht klar mit der Anweisung, die jüngere Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen zu erreichen. Deshalb spielen gerade die Thematiken der Jugendlichen und die (diversen Socia-Media-) Plattformen, auf denen sie sich bewegen, eine große Rolle.

 Jeanette Deppe: Nach dem Genre-Block am Samstagabend begann die Sehsüchte Party. Mit Liveband und anschließendem DJ wurde die Stimmung ausgiebig gefeiert. Auch viele Gäste aus Berlin wollten die Feier nicht verpassen, sodass das gesamte Atrium als Tanzfläche gut gefüllt war. Für den Hunger zwischendurch war hervorragend gesorgt. Es gab die leckere frische Pizza (auch vegan) vom Foodtruck „inflagranti“.

Neben all den Filmvorführungen tut Bewegung gut. Das dachte sich auch in diesem Jahr das Sehsüchte Organisationsteam und veranstaltete im Rahmenprogramm wieder u.a. ein Fußballturnier mit anschließendem Grillfest und Yogastunde am Samstagmorgen.

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Sehsüchte 2019, Bilder © Saskian Schubert

Ein Blick in das digitale Programmheft liefert Informationen zu allen Filmen und Veranstaltungen. Welche Filme erhielten einen Preis? Alle Infos zu den Gewinnerfilmen 2019 auf sehsuechte.de.

 

Ein großes Dankeschön an alle, die mitgewirkt haben. Wie freuen uns auf das nächste Jahr. Und weil es so schön war, hier der Aftermovie Sehsüchte 2019.

 

*****

 Die FSF ist Festivalpartner von Sehsüchte.

 

*Credits zu LA BUONA NOVELLA (GOOD TIDINGS): Una notte d’estate, Bochra arrivò su una spiaggia della Sicilia con oltre 130 persone a bordo. Tutte presto fuggirono. E Bochra rimase sola nel limbo tra mare e terra… fino all’arrivo dei turisti. On a summer night, Bochra arrived on a beach in Sicily with over 130 people on board. All soon escaped. And Bochra remained alone in the limbo between sea and earth… until the tourists arrived. Short documentary: 15’ | 4K | color | 2018 / screening format: DCP; ProRes file.
writer, dop, director: Sebastiano Luca Insinga / producer: Paolo Borraccetti, Simone Cargnoni, Sebastiano Luca Insinga / editor: Sabino Parise / sound design & mix: Philippe Gozlan / assistent director: Simone Cargnoni / assistant editor: Giorgia Pasolli / vfx: Valerio Oss / color grading: Pierpaolo Ferlaino / set photographer: Simone Cargnoni / production: Jump Cut / associated production: Wasabi

**Credits zu AUGENBLICKE: Director . Producer: Kiana Naghshineh / Cinematography: Jan Robin Weiland / Music: Marius Kirsten / Vocals: Ella Estrella Tischa . Marius Kirsten / Sound: Laura Schnaufer . Volker Armbruster / Animation: Janina Putzker . Kiana Naghshineh . Lukas Von Berg / Cast: Cuyén Biraben . Constantin Petry . Georg Grohmann

Über Sandra Marquardt

Sandra Marquardt hat 2010 ihr Magisterstudium in Filmwissenschaft und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin abgeschlossen. Seit 2011 arbeitet sie als Onlineredakteurin bei der FSF. Dort betreut sie u.a. zum einen den Onlineauftritt der FSF-Website, ist zum anderen für den fsf blog inklusive der Bildredaktion verantwortlich und festes Teammitglied der Newsletterredaktion. Als Praktikumsbeauftragte ist ihr die Betreuung der Praktikantinnen und Praktikanten eine Herzensangelegenheit.